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Zerreißen steigende Mieten die Neustadt?

Wer innerhalb des Dresdner Kultur- und Ausgehviertels umziehen will, hat es sehr schwer. Die Bewohner haben Angst vor Verdrängung durch Gentrifizierung.

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© Christian Juppe

Von Sarah Grundmann und Julia Vollmer

Für Sandra Zimmermann war es ein Schock, als Ende September ein Schreiben der Hausverwaltung im Briefkasten lag: Die Wohnung soll saniert werden. Statt 400 Euro warm kostet sie danach rund 960 Euro. Zimmermann wohnt seit 20 Jahren in ihrer Wohnung in der Neustadt, seit zehn mit Mann und Tochter. „Das sind fast sechs Euro pro Quadratmeter mehr“, erzählt sie. „Für uns ist die Preissteigerung hart, und wir sehen uns gerade nach anderen Wohnungen um.“ Sie wollen nicht weg aus der Neustadt, Arbeitsplatz und Schule sind hier.

Doch im Ausgehviertel etwas zu finden, ist nicht leicht: Unter 10 Euro pro Quadratmeter sei kaum eine Bleibe zu finden. Für drei Zimmer könne man inzwischen locker 1 300 Euro Miete zahlen. Der Wohnraum wird immer teurer. Eine Suche beim Online-Immobilienportal Immoscout bringt für Drei-Zimmer-Wohnungen in der Äußeren Neustadt 32 Treffer, Apartments zur Zwischenmiete inbegriffen. Für die günstigste – eine Plattenbauwohnung mit knapp 60 Quadratmetern – müssten monatlich 529 Euro Warmmiete investiert werden. Die teuerste – eine sanierte Altbauwohnung – liegt bei gut 1 100 Euro warm. Für die Zimmermanns zu viel. Beim großen Andrang auf die wenigen Wohnungen werde zudem gnadenlos aussortiert: Ein Vermieter sagte der Neustädterin, er wolle keine Kinder.

Carsten Ungewitter ärgert das: Dass man sich nicht einfach eine Wohnung im Nobelviertel suchen kann, wenn das Gehalt es nicht hergibt, sei klar. Dass aber eine Familie, die schon lange in der Neustadt zu Hause ist, sich in seinem angestammten Viertel keine größere Bleibe leisten kann, sei problematisch. „Der Sanierungsdruck ist gerade in der Neustadt und im Hechtviertel hoch“, sagt der Friedrichstädter. Durch die steigenden Mieten würden Kieze zersprengt. Das sehen auch andere so: So werden die schwarz-weißen Stadtvillen zwischen Bautzner und Böhmischer Straße regelmäßig mit Graffiti beschmiert. Sprüche wie „Yuppies raus“, „Mieten runter“ oder „Unser Kiez bleibt dreckig“ machen den Unmut über die Gentrifizierung deutlich. Zwischen 8,50 und 10 Euro müssen die Mieter dort pro Quadratmeter zahlen. Wie Verwalter Christian Chemnitzer berichtet, ist die Klientel gemischt: Etwa die Hälfte der Bewohner seien mittelständische Familien, die schon länger in der Neustadt wohnen. Die andere Hälfte sind Neu-Dresdner, die den Stadtteil testen wollen.

„Die Angst vor einer Gentrifizierung war in der Neustadt schon in den 90er-Jahren groß“, sagt Stadtsoziologin Sabine Barthold. Damals begann die Sanierungswelle in dem Viertel. „Doch einen Austausch der Bewohner gab es eigentlich nicht.“ Vielmehr seien die einstigen Studenten groß geworden, arbeiten und verdienen mehr Geld. In anderen Vierteln wie der Friedrichstadt und Löbtau sei die Lage gravierender.

„Auch die Wohnungsnot ist ein Problem in ganz Dresden“, sagt Peter Bartels, Vorsitzender des Dresdner Mietervereins. Die Stadt spreche zwar davon, dass es knapp sieben Prozent Leerstand gebe. „Allerdings wird dabei oft verschwiegen, dass darunter auch Ruinen sind“, sagt Bartels. Er schätzt, dass der vermietbare Leerstand unter zwei Prozent liegt. Darunter gebe es viele Wohnungen, deren Miete sich einige nicht leisten können.

Ohnehin steigen die Mieten kontinuierlich – in den vergangenen zwei Jahren um etwa fünf Prozent: Von 5,43 auf 5,70 Euro pro Quadratmeter im Schnitt. Die Äußere Neustadt und das Hechtviertel zählen zu den mittleren bis guten Wohnlagen. Dort liegt sie bei gut sechs Euro. Wenn die Wohnungen hochwertig ausgestattet sind bei 7,29 Euro. So die Angaben des aktuellen Mietspiegels. Die Realität sieht noch etwas schlimmer aus. Denn die Werte sind ein Durchschnitt der vergangenen vier Jahre. Aktuell wird - gerade für Neubauten – noch mehr verlangt.

„Das können sich aber nur Leute leisten, die deutlich über dem Durchschnitt verdienen“, sagt Stadtsoziologe Andrej Holm von der Humboldt-Universität Berlin. Daher gebe es eine Konkurrenz um bestimmte Wohnungen, was wiederum zum Preisanstieg führt. „Es ist ein Teufelskreis.“ Drei Mittel gebe es, um Leuten bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen: Zum einen die Steuerung durch Geld. Dazu gehören Zuschüsse wie Wohngeld. Laut Holm diene dies aber in erster Linie dazu, die Profitgier der Investoren zu befriedigen. Ein weiteres Instrument sei sozialer Wohnungsbau. Allerdings sind die Mietpreisbindungen hier immer nur für einen bestimmten Zeitraum festgeschrieben. Daneben gibt es rechtliche Instrumente wie die sogenannte Milieusatzung, bei der Investoren und Vermieter nur Genehmigungen für Maßnahmen bekommen, wenn sie gewährleisten können, dass das angestammte Milieu danach erhalten bleibt. Oftmals werde sich aber nicht an diese Regelungen gehalten, so Holm.

Ein Patentrezept für gerechte Mieten gibt es also nicht. Familie Zimmermann sucht weiter. Wenn sie in den nächsten Monaten keine neue Bleibe findet, wird sie erst mal in ihrer alten Wohnung bleiben – leisten kann sie sich das nur, wenn sie bei anderen Dingen Abstriche macht.