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Zeigt her eure Räder

Am Wochenende trafen sich 240 Liebhaber alter Zweiräder am Zentraler. Auch Brasilianer waren mit deutschen Modellen dabei.

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© Arvid Müller

Von Ulrike Keller

Weinböhla. Von einer Frage hat Armin Lindegger in diesem Kreise Urlaub: ob er auch normale Räder besitze. Darauf muss der Schweizer in seiner Heimat bei Luzern oft antworten, wenn er sich mit seinem historischen Vehikel in den Straßenverkehr begibt. Am Wochenende in Weinböhla haben alle Anwesenden nur Augen für eben solche Oldies wie sein J-Rad. Ein Sesselrad mit Seilzugantrieb. „Entwickelt hat es Paul Jaray in der Schweiz, aber gebaut wurde es 1921 in Deutschland“, erzählt der 50-jährige Eigentümer.

Gesellschaft erhält es von zwei weiteren deutschen Fabrikaten, ebenfalls aus den Goldenen Zwanzigern. Ihre Besitzer stammen aus dem fernen Brasilien. Diana Budnej ist mit einem Rad der Marke Opel von 1927 angereist, ihr Mann João mit einem Modell der Firma Corona von 1924. Das Paar handelt mit historischen Rädern, weil die in Südamerika zunehmend gefragt sind. Zum einen bei Museen, zum anderen bei Sammlern. Unter den kauffreudigen Privatleuten seien viele Deutsche, die nach 1945 ausgewandert sind, so Diana Budnej.

Schweiz, Brasilien ... Rund um den Zentralgasthof versammelt sich am Wochenende die halbe Welt. Weitere Gäste kommen aus Frankreich, Polen und Tschechien sowie aus allen Teilen Deutschlands. Die dreitägige Veranstaltung ist ein Fest für Liebhaber von zweirädrigen Raritäten.

Dass ausgerechnet das 200. Jubiläum der Fahrraderfindung mit der 120-jährigen Geschichte des Radsports in Weinböhla zusammenfällt, beschert der Gemeinde die Ehre, Gastgeber der Velocipediade 2017 zu sein. So heißt das bundesweite Treffen der Freunde historischer Fahrräder, das jedes Jahr an einem anderen Ort stattfindet und diesmal mit seiner 20. Ausgabe ebenfalls Geburtstag feiert. Die zungenbrecherische Wortschöpfung erklärt sich übrigens als Zusammensetzung von „Velociped“ für Fahrrad mit der Endsilbe von „Olympiade“. Denn Rennen gehören ebenso zum Programm wie verschiedene Touren.

Zur Kostümausfahrt am Sonnabend haben sich die rund 240 Teilnehmerinnen und Teilnehmer historisch in Schale geworfen. Armin Lindegger hat passend zum Baujahr seines J-Rads etwas Typisches aus den 20ern gewählt. Er nennt es eine „Arbeiterkluft“ von damals. Auch Diana und João Budnej orientieren sich am Modestil dieser Dekade: Einfache Schiebermütze trifft schlichten Strohhut.

Das Gegenteil von „besonders zurecht gemacht“ gilt wiederum für die Gefährte. Hier zählt Ursprünglichkeit, die jedem einzelnen Exemplar anzusehen sein soll. Je originaler es erhalten ist, desto besser, weil wertvoller. „Wir kaufen ein Rad in gutem Zustand, reinigen es und verkaufen es“, sagt Diana Budnej. Der Rahmen würde maximal mit einem speziellen Wachs behandelt. Mehr nicht. Sowohl das Opel- als auch das Corona-Modell geht in Kürze – in seine Einzelteile zerlegt – für einen höheren dreistelligen Preis nach Südamerika.

Armin Lindegger siedelt das J-Rad deutlich darüber an. Nur noch etwa 80 dieser Fabrikate existieren weltweit, zum Teil nicht mehr vollständig. Ihren Besitzern dient Armin Lindegger als zentraler Ansprechpartner. Zur Pflege nutzt er lediglich ein Ölspray, das man mit dem Lappen verreibt. Das soll verhindern, dass sich rostige Stellen verschlimmern. „In erster Linie unterhalte ich das Rad mechanisch“, sagt der Schweizer. Dabei müsse die Hinterradnarbe zerlegt und geschmiert werden. Ein mühsames Unterfangen, das Hintergrundwissen erfordert. „Ich habe den Aufbau genau studiert, bis ich alles verstand“, verrät der hauptberufliche Betriebsleiter einer Maschinenfabrik. Mittlerweile ereilen ihn Hilferufe aus allen Teilen der Erde. „Ich bin schon nach Finnland geflogen, um dort J-Räder zu reparieren“, berichtet er.

Um die längst weltumspannende Begeisterung für historische Räder weiß auch Steffen Stiller vom Radfahrerverein Weinböhla. „Südkorea baut zurzeit ein Fahrradmuseum, und das Welttreffen der Freunde historischer Fahrräder findet nächstes Jahr auf Bali statt“, sagt er.

Mit dem Festwochenende ging zugleich die von ihm organisierte Schau „200 Jahre Fahrraderfindung“ zu Ende. Seit der Eröffnung Mitte Mai kamen um die 2 000 Besucher. „Der Verein ist dadurch wieder etwas bekannter geworden“, resümiert er. „Und vielleicht ist die Ausstellung gar der Anfang eines Fahrradmuseums in Weinböhla.“