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Zehn Wolldecken für die Front

Bis zum Jahr 1943 tauchen nur Fragmente auf – doch sie sagen einiges über den Alltag aus.

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© Kristin Richter

Von Birgit Ulbricht

Großenhain. Aus den Akten ist ersichtlich – das Gefängnis war bis zur Schließung 1960 stets überbelegt. Teilweise waren um die 50 Gefangene hier, bei 19 ausgewiesenen Zellen. Das begann schon 1933, als Strafen bis zu drei Jahren in Großenhain abgesessen wurden. Nicht ohne Grund: Man wollte geeignete Häftlinge als Arbeitskräfte behalten. Namenslisten liegen aus dieser frühen Zeit keine vor. Was Schreiben und Akten noch über den Alltag sagen:

1935 bis 1943

Großenhain beschäftigt seine Häftlinge zunächst mit Federnschleißen. Wer auf seinen Prozess in U-Haft wartet und zu Verhören muss, kann nicht längere Zeit in ein Außenarbeitslager geschickt werden. Häftlinge, die länger da sind, müssen zudem auch Küchen- und Wäschedienste übernehmen. Am 24. Februar 1939 wird offiziell der Mangel an Arbeitskräften bekannt gegeben. Ab 30. November 1940 können auch U-Häftlinge auf Außenarbeit. In Großenhain ticken die Uhren dennoch anders. Noch immer heißt es: Federnschleißen. Der Generalstaatsanwalt ordnet erbost an, dass „Großenhain gefälligst kriegswichtige Arbeiten zu vergeben habe“. Die Zuweisung soll vom Landesarbeitsamt kommen.

Der Oberamtsrichter des Amtsgerichtes Großenhain meldet: Die Blechspulenfabrik Börner beauftragt ab dem 4. März 1942 das Deckeleinlegen von Konservengläsern für die Wehrmacht. Bis dahin werde man weiter Federnschleißen und Holzhacken für die Bevölkerung. Schon im Februar hatte es aber einen Erlass gegeben, der anwies, alle geeigneten U-Häftlinge auf Außenarbeit zu senden. Wer länger einsitzt, geht in die Ernte oder muss nun „Sonntags in die Kohle“. Die Züge werden am Bahnhof von den Gefangenen entladen – längst fehlen die Arbeitskräfte überall. Am 10. April 1942 schreibt Generalstaatsanwalt Reinicke dem Präsidenten des Landesarbeitsamtes Sachsen „zur Sache Großenhain“, er habe mit sofortiger Wirkung eine andere Arbeit zuzuweisen. Am 20. April 1942 kommt die Meldung: noch keine andere Arbeit.

Schließlich wird Bruno Starke in Kleinraschütz angewiesen, Heimarbeit zu beschaffen. Der meldet pflichtschuldigst: 2500 Paar Militärsockenränder zum Maschenauszupfen an das Gefängnis gegeben. Damit sind die Zellen-Insassen beschäftigt.

Kohlrüben statt Kartoffeln

Die Beköstigung wird genau berechnet und vorgeschrieben. Es gibt mehrere Erlasse zum Küchenplan. 1937 veröffentlicht das Institut für Konjunkturforschung einen Bericht zur Verbrauchslenkung für Gefängnisse – danach wird eingekauft. Demnach sind ab sofort Rot- und Weißkohl sowie Sauerkraut günstig abzugeben. Kohlsuppe wird auch in Großenhain Standard.

Ebenfalls 1937 erscheint das Gefängnis-Rundschreiben „Kampf dem Verderb“. Kartoffel-Schütten sind öfter auszulesen. Gekochte Pellkartoffeln werden nur noch in Ein-Personen-Netzen ausgereicht – keiner soll mehr bekommen. Im Februar 1939 werden in Großenhain Weißbrot und Semmeln nicht mehr an Gesunde ausgereicht.

Auch am Personal wird gespart: Nur wenn keine geeigneten Gefangenen zum Küchendienst da sind, darf eine Gefängnisköchin beschäftigt werden, „dann aber tunlichst die Ehefrau eines Aufsichtsbeamten“, so das Ministerium. In Großenhain sind das Magda und Wilhelm Fromm. Gefängsnisdienstleiter ist Oberwachtmeister Gesellhofer. Unterdessen spitzt sich die Versorgungslage zu. Am 22. Mai 1941 wird das bisherige Brot durch Roggenvollkorn ersetzt. Ab 27. Februar 1942 kommt ein weiteres Schreiben in Großenhain an: Kartoffeln sind jetzt so knapp, dass sie durch Kohlrüben zu ersetzen sind. Die Tagesration dafür beträgt nur noch 600 Gramm.

Unerwünschte Schriften

Die Gefangenenbücherei wird ab 1936 kontrolliert. Die Liste „unerwünschter Schriften“ ist bei der Reichsschrifttumkammer einsehbar – sie wird ausdrücklich nicht veröffentlicht. Verboten werden ausländische sowie christliche Schriften, außer der Bibel. Bei Erzählbänden ist jede einzelne Geschichte zu kontrollieren. Großenhain meldet: keine unerwünschten Bücher.

Am 15. August 1940 kommt der Polenerlass auch für Großenhain: Polen und Juden werden von den restlichen Gefangenen getrennt, jegliche Schriften verboten. Schwangere und Kranke dieser Gruppen erhalten keine erhöhte Essensration mehr. Großenhain meldet daraufhin am 8. November 1941 den Bedarf für einen Judenstern und zwei Polenkennzeichen.

Briefe, wenn sie überhaupt geschrieben werden, unterliegen der Zensur. Es sei aufgefallen, heißt es 1936 in einem Dokument, dass viele Schreiben „Leitsätze des Nationalsozialismus in phrasenhafter Weise verwenden“. Als Beispiel ist ein Brief angeführt, in dem ein Gefangener schrieb: „Ich und mein Führer sind eins.“ Solche Post „könne peinliches Aufsehen erregen, da sie in abstoßendem Überschwang und mit innerer Unwahrhaftigkeit verfasst sei.“ Dies sei konsequent zu unterbinden.

Holzschuhe statt Lederschuhe

Die Gefangenen waschen und reinigen die Wäsche im Gefängnis selbst. In Großenhain wird auf einer hauseigenen Wäschemangel gerollt. Gebügelt wird zur Sicherheit nicht. Jegliche Uniformteile oder lange Stiefel, die auf das Erscheinungsbild der NSDAP hinweisen, dürfen per Erlass nicht getragen werden. Am 6. Juli 1937 erhält das Gefängnis Großenhain einen Erlass, dass der Bezug von Klosettpapier einzustellen ist, „die Aushändigung von Zeitungspapier genügt“. Schließlich werden selbst die Gefängnisse nach Brauchbarem durchsucht.

Bis 25. Januar 1940 muss Großenhain alle verfügbaren Mäntel, Schuhe und Fußlappen für Männer melden, die sechs Monate nicht gebraucht werden. Am 15. Februar 1940 folgt der Befehl: Leder- durch Holzschuhe zu ersetzen. Bis 27. März 1940 muss auch Großenhain melden, welche Eisen-Bettgestelle für Vollzugsanstalten in den eroberten Ostgebieten entbehrlich sind. Im Juni 1941 folgt die Erfassung von Beute- und Altschuhwerk, im Januar 1942 eine Wollsammlung für die Front. Das Gefängnis gibt am 19. Januar bei der NSDAP-Kreisleitung Folgendes ab: 10 Wolldecken, 25 Hemden, 10 Unterhosen, 70 Paar Socken. An dieser Stelle enden die Einträge.

Großenhain: kein Fleckfieber

Am 27. Januar 1938 weist der Anstaltsarzt das Wachpersonal an, Häftlinge bei jeglichen Fällen dem Anstaltsarzt vorzustellen. Ein Gefangener hatte in der Ernte ins Gebläse der Dreschmaschine gegriffen und sich die Finger zertrümmert und gemeint, das sei nicht so schlimm und war weitere acht Tage auf Außenarbeit geblieben. Anschließend hatte er eine Infektion.

Am 16. Mai 1941 wird Großenhain darauf hingewiesen, dass das Fleckfieber grassiert. Sofort bei Einlieferung sind die Häftlinge zu baden. Großenhain meldet, der Badekessel habe ein Loch, auch die Feuerung sei „total kaputt“. Ebenso sei die Feuerung im Waschhauskessel defekt. Und schließlich sei auch der Desinfektionsschrank unbrauchbar. Großenhain beantragt beim Landesbauamt Dresden eine Reparatur, weil man doch derzeit „sehr viele ausländische Gefangene im Wechsel habe“. Am 31. Mai antwortet die Baubehörde nur, Großenhain solle sich selbst darum kümmern.

Schlossermeister Zech aus Großenhain bekommt daraufhin den Auftrag, den Desinfektionsschrank zu reparieren. Ofensetzmeister Oskar Haucke aus der Amalienstraße muss einen neuen Waschkessel mit gusseisernem Kesseleinsatz mauern. Die Anstaltsleitung meldet wenig später: kein Fleckfieber und schließlich am 4. Juni 1941 auf Anfrage des Ministeriums: keine Tuberkulosefälle. Wie es danach weitergeht, bleibt ungewiss. Die Akten bis 1946 fehlen.

Den ersten Teil der Großenhainer Knastgeschichten finden Sie hier.