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Zappelphilipp in Behandlung

Jeder vierte Schulanfänger hat Probleme in der Motorik oder beim Sprechen. Doch wie viel Therapie braucht ein Kind?

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© Christian Juppe

Von Nora Domschke

Wenn Dominik lacht, strahlen seine blauen Augen. Auf den ersten Blick ist dem hübschen Blondschopf nicht anzusehen, dass er unter einer sogenannten Tic-Störungen leidet. Der Elfjährige wirkt offen und neugierig. Interessiert schaut er seine Ergotherapeutin Janette Tamme an, absolviert geduldig die Übungen auf dem Gymnastikball und balanciert anschließend geschickt auf der Wippe. Diese Übungen sind wichtig für ihn, denn damit soll er lernen, sich auf etwas zu konzentrieren und Ruhe zu finden. Dominik ist hochsensibel – eine Diagnose, der jahrelange Untersuchungen vorausgegangen sind. „Die Ärzte vermuteten zunächst ADHS“, erzählt seine Mutter Antje Pawlowski.

Die Grunaer Praxis von Janette Tamme liegt gleich neben der Wohnung von Dominiks Familie. „Ein riesiges Glück für uns“, sagt Mama Antje. Denn seit ihr Sohn bei der Therapeutin in Behandlung ist, gehe es ihm deutlich besser. Er hat einen großen Freundeskreis, ist sehr hilfsbereit, kontaktfreudig, hat in der fünften Klasse an der Oberschule einen Notendurchschnitt von 1,9. „Das sind alles keine typischen Symptome für ADHS“, bestätigt Janette Tamme. Dennoch reagiert Dominik in aufregenden oder stressigen Situationen mit Tics. Dann macht er Geräusche, hat mitunter auch seine Bewegungen nicht unter Kontrolle. Seine Mitschüler kommen damit aber gut zurecht und lassen ihn nicht spüren, dass er anders ist, berichtet der Junge.

Längst nicht alle Dresdner Kinder, die bei einem Ergotherapeuten in Behandlung sind, zeigen derartige Auffälligkeiten wie Dominik. Bereits bei der Vorschuluntersuchung wird etwa Eltern von Linkshändern empfohlen, sich von einem Ergotherapeuten zu diesem Thema beraten zu lassen. Ein Trend, der sich offenbar durchsetzt: Eine deutschlandweite Forsa-Umfrage der Techniker Krankenkasse hat ergeben, dass jedes fünfte Schulkind zwischen sechs und 18 Jahren in ergotherapeutischer Behandlung war, jedes vierte erhielt eine Sprachtherapie beim Logopäden.

Das zeigt auch der Heilmittelbericht der AOK, der für das Jahr 2016 erstellt wurde: Zehn Prozent der bei dieser Krankenkasse versicherten Jungen zwischen fünf und neun Jahren wurden ergotherapeutisch behandelt, 15 Prozent erhielten eine Sprachtherapie. Unter den Mädchen waren es vier Prozent beziehungsweise zehn Prozent. Gleiches gilt für Dresden: Zehn Prozent der Vorschulkinder befanden sich schon vor der Schulaufnahmeuntersuchung für das Schuljahr 2015/16 in logopädischer, vier Prozent in ergotherapeutischer Behandlung. Jedes vierte Kind zeigte bei den Tests Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung.

Dabei sind diese Zahlen in Dresden seit Jahren unverändert. Das zeigt der zweite Dresdner Bildungsbericht. Er basiert auf Untersuchungen aus den Schuljahren 2011/12 und 2012/13. Auch damals hatte rund ein Viertel des Dresdner Nachwuchses Sprachprobleme. Und der Bericht zeigt noch etwas anderes auf: Insbesondere Kinder aus sozial schwachen Familien sind sprachlich oft unterentwickelt.

So konnten sich rund 40 Prozent der Schulanfänger, die in Prohlis leben, bei der Vorschuluntersuchung nicht altersgerecht ausdrücken. Das schlägt sich auch im hohen Anteil an Kindern nieder, die von den Ärzten keine Grundschulempfehlung bekommen haben. Zwar gab es im Vergleich zu den Vorjahren einen Rückgang – dennoch lag Prohlis-Süd mit über 25 Prozent deutlich über dem Stadtdurchschnitt von elf Prozent. Auf Platz zwei und drei der Stadtteile mit den meisten Kindern ohne Grundschuleempfehlung lagen Prohlis-Nord und Reick.

Im sachsenweiten Vergleich schneiden die Dresdner Kinder hingegen gut ab. Haben in der Landeshauptstadt etwa 26 Prozent der Kinder Sprachprobleme, sind es in Leipzig 32 Prozent, in Chemnitz sogar fast 44 Prozent.

Nicht jeder Kindermediziner hält indes Behandlungen bei Logopäden und Ergotherapeuten für nötig. „Es gibt sicherlich Fälle, wie etwa bei Linkshändern, bei denen Ratschläge für den Alltag durch einen Experten durchaus hilfreich sind“, sagt die Leipziger Kinderärztin Barbara Teichmann. Als Sprecherin vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Sachsen beobachtet auch sie den Trend, Problemkinder vorschnell in Therapie zu schicken. Zum Beispiel, wenn ein Kind in der Schule nicht ruhig sitzt. „Dabei können Lehrer und Eltern selbst einiges tun“, erklärt Teichmann. Sie rät Eltern dazu, einfach mal zum altmodischen Brettspiel, wie Mühle oder Mensch-ärgere-dich-nicht, zu greifen. Damit wird die Konzentration gefördert, beim Basteln die Fingerfertigkeit. Vor allem sei es wichtig, betont die Expertin, dass die Eltern sich Zeit für ihre Kinder nehmen, den Alltagsstress bei gemeinsamen Unternehmungen ausblenden. „Viel miteinander reden, sich gegenseitig richtig zuhören ist das A und O“, sagt Teichmann. In der Schulzeit sei für viele Kinder vor allem der Ausgleich zum Unterricht durch Sport wichtig.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt unter anderem Tipps zu altersgerechter Entwicklung, Spielen, gesunder Ernährung und Krankheiten:

www.kindergesundheit-info.de