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Zähltag an der Elbe

Wie zählt man eigentlich Wasservögel? Die sehen doch alle gleich aus und halten nicht still? Die SZ löst das Rätsel.

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© Sebastian Schultz

Von Dörthe Gromes

Landkreis. Es ist ein trüber, wolkenverhangener Sonntagvormittag im Oktober: Windstill, kein Regen, nicht sehr kalt – perfektes Wetter zum Vogelzählen. Treffen mit Peter Kneis, der mit Wetterkleidung, Fernglas und Notizbuch daherkommt, am Hotel Moritz unweit der Elbe. Der passionierte Ornithologe ist einer von Hunderten, die sich in ganz Europa an diesem Tag ehrenamtlich auf den Weg gemacht haben, um Wasservögel zu zählen – und das bereits seit 50 Jahren. So lange gibt es die Internationale Wasservogelzählung schon und Peter Kneis ist von Anfang an dabei.

Noch ist es ruhig auf dem Wasser, nur ein kleiner Schwarm fliegt über die Elbe bei Riesa. Hier überwintern viele Wasservögel aus Osteuropa.
Noch ist es ruhig auf dem Wasser, nur ein kleiner Schwarm fliegt über die Elbe bei Riesa. Hier überwintern viele Wasservögel aus Osteuropa. © Sebastian Schultz

Es geht los, Schafe grasen friedlich an der Elbe. Da unterbricht der Naturkenner plötzlich das Gespräch, zückt das Fernglas und notiert eine Graugans in seinem Büchlein. Auch den Turmfalken, der über dem nahen Acker kreist, registriert er. Gezählt wird der allerdings nicht – er ist ja kein Wasservogel.

Länderübergreifendes Puzzle

Die Internationale Wasservogelzählung, die während der Wintermonate an sechs festgelegten Sonntagen stattfindet, muss man sich wie ein länderübergreifendes Puzzle vorstellen: Alle größeren Flüsse und Seen werden in Zählabschnitte aufgeteilt, die jeweils eine Person allein bewältigt. Bei Peter Kneis sind das acht Kilometer zwischen Leckwitz und Promnitz. Seine zwölf Kollegen vom Verein Pro natura Elbe-Röder zählen auf der übrigen Strecke, insgesamt 33 Kilometer entlang der Elbe zwischen Diesbar und Mühlberg sowie im Röder-Teichgebiet. Ihre Ergebnisse geben sie an eine Meldestelle, die wiederum die sachsenweiten Zahlen an die „Zentrale für Wasservogelforschung und Feuchtgebietsschutz in Deutschland” weiterleitet. Die Ergebnisse aus den verschiedenen europäischen Ländern werden dann von der internationalen Dachorganisation „Wetlands International” zusammengefasst. Auf diese Weise erfahren die Wissenschaftler, wie viele Wasservögel in Europa überwintern, und wie sich die Bestände der einzelnen Arten entwickeln.

Jetzt im Oktober ist noch nicht viel los auf dem Wasser. Nur vereinzelt sind Vögel zu sehen. „In einem harten Winter, wenn es in Osteuropa richtig kalt ist, können schon mal rund 500 Stockenten pro Kilometer vorkommen. Dann hat man als Zähler richtig Stress“, berichtet Peter Kneis, der vor seiner Pensionierung in der Umweltverwaltung tätig war. „Allerdings kommt es nicht darauf an, wirklich jeden einzelnen Vogel zu registrieren. Bei größeren Schwärmen muss man schätzen.“ Erfahrung spiele eine große Rolle bei der Zählung und sei wichtiger als ein spezieller beruflicher Hintergrund.

Noch keine Mengen an Wintergästen

Vorsichtige Annäherung durch die morgenfeuchten Elbwiesen an die Lache bei Moritz, einem kleinen Nebengewässer der Elbe, das viele Vögel nutzen, um sich zu versammeln. Auf einmal scheucht ein vorbeifahrendes Boot einen großen Schwarm Stockenten auf. Peter Kneis hat Mühe, mit dem Zählen hinterherzukommen. Etwa 70 Tiere schätzt er. Da die Vögel nun einmal nicht festgenagelt auf dem Wasser sitzen, sondern ständig in Bewegung sind, ist es eine Herausforderung, Doppelzählungen zu vermeiden.

Dabei hilft ihm sein profundes Wissen über die Verhaltensweisen der Tiere: „Stockenten zum Beispiel bewegen sich meist nur in einem Radius von etwa zwei Kilometern hin und her.“ Außerdem tauscht sich der promovierte Biologe mit den Kollegen aus, die ober- und unterhalb seines Abschnittes zählen, um vorbeiziehende Vogelschwärme nicht doppelt zu verbuchen.

Die Tagesbilanz auf Peter Kneis‘ Abschnitt besagt: 302 Stockenten, 58 Pfeifenten, zwei Krickenten, 17 Graureiher, 12 Kormorane, 73 Saatgänse, eine Graugans, 60 Kiebitze, 20 Möwen in drei bis vier Arten und zwei Eisvögel. „Ein normales Oktoberbild an der Elbe, schon etwas Zuzug, aber noch keine Mengen an Wintergästen.“