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Zäher Eisenmann

Werner Dutschke gilt als Pionier im sächsischen Triathlon. Mit fast 80 schafft er noch einmal eine Langdistanz.

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Von Michaela Widder

Die alte Bürstenfabrik ist sein Reich. An den Wänden kleben Marathon-Plakate, einige sind längst vergilbt. Mit den zig Urkunden und den Medaillen überall wirkt die einstige Werkstatt wie ein kleines Sportmuseum. Doch eingestaubt sind höchstens die Pokale. Hier ist Leben. Werner Dutschke schwitzt an seinem selbst gebauten Seilzug, danach macht er noch ein paar Klimmzüge im Türrahmen.

Am selbst gebauten Seilzug in der Werkstatt trainiert Werner Dutschke seine Armkraft. Auch ein paar Klimmzüge an der Stange im Türrahmen schafft er noch locker.
Am selbst gebauten Seilzug in der Werkstatt trainiert Werner Dutschke seine Armkraft. Auch ein paar Klimmzüge an der Stange im Türrahmen schafft er noch locker. © kairospress

Die untere Etage seines Hauses in Stützengrün im Erzgebirge ist schon seit Jahren umfunktioniert zum Hobbyraum. Ab und zu bastelt er dort an seinem Rennrad, das er sich Anfang der Neunzigerjahre gekauft hat. Auf der Leine quer im Raum hängen bedruckte Handtücher von Triathlonveranstaltungen. Bei einem Sportler falle ja viel Wäsche an, sagt Gisela Dutschke und meint damit ihren fast 80-jährigen Mann. Der ist Triathlet aus Leidenschaft – und sie sein größter Fan, eine Unterstützerin aus Leidenschaft.

Im Sommer sind sie fast jedes Wochenende unterwegs zu einem Wettkampf und übernachten dann in ihrem kleinen Igluzelt. „Bei uns sitzt jeder Handgriff. Wir sind ein eingespieltes Team. Das ist alles sehr harmonisch. Wir haben uns noch nicht einmal richtig gezankt“, berichtet Gisela Dutschke aus 53 Ehejahren. Auch zum Jahreshöhepunkt vor zwei Wochen reisten sie als Camper ins fränkische Roth.

Werner Dutschke will es noch einmal wissen. Er ist mit seinen 79 Jahren der älteste der 3 400 Teilnehmer, die am 7. Juli über die Ironman-Distanz starten. Der längste Tag des Jahres beginnt 6.30 Uhr. Das Schwimmen läuft besser als erwartet. Nach 2:01 Stunden hat er die 3,8 Kilometer geschafft. Er wechselt auf sein museumsreifes Stahlrad, mit dem er viele Blicke auf sich zieht. Die Leute hätten ihn schon vor zehn Jahren gefragt, ob er damit wirklich in Roth starten wolle. Knapp siebeneinhalb Stunden braucht er für die 180 Kilometer.

Umarmung von einem Fremden

Der Marathon ist seine liebste Disziplin, 38 Mal war er beim Rennsteiglauf. Doch an diesem Sonntag hat er in der zweiten Runde zu kämpfen, „einen Fuß vor den anderen zu kriegen“. 50 Meter gehen, 50 Meter Laufen ist irgendwann sein Rhythmus. „Nach 30 Kilometern sah er ganz schön alt aus“, findet seine Frau. Doch aufgeben ist auch für ihn bei seiner vierten Langdistanz keine Option: „Ich habe nur gerechnet, was ich laufen muss, damit ich vor dem Zielschluss da bin.“ Der ist offiziell 22.55 Uhr.

Plötzlich umarmt ihn ein ausländischer Teilnehmer, der im Überschwang der Gefühle seine Anerkennung für den drahtigen Rentner auf diese Art zeigt. Das motiviert ihn noch einmal, wie auch die vielen Zurufe. 22.16 Uhr erreicht Dutschke das Ziel – nach 15 Stunden, 46 Minuten und 50 Sekunden. Ein Neuseeländer und ein US-Amerikaner – der eine 20, der andere 45 Jahre jünger – kommen noch nach ihm an. „Ich bin froh, dass ich nicht Letzter geworden bin“, meint er, „aber das war trotzdem meine letzte Langdistanz.“

Das blaue Finisher-Shirt trägt der braungebrannte „Eisenmann“ noch fünf Tage danach. Der Pokal für den Sieg bei den 80-Jährigen steht in der Sammlung in der vordersten Reihe. Der Schmerz vergeht, der Stolz aber bleibt. So wie immer.

Noch hat der dreifache Opa keine Zeit gefunden, alle Zahlen vom großen Rennen in seinen Computer zu tippen. Er ist ein Statistik-Freak, wie er im Buche steht. Ohne Plan geht es bei Triathleten nicht, und das ändert sich auch im Alter nicht. Der Entwicklungsingenieur, der früher in der Datenverarbeitung arbeitete, protokolliert in einem Excel-Dokument alle für ihn relevanten Daten: Trainings- und Wettkampfkilometer sowieso, dazu Datum, alle Zeiten, durchschnittlicher Puls, Höhenmeter, sogar Kosten für den Sport wie den Sprit für die Fahrten. „So wissen wir, wo das Geld ist, was wir nicht haben.“

Zu Hause bei den Dutschkes scheint die Zeit in den Siebzigerjahren stehen geblieben zu sein. „Ich akzeptiere, dass meine Frau nichts wegschmeißen kann.“ Dafür hat Gisela Dutschke das größte Verständnis, wenn es um den Sport ihres Mannes geht. Ein paar Versuche braucht man, um ihn zu Hause am Telefon zu erreichen. Meistens ist er trainieren.

871 Wettkämpfe hat Dutschke in seinem Leben bestritten, umgerechnet sind das 2  711 Stunden oder 112 Tage mit 24 Stunden Nonstop-Sport. Schon seit 1979 listet er alle Wettkämpfe auf. Zum Triathlon ist der gebürtige Leipziger durch einen Zufall gekommen. Er hatte in der Messestadt an einem Baum einen Zettel entdeckt mit dem Hinweis auf einen Ausdauerdreikampf. Der Name Triathlon war in der DDR wegen seiner westlichen Herkunft verpönt, dieser Sport wurde nicht gefördert.

Dutschke war passionierter Segler und Läufer, so ein Dreikampf reizte ihn. Als am 30. Juni 1984 die Premiere des Leipzig-Triathlons stattfand, war er dabei. „Es war furchtbar kalt, und die Schwimmstrecke musste um die Hälfte auf 600 Meter verkürzt werden“, erinnert er sich.

Dutschke war jedes Jahr am Kulkwitzer See, und er wird auch bei der 34. Auflage am Sonntag nicht fehlen. Dass sein Ironman dann erst zwei Wochen zurückliegt, stört nicht. „Es ist ja nicht so, dass ich gewinnen will“, sagt der Senior und lacht. Eine Altersobergrenze hat er sich nicht gesetzt, sagt aber: „Wenn ich der Letzte bin und den Vorletzten nicht mehr sehe, ist Schluss.“ Er erinnert sich an einen „Sportkameraden, auf den musste die Wettkampfleitung meist ewig warten“. In die Situation wolle er mal nicht kommen. Dann werden die Dutschkes nur noch radeln und zelten – ohne diesen Wettkampfstress.