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„Wurzeln nutzen jeden Platz“

Der Fußweg an der Hohen Straße ist dicht, weil Baumwurzeln das Pflaster beschädigt haben. Heutzutage würde man anders planen, sagt eine Expertin.

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© Screenshot SZ

Frau Reichwein, in Riesa sorgen von Baumwurzeln zerstörte Fußwege für Ärger. Wahrscheinlich ein Problem, mit dem Sie öfter konfrontiert sind?

Dr.-Ing. Sabine Reichwein, forscht an der Uni Hannover unter anderem zum Umgang mit Wurzeln unter Wegebelägen.
Dr.-Ing. Sabine Reichwein, forscht an der Uni Hannover unter anderem zum Umgang mit Wurzeln unter Wegebelägen. © privat

Schäden wie diese sind in unterschiedlicher Ausprägung sehr gängig, ja.

Wenn Sie sich das Foto ansehen: Welche Probleme erkennen Sie, was die Bauweise des Fußweges angeht?

Vorweg muss ich sagen: Es ist schwer, anhand eines Bildes ein Urteil zu fällen. Aber man erkennt, dass die Randeinfassung hochgedrückt und der Wegebelag aufgeworfen ist. Die Bäume wurden einst direkt hinter den Bordstein gepflanzt. Das Mosaikpflaster passt ganz gut zu den Häusern. Und weil es kleinteilig ist, sind die Stolperkanten nicht so hoch. Wären dort große Platten aufgebracht, dann hätten wir dort ganz andere Schäden!

Würde man die Bäume heute noch so pflanzen wie dort?

In der Zeit, als die Bäume gepflanzt wurden, gab es vermutlich weder Bauweisen, um dem Baum den notwendigen Platz im Boden zu schaffen, noch die dazu gehörigen technischen Regelwerke. Heute ist das anders. Dann wird zum Beispiel eine Schicht aus speziellen Baumsubstraten eingeplant, in der sich die Baumwurzeln ausbreiten können. Ganz früher hatten die Straßen übrigens noch viele Hohlräume im Unterbau, in denen Wurzeln wachsen konnten, da waren Schäden vermutlich seltener.

Ist der Baum – wohl eine Ahornart – überhaupt für die Straße geeignet?

Es gibt offizielle Empfehlungen für Straßenbaumarten, da sind auch einige Ahornarten gelistet. Ahorn ist also eigentlich ein guter Straßenbaum. Im Hinblick auf Belagsanhebungen kommt es aber ohnehin weniger auf die Art an.

Worauf dann?

Auf die Frage, wie groß und wie starkwüchsig der Baum ist. Sie müssen sich vorstellen, dass das Volumen der Baumkrone noch einmal im Boden zu finden ist. Die Kommunen müssen also schon bei der Pflanzung bedenken: Wie groß ist der Baum nach 60 Jahren? Das ist etwa die durchschnittliche Lebenserwartung eines Straßenbaums.

Aus der Schulzeit ist mir noch die Unterscheidung nach Flach- und Tiefwurzlern ein Begriff ...

Die greift in der Stadt aber nicht. Die Bäume haben dort zu wenig Platz, um sich ungehindert entwickeln zu können. Sie müssen nur einmal bei Tiefbauarbeiten hinsehen, wie unregelmäßig der meist stark verdichtete Boden dort durchwurzelt ist: Mit normalem Boden ist das nicht zu vergleichen. Die Wurzeln nutzen jeden Platz, den sie bekommen können, unter anderem auch die Pflasterbettung.

Was können denn Städte und Gemeinden tun, wenn die Wurzeln den Asphalt beschädigen? Lassen die sich einfach wegsägen?

Starkwurzeln haben statische Funktion, von denen sollte man tunlichst die Finger lassen. Wer daran herumsägt, schädigt nicht nur den Baum, sondern riskiert, dass er ihm eines Tages vor die Füße fällt. Dünnere Wurzeln unter Gehwegen zu entfernen, ist hingegen ein gängiges Verfahren, um Unebenheiten zu regulieren. Aus Baumsicht problematisch, aber die Kommunen sind nun einmal verkehrssicherungspflichtig. Also sucht man einen Kompromiss. Außerdem gibt es die Möglichkeit, nachträglich Wurzelraum zu schaffen. Dafür müssen Flächen entsiegelt und mit Baumsubstrat verfüllt werden. In dem Riesaer Fall sieht es so aus, als wäre dafür wenig Platz. Dann müssten wohl Parkplätze wegfallen. Außerdem stellt sich immer die Frage nach dem Aufwand. Wobei: Baum fällen und neu pflanzen kostet auch Geld.

Vollständig vermeiden lassen sich derartige Schäden aber offenbar nicht?

Nicht mit vernünftigen Mitteln. Wir müssen wohl damit leben. Wobei man bedenken sollte, dass Bäume angesichts des Klimawandels eine immer wichtigere Rolle spielen werden. Gerade für das Stadtklima sind sie von Bedeutung, weil sie Schatten spenden und Wasser verdunsten. In einer Stadt ohne Bäume würde es für uns Menschen gerade im Sommer unerträglich – da sind angehobene Wegebeläge das kleinere Problem!

Das Interview führte Stefan Lehmann.