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Wolke sieben ist dunkelgrau

Mit ihrem neuen Partner Bruno Massot will Aljona Savchenko Olympiagold holen. Doch der Traum droht zu platzen.

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Von Jörg Röhrig

Spätsommer 2014. Eigentlich sollte Eiskunstlaufstar Aljona Savchenko in Florida sein. Zum Training im Ice Dome Coral Springs. Gemeinsam mit ihrem neuen Partner Bruno Massot aus Frankreich und Trainer Ingo Steuer. Bis Ende September. Stattdessen sitzt Aljona in Chemnitz, Massot irgendwo in seiner französischen Heimat. Wieder einmal kommt alles anders. Seit der Trennung und dem bitteren Rosenkrieg mit Ex-Partner Robin Szolkowy läuft kaum etwas wie gewünscht bei dem neu zusammengestellten Chemnitzer Trio.

Gute Miene zum bösen Spiel: Nach ihrem fünften WM-Titel sind Ingo Steuer (l.), Aljona Savchenko und Robin Szolkowy längst zerstritten.
Gute Miene zum bösen Spiel: Nach ihrem fünften WM-Titel sind Ingo Steuer (l.), Aljona Savchenko und Robin Szolkowy längst zerstritten. © Jens Röhrig

Olympiasieg 2018 – mit diesem Ziel hatten sich Savchenko, Massot und Steuer im Frühjahr zusammengefunden. Nach den ersten Trainingseinheiten in Berlin erklärte der Coach, dass es passt und er bei Aljona endlich wieder das Glänzen ihrer Augen sehe. Auch die fünffache Weltmeisterin hob ab, direkt auf Wolke sieben. „Wahnsinn, mit Bruno kann ich alles erreichen“, meinte die gebürtige Ukrainerin jubelnd. Der junge Franzose stimmte artig ein, es sei eine große Ehre, mit einem Star wie Aljona zu trainieren und zu starten.

Sperre von zwei Jahren droht

Doch Wolke sieben verdunkelt sich schnell. Zuerst steht die Frage, für welche Nation das neue Duo starten soll. Für Deutschland? Für Frankreich? Den Athleten schien das zweitrangig zu sein; Hauptsache, sie dürfen zusammen aufs Eis. Trotzdem erklärt das Trio Deutschland zur „1-A-Lösung“. Da gibt es ein Problem. Dem Nationenwechsel folgt eine Sperre für internationale Meisterschaften: ein Jahr, sofern der abgebende Verband zustimmt; zwei Jahre, wenn er keine Freigabe erteilt.

Der französische Verband weigert sich. Zwei Jahre Zwangspause also, falls das Duo für Deutschland an den Start geht! Kein Problem, erklären die Chemnitzer. Maßgeblich zu dieser Erkenntnis hatte ein Besuch von Savchenko in Caen, der französischen Heimat Massots, beigetragen. Die Bedingungen dort „seien katastrophal, mit denen in Chemnitz nicht ansatzweise zu vergleichen“. Mittlerweile ist Frühsommer. Massot zieht nach Chemnitz. Trainiert wird, bis das Eis in der Halle im Küchwald abgetaut ist. Nun schiebt sich eine andere Frage immer mehr in den Vordergrund: Wer bezahlt das ganze Projekt?

Die Deutsche Eislauf Union (DEU) hält sich bedeckt. Dabei hatte sogar das Bundesinnenministerium den Weg freigemacht mit einer überraschenden Rolle rückwärts. Nach jahrelanger Drohung, die Fördermittel zu streichen, wenn der Verband den als IM der Stasi enttarnten Trainer anstellt, wird im Juni die Arbeitserlaubnis für Ingo Steuer erteilt. Doch die DEU lässt die Chance bis heute ungenutzt. Das ist nicht nur für den Trainer, unbestritten einer der weltbesten, absolut unerklärlich, das heißt, eine Erklärung gäbe es: die finanzielle Notlage des Verbandes.

Die Situation verschärft sich. Aljona Savchenko verliert ihren Hauptsponsor, eine große Schweizer Versicherungsgruppe. Die nationale Förderung, die ohnehin nur im unteren dreistelligen Bereich pro Monat liegt, läuft zum Jahresende aus. Bruno Massot wird wegen seiner Wechselabsichten in Frankreich die Unterstützung versagt, und im deutschen Fördersystem ist er noch nicht platziert. Wie sollen wir das alles bezahlen?, fragen sie sich.

Ende Juli. Das Trio fliegt nach Amerika. „Ich habe alles erst einmal privat finanziert“, sagt der Coach, und er versucht sich im Schalk: „Für die Hängepartie können ja meine beiden Babys nichts.“ In Florida scheint nicht nur die Sonne. Es wird hart trainiert, die sportlichen Fortschritte des Duos sind unübersehbar. „Wenn ich diese Entwicklung der beiden sehe, das ist Wahnsinn“, hatte Steuer schon in Deutschland erklärt.

Im „Sunshine State“ posieren sie in den Everglades mit kleinen Alligatoren, die Laune scheint bestens zu sein. Die Sorgen bleiben, Wolke sieben ist inzwischen dunkelgrau. Überraschend, aber folgerichtig wegen der belastenden finanziellen Situation fliegen Savchenko und Massot Anfang September zurück nach Europa. Das Training wird viel zu zeitig beendet. Spekulationen über eine vorzeitige Trennung des Paares widerspricht Savchenko energisch: „Das ist völliger Unsinn!“

Eine weitere Nachricht drückt auf die Stimmung. Ex-Partner Szolkowy arbeitet nun als Trainer in Moskau; ausgerechnet im Team von Meistertrainerin Nina Mozer. Mozer coacht das Olympiasieger-Paar Tatjana Volozoshar und Maxim Trankow. Die ehemals schärfste Konkurrenz von Savchenko/Szolkowy, zu der ihnen auch eine starke persönliche Abneigung nachgesagt wurde. „Es ist interessiert mich wirklich nicht, was Robin jetzt macht“, verkündet Savchenko trotzig. Im engsten Kreis ist aber von Sabotage die Rede.

Der Hintergrund ist tatsächlich von erheblicher Brisanz: Jahrelang hatten Savchenko, Szolkowy und Steuer zusammen mit Wissenschaftlern an ihren Programmen gefeilt. Vor allem an den Würfen wie dem weltexklusiven vierfachen Wurfaxel. Genau diese Details könnten jetzt mit nach Russland gehen…

Hilfsaktion für die Heimat

Anfang September. Aljona Savchenko fliegt für eine Woche in ihre ukrainische Heimat zur Familie nach Obuchov. Das ist Provinz. Knapp einhundert Kilometer von Kiew entfernt. Arbeit gab es hier schon vor der Krise nicht. Jetzt geht es nur noch ums Überleben. Savchenko ist entsetzt. „Wenn ich das sehe, vor allem wie es den Kindern und den älteren Menschen geht…“ Die Stimme versagt unter Tränen. Gemeinsam mit einer Freundin und dem DRK startet sie eine Spendenaktion. Sie hilft ihrem Heimatland, und – so makaber das klingen mag – es ist zugleich Ablenkung von den Sorgen um die eigene Karriere.

Plötzlich rückt ein Thema in den Vordergrund, das sie noch weit von sich schieben wollte: die Zeit nach ihrer Laufbahn. Gestern begann Aljona Savchenko ihre Ausbildung als Eiskunstlauf-Trainerin in Dortmund. Die Voraussetzungen, sich ihren Traum vom Olympiagold als Läuferin doch noch zu erfüllen, sind zurzeit einfach nicht gegeben.