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Wohnungen werden knapp

Damit jeder eine Bleibe findet, müssen Tausende Neubauten entstehen. Die Flächen sind aber rar.

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© Sven Ellger

Von Sandro Rahrisch und Annechristin Bonß

Endlich genug Platz für die große Familie: Evi Lempe und Marco Hoffmann ziehen in ihre neue Wohnung im Dresdner Westen. Drei Kinder und ein Hund gehören dazu. Die Jüngste ist gerade erst geboren. Mit der Fünf-Raum-Wohnung im modernen Neubaukomplex an der Wilhelm-Rabe-Straße haben sie endlich ein Heim gefunden, das groß genug ist. Die Eisenbahner-Wohnungsbaugenossenschaft (EWG) hat in den vergangenen anderthalb Jahren die Fläche neben dem Einkaufsmarkt bebauen lassen. Auch hier im Dresdner Westen verschwinden immer mehr freie Brachen. Aber reicht das, um in den nächsten Jahren allen ein Heim bieten zu können?

Rund 52 200 Wohnungen müssen bis 2030 zusätzlich gebaut werden. Zu dieser Einschätzung kommt das Immobilienunternehmen Aengevelt. Das wären rechnerisch 3 700 Wohnungen, die private Investoren, Genossenschaften oder die neue städtische „Wohnen in Dresden“ (WiD) pro Jahr schaffen müssten. Grundlage ist die Bevölkerungsprognose des Freistaates. Die optimistische der beiden Varianten rechnet in zwölf Jahren mit fast 592 000 Einwohnern. „Dass Dresden für Menschen vieler Altersklassen immer interessanter wird, zeigt die Entwicklung der letzten Jahre“, sagt Frank Korablin von Aengevelt.

Aber nicht nur der Zuzug von Neu-Dresdnern sei ein Grund für den steigenden Bedarf. Mehr Wohnungen würden auch deshalb gebraucht, weil sich immer weniger Menschen eine teilen. Der Trend gehe zur Singlewohnung. Zudem rechnet Korablin, dass bis 2030 etwa 13 600 Wohnungen abgerissen, stillgelegt oder zum Beispiel in Büros umgewandelt werden. „Ja, auch Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge spielen eine Rolle auf dem Wohnungsmarkt“, sagt Stadtsprecher Kai Schulz. Wenngleich die Dynamik deutlich abgenommen habe, so sei doch ein anhaltender Zuzug dieser Menschen aus dem Umland festzustellen. Völlig offen sei auch, wie die Bundesregierung die Frage des Familiennachzuges beantworten wird.

Wie realistisch ist es, dass Dresden den Bedarf decken kann? Bislang sind in den letzten Jahren um die 1 400 Wohnungen im Jahr neu entstanden, also weniger als die Hälfte dessen, was laut Aengevelt in der Zukunft gebaut werden müsste. Dresden fehlten sogar jetzt schon Wohnungen, zumindest, wenn man jeden Wunsch punktgenau erfüllen wolle. Vor allem bezahlbare kleine Wohnungen für Singles und große Wohnungen für Familien mit fünf und mehr Personen seien gefragt, so Schulz. Der Leerstand in diesem Bereich sei schon unter die üblichen drei Prozent gesunken. Mit Folgen: Vom Sommer 2016 bis zum Sommer dieses Jahres sind laut Verwaltung gut 1 000 Menschen mehr ins Umland gezogen, als in die Stadt kamen. Das ist laut Frank Korablin auch die Gefahr, falls Dresden den Bauboom nicht hinbekommt – ein schwächeres Bevölkerungswachstum.

Noch Platz für 20 000 Wohnungen


Trotzdem steht die Stadt laut Expertenmeinung vergleichsweise gut da. Es werden Baugenehmigungen auf Rekordniveau ausgestellt. Im vergangenen Jahr haben knapp 3 000 Bauherren die Erlaubnis bekommen, loszulegen. So entstehen am Postplatz über 1 000 neue Wohnungen. Auch auf der Schweriner Straße und der Ostra-Allee werden die letzten Brachflächen bebaut.

An der Wilhelm-Rabe-Straße sind vier Gebäude mit 36 Wohnungen mit zwei bis fünf Räumen entstanden. Einige als Maisonette, einige mit kleiner Terrasse, andere mit Balkon. Dazu gibt es Parkplätze und zwei Spielplätze im neuen Karree. Evi Lempe wohnte bisher in Gorbitz, Marco Hoffmann in Meißen. Nun ziehen sie zusammen. „Klar, mit Hund ist die Sucher schwerer“, sagt sie. Weil sie schon Mitglied der EWG war, hat sie früh von den Neubauten erfahren und sich beworben. Die neue Bleibe hat ihren Preis. 10,50 Euro zahlt die Familie pro Quadratmeter. Hinzu kommen die Nebenkosten. Der Grund für die hohe Miete ist nicht nur die Wohnungsgröße. „Man kann nicht mehr günstiger bauen“, sagt EWG-Vorstand Antje Neelmeijer.

Dresden müsse jetzt seine Anstrengungen verstärken, sagt Anett Richter von Aengevelt. Entscheidend sei ihrer Meinung nach, dass rechtzeitig neues Bauland ausgewiesen wird. Derzeit stehen in der Stadt noch 180 große Standorte für Bauvorhaben zur Verfügung, auf denen sich etwa 20 000 Wohnungen bauen ließen, darunter in der Lingnerstadt, im Jägerpark und an der Stauffenberg/Marienallee, so die Verwaltung. Auch die Stadt selbst will mitmischen. „Das Ziel des Oberbürgermeisters, dass die WiD – neben den Genossenschaften – ein ernsthafter Player am Dresdner Wohnungsmarkt werden soll, ist nach wie vor aktuell“, sagt Schulz. In erster Linie seien jedoch die privaten Investoren gefragt.

Noch ist nicht alles fertig in der neuen Wohnung von Evi Lempe und Marco Hoffmann. Wohl fühlt sich das Paar aber. Der Blick von der Terrasse, der Platz – genauso haben sie es sich vorgestellt.