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Wohnen statt weben

Holthaus gibt in Großröhrsdorf die Produktion von Verbandsstoff auf. Die Gebäude-Eigentümer haben jetzt neue Pläne.

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© Kristin Richter

Von Reiner Hanke

Großröhrsdorf. Noch steht in blauen Lettern „Holthaus Meditex“ an dem imposanten Weberei-Gebäude an der Bischofswerdaer Straße in Großröhrsdorf. Das Unternehmen heißt inzwischen allerdings Temedia GmbH. Doch an dem Schriftzug wird sich nichts mehr ändern. Er wird ganz verschwinden. Der Hersteller medizinischer Textilien zieht sich aus Großröhrsdorf zurück. Der Großröhrsdorfer Bauingenieur Thomas Schöne ist Miteigentümer der Industriegebäude und sagt: „Für uns war die Nachricht ein Schock.“ Niemand hatte damit gerechnet. Seitdem drehte sich alles um die Frage: „Wie geht es nun weiter?“ Die Eigentümer aus der Familie Schöne trafen jetzt eine Entscheidung: Die Fabrik soll für altersgerechtes und betreutes Wohnen umgebaut werden. Zugleich tritt Thomas Schöne Gerüchten entgegen: Er werde die Gebäude nicht als Quartier für Asylbewerber vermieten. Den Webereistandort fortzuführen, habe aber auch nicht zur Debatte gestanden. Die Maschinen seien im Besitz von Temedia. „Als Neueinsteiger auf dem heiß umkämpften Weberei-Markt hätten wir keine Chance“, schätzt er ein.

Nach der Wende investiert

Derzeit nutzt Temedia noch einen Teil der Räume. Doch dass gepackt wird, ist nicht zu übersehen. Wo kürzlich noch Verbandsmaterial konfektioniert wurde, eröffnet sich hinter einer grauen Eisentür nur noch ein leerer Saal. Eine Etage höher stehen noch Maschinen. „Hier wird noch produziert“, sagt Thomas Schöne. Verbandsstoffe gewebt, Binden und Kompressen hergestellt. Damit rüstet die Firma unter anderem Verbandskästen aus, wie sie ins Auto gehören. Nur wird das bald nicht mehr am Standort Großröhrsdorf sein. Bis Ende März 2016 laufe der Mietvertrag, so Schöne. Dann geht auch ein Stück Industriegeschichte in Großröhrsdorf zu Ende. Sie begann 1794. 1880 nahm Urgroßvater Johann Christoph Schöne die neue Fabrikanlage an der Bischofswerdaer Straße in Betrieb. Zu DDR-Zeiten wurde die Firma 1972 zwangsverstaatlicht. Kurz nach der politischen Wende übernahmen Schönes im Juli 1990 das Werk wieder, investierten 2,5 Millionen D-Mark in die Gebäude und Maschinen. In der Firma Holthaus Medical aus Remscheid fanden Schönes 1992 einen Partner, der die Produktion medizinischer Textilien als Mieter weiterführte und den Maschinenpark übernahm. Wegen Absatzproblemen war die Firma diesen Schritt gegangen. Holthaus sicherte die 40 Arbeitsplätze – bis heute. Die Jobs ziehen nun mit an den neuen Standort oder sind größtenteils schon umgezogen nach Bischofswerda. Dort führt Temedia zwei Standorte zusammen. So trennt sich das Unternehmen auch von einem Werk zwischen Sohland und Löbau. „Die überwiegende Zahl der Mitarbeiter hat sich entschieden, mit uns umzuziehen“, sagte Alexander Holthaus gegenüber der SZ. Die Fusion der Werke habe rein betriebswirtschaftliche Gründe, so Holthaus. Man habe versucht, mit dem neuen Standort die geografische Mitte zwischen den Werken zu finden, wegen des Anfahrtswegs für die Mitarbeiter. Viele kämen aus dem Bischofswerdaer Raum. Deshalb die Entscheidung für Bischofswerda. Hier mieteten die Remscheider rund 11 000 Quadratmeter Produktionsfläche der 2012 stillgelegten Dresdner Herrenmode. Das Dreifache der Fläche, die derzeit in Großröhrsdorf zur Verfügung steht.

Für die Großröhrsdorfer Eigentümer der Fabrik ist der Rückzug umso bitterer, weil sie Anfang des Vorjahres in den Abriss des benachbarten maroden Gasthofes investiert hatten. Dort sollte Holthaus erweitern können. Für den Abriss waren auch Fördermittel aus einem Programm des Freistaates und aus dem Stadthaushalt geflossen. So ist auch im Rathaus die Enttäuschung groß. Nach Bekanntwerden der Umzugspläne habe die Stadt noch andere freie Flächen in Großröhrsdorf angeboten, so Stadtsprecherin Anja Kurze. Die Stadt habe Holthaus aber nicht halten können.

Ein Stück Heimat bleibt zurück

Mit den Maschinen wechselt schrittweise die Belegschaft nach Bischofswerda. Zu ihr gehört Steffi Beier. An dem Nachmittag hält sie allein mit einem Kollegen die Stellung in Großröhrsdorf und verpackt Binden in Kartons. Sie komme aus Frankenthal, genau zwischen Großröhrsdorf und Bischofswerda. Ihr Arbeitsweg bleibe gleich, das sei kein Problem. Dennoch werde sie nur schweren Herzens nach 31 Jahren hier weggehen, sagt sie: „Ich kenne jeden Winkel. Es ist wie eine zweite Heimat, die ich zurücklasse.“ Dann soll hier die neue Heimat für Senioren entstehen. Thomas Schöne zeigt, wo einmal die Cafeteria, die Physiotherapie und ein Friseur einziehen könnten und wo Balkone angebaut werden sollen. Auf dem für die Erweiterung vorgesehenen Gelände werden nun ein Park und Pkw-Stellplätze entstehen. Alles soll bis 2018 behindertengerecht umgebaut werden. Derzeit führe er Gespräche mit potenziellen Betreibern. Es gebe mehrere Interessenten. Mehr könne er noch nicht sagen. So prüft der Eigentümer derzeit auch unterschiedliche Finanzierungsmodelle. Der künftige Betreiber könnte auch der Investor sein, ebenso eine Investorengruppe oder die Eigentümerfamilie. Fest steht, wer die Planung übernimmt: der Ingenieur selbst mit seiner Großröhrsdorfer Bauplanungsfirma. Erfahrungen aus dem Seniorenbereich bringt er mit. So war er z. B. am Umbau des Waldparkhotels in Dresden zum Pflegeheim beteiligt. Nun folgt die Fabrik der Eltern und Großeltern mit einem ähnlichen Projekt. Er habe bisher keinen Gedanken daran verschwendet, dass der Plan nicht funktionieren könnte, so Schöne. Der Schriftzug „Holthaus Meditex“ wird bald Geschichte sein. Er werde aber nicht zulassen, dass eine weitere Industriebrache entsteht, demonstriert der Großröhrsdorfer Entschlossenheit.