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Wohnen im alten Bahnhof Reick

Ein Eisenbahnfan erfüllt sich mit einem besonderen Sanierungsprojekt einen Traum. Selbst einziehen will er nicht.

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© Sven Ellger

Von Annechristin Bonß

Statt einer Fahrkarte gibt es hier nun Spiegeleier. Dort, wo einst im alten Bahnhof Reick die Wartehalle samt Fahrkartenschalter war, wird derzeit eine moderne Küche eingebaut. Die ist Teil einer großen Wohnhalle, in der auch Esstisch, Sofa und Fernseher stehen. Das historische Gebäude nahe der Rennbahn wird derzeit umfassend saniert. Es ist ein Herzensprojekt von Stefan Jugelt. Der Dresdner hatte schon immer davon geträumt, einen Bahnhof zu kaufen und umzubauen. Ende 2013 war es so weit. Nun erledigen die Arbeiter die letzten Griffe. Schon bald ziehen die ersten Mieter in den alten Bahnhof ein.

Der Bahnhof in einer historischen Aufnahme.
Der Bahnhof in einer historischen Aufnahme. © Postkarte privat

Seit zehn Jahren bietet die Deutsche Bahn ungenutzte Gebäude entlang ihrer Gleisanlagen zum Verkauf. Neben dem in Reick auch das Gebäude am Haltepunkt Strehlen. Ein privater Investor will darin einen kleinen Markt sowie Räume für die Dresdner Verkehrsbetriebe einrichten. Über 1 000 dieser Ensembles haben schon den Besitzer gewechselt. Als Wartehalle werden die wenigsten genutzt. So auch in Stefan Jugelts Fall. In Reick werden künftig Familien wohnen.

Trotzdem wollte der 45-Jährige so viel wie möglich von dem historischen Gebäude erhalten. Eng haben der Investor und Architektin Marie Eggert mit dem Denkmalamt der Stadt zusammengearbeitet. Zahlreiche historische Bilder und Postkarten haben dabei geholfen. So ist nach dem Umbau das historische Rundfenster der Wartehalle wieder vollständig zu sehen. Vor der Wende wurde der Bogen zugemauert. Original-Fenster aus dem Baujahr 1907 sind erhalten geblieben. Genau wie die Fliesen aus der Wartehalle, die nun den Eingangsbereich zu einer der beiden Wohnungen im Erdgeschoss schmücken. „Das Haus sollte seinen ursprünglichen Eindruck behalten“, sagt der Bauherr. Der Bahnhof sollte von außen so sein, wie die Dresdner ihn kennen. Auch er selbst hat hier auf die Züge gewartet.

Eine halbe Million Euro hat Stefan Jugelt investiert. Dafür sind im Erdgeschoss und dem Dachgeschoss jeweils zwei Wohnungen entstanden. Die beiden Wohnungen im ersten Obergeschoss waren bereits vermietet. Künftig wird der Bahnhofsvorplatz der Garten für die Mieter im Erdgeschoss sein. Der Zugang zum Haus ist an der Rückseite möglich. Dort, wo früher ein Gang vom Bahnhof zu den Treppen auf den Bahnsteig führte, ist künftig die Terrasse zur Erdgeschosswohnung. Wer mit dem Zug an dem Gebäude vorbeifährt, kann Bahnhof Reick in großen Buchstaben an der Fassade lesen – so wie früher auch. Dieser Hinweis auf die Geschichte des Gebäudes war Stefan Jugelt wichtig.

Es ist nicht der einzige Hinweis. Alte Dielen und Türen blieben erhalten. Das Geländer im Treppenhaus ist ebenfalls geblieben. Im Dachgeschoss ist das alte Dachtragwerk heute in die Wohnungen integriert. In einem der Balken hat der neue Eigentümer eine verkohlte Stelle entdeckt. „In den Unterlagen gab es zudem eine Baugenehmigung von 1946“, sagt er. Anscheinend hat auch der Bahnhof Reick bei der Bombardierung der Stadt 1945 einen Schaden abbekommen. Der Brand hat aber nicht das gesamte Gebäude zerstört. Die dunkle Stelle am Balken gehört nun zur sanierten, modernen Dachgeschosswohnung.

Die Nähe zu den Schienen bringt dabei nicht nur romantisches Flair für Eisenbahnfans. Wer hier wohnt, muss mit den Passagier- und Güterzügen leben, die mehrmals in der Stunde die Strecke passieren. Im Dachgeschoss wurde aus zwei kleinen Fenstern eine riesige Gaube mit langer Fensterfront. Hier haben die Arbeiter eine Schallschutzverglasung eingebaut. „Der Mindestluftwechsel ist möglich, ohne die Fenster zu öffnen“, sagt die Architektin Marie Eggert. Wer aber in der Nacht frische Luft haben will, muss mit den Zuggeräuschen leben.

Interessenten gibt es dennoch viele, auch für die Wohnung in der Wartehalle. Stefan Jugelt wird nicht einziehen. Er arbeitet für die Europäische Kommission im Eisenbahnbereich und lebt mit der Familie in Frankreich. Der Weg von der Arbeit bis nach Reick wäre allzu weit. Auch wenn der Zug nur wenige Meter entfernt am neuen Haltepunkt Reick hält.