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Wo Wildnis wuchern wird

Der Bund hat 129 Hektar in Großhennersdorf zum Nationalen Naturerbe erklärt. Was bedeutet das?

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© Matthias Weber

Von Anja Beutler

Matthias Fischer steht mittendrin. In der Wildnis. Oder zumindest dort, wo echte Wildnis entstehen soll. Denn die 129 Hektar große Fläche am und um den Schönbrunner Berg und dem Oberwald in Großhennersdorf ist vor Kurzem vom Bund zum Nationalen Naturerbe erklärt worden. Kurz gesagt heißt das: Hier hat der Mensch nichts mehr zu bestellen, sondern die Wildnis ungehindert wuchern zu lassen. Fischer ist von diesem neuen Schutzstatus freudig überrascht. Er selbst befasst sich seit Jahren nicht nur mit der Ortsgeschichte, sondern auch mit Flora und Fauna vor der Haustür. Und er ist als ehrenamtlicher Naturschutzhelfer beim Landkreis unter anderem auch für dieses Gebiet zuständig.

Deshalb kennt Fischer das Terrain gut: „Im Frühling bin ich oft hier, da gibt es das meiste zu entdecken“, sagt der Mann, der die Standorte seltener Pflanzen kennt. Die leuchtend roten Beeren des Aronstabes sind in diesem Jahr an mehreren neuen Stellen zu finden, dafür fehlen andere seltene Pflanzen und jede Menge Laub in den Baumkronen: „Die Trockenheit hat hier viel verändert“, sagt er und schreitet vorsichtig durch Waldmeister, Perlgras und Bingelkraut. Matthias Fischer schaut sich sorgsam um, dann bleibt sein Blick am Waldrand in der Ferne hängen: Ein herrlicher Blick ins Zittauer Gebirge eröffnet sich. „Es ist wunderbar hier.“

Nicht das erste Nationale Naturerbe im Landkreis

Dem Landkreis ist der neue Status für die Fläche, die seit Langem Teil des Naturschutzgebietes Schönbrunner Berg ist und auch zum so schillernd bezeichneten Flora-Fauna-Habitat-Gebiet „Basalt- und Phonolitkuppen der östlichen Oberlausitz“ gehört, bereits bekannt. Es ist auch nicht die erste Fläche zwischen Weißwasser und Zittau, die zum Nationalen Naturerbe gehört: Bei Klein Priebus und Skerbersdorf im Norden des Kreises gibt es bereits mehrere Splitterflächen, die diesen Status besitzen, teilt der Kreis auf Anfrage mit.

Allerdings machen diese Flächenkomplexe weniger als 20 Hektar aus – im Vergleich dazu sind die Großhennersdorfer 129 Hektar ein großer Fisch. Ähnlich groß ist auch die zweite aktuell neu ausgewiesene Fläche in Sachsen, die sowohl im nördlichen Zipfel des Kreises Görlitz aus auch im Kreis Bautzen liegt: die Slamener Heide. Für das Bundesamt für Naturschutz, das mit dem Bundesumweltministerium den neuen Titel verliehen hat, besitzt die Großhennersdorfer Fläche „mittelprächtige Größe“. Karin Reiter vom Bundesamt kennt viele – vor allem vorher militärisch genutzte Flächen – die seit 2005 zum Naturerbe erklärt wurden. „Es waren vor allem die Auswirkungen der Bundeswehrreform“, sagt sie. Denn durch den Rückzug von Kasernenarealen und Truppenübungsplätzen sind viele Flächen im Besitz des Bundes frei geworden.

Und wie passt da Großhennersdorf hinein? Eine militärische Nutzung gab es hier in jüngerer Zeit nicht – davon wissen zumindest Matthias Fischer und der Senior der Ortsgeschichte, der 91-jährige Helmut Passig, nichts zu berichten. Dass die Flächen dem Staat gehörten, zu DDR-Zeiten von der Jägergemeinschaft und vom Forst genutzt wurden und nach dem Krieg zum Naturschutzgebiet erklärt wurden, das ist hingegen bekannt.

Die Erklärung, wie das auch als Oberwald bezeichnete Gebiet in diese Liste hineingeraten ist, liegt in der Geschichte: Herrnhuts Bürgermeister Willem Riecke (Herrnhuter Liste), den bisher noch kein Amt oder Ministerium von den Neuerungen berichtet hat, vermutet, dass es mit den einst verkauften Besitzungen der Evangelischen Brüdergemeine zusammenhängen könnte. Das Bundesumweltministerium bestätigt dies: Die Flächen gehörten demnach zum Remonte-Gut der Brüder Unität und die hat sie 1937 an das Deutsche Reich verkauft, erläutert Sprecher Jan Scharlau.

Auf dem Gut waren Pferde für die Armee gezüchtet worden – somit gibt es auch einen Militärbezug. 1945 wurden die Flächen dann volkseigen und bis 1994 vom staatlichen Forstbetrieb bewirtschaftet. Danach kam das Land zum Bund, in dessen Auftrag sich das Revier Dauban des Bundesforstbetriebes Lausitz zuständig war.

Viel Forstwirtschaft hat es da aber nicht mehr gegeben – erinnert sich zumindest Helmut Passig: „Man hat mal ein paar Fichten gepflanzt, aber ansonsten ist da oben nichts weiter gemacht worden.“ Und so konnte sich die Natur schon recht ungehindert breitmachen: Wer will, kann hier im naturnahen Waldmeister-Buchenwald Mittleren Lerchensporn und Bingelkraut finden und Schwarzspecht, Hohltaube und Waldlaubsänger beobachten.

Wozu aber ein Eigentümer, wenn doch Wildnis wuchern soll?

Auch wenn der Natur nun auch von politischer Seite wieder das Terrain gehört, ist dennoch zu klären, wer zuständig ist, sich kümmert. „Das wird sich vermutlich in diesem Herbst klären“, sagt Katrin Reiter vom Bundesamt für Naturschutz. Dabei ist die Größe der Fläche ebenso ausschlaggebend wie die Interessenten vor Ort, die sich engagieren könnten: „Wir haben Flächen an Naturschutzverbände, an die Deutsche Bundesstiftung Umwelt oder die Länder gegeben, einige bleiben aber auch beim Bund“, sagt Frau Reiter. Mit den Behörden vor Ort solle ausgelotet werden, ob es hier im Kreis eine Organisation gibt, die sich hier einbringen können.

Wozu aber ein Eigentümer, wenn doch Wildnis wuchern soll? „Für die Flächen werden ein Leitbild und Pflegepläne entwickelt“, erklärt Frau Reiter. Wobei man dabei nur durch die Naturschutzbrille sehe. Was darin dann stehen werde, darauf ist auch schon Matthias Fischer gespannt.

Nationales Naturerbe: Der Bund muss Flächen, die er nicht mehr benötigt (z. B. militärische Flächen) eigentlich verkaufen. Bei diesen Flächen aber war das Interesse am Naturschutz größer, sodass sie den Status Nationales Naturerbe erhalten. 156 000 Hektar sind seit 2005 in drei Tranchen zum Nationalen Naturerbe erklärt worden. Oberstes Ziel ist, dass sich Wildnis entwickelt, das heißt, Wälder nicht mehr bewirtschaftet werden und sich Offenland natürlich entwickeln kann. Weitere Informationen zu den Hintergründen und Flächen gibt es hier.