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Wo sich die Hausherren betranken

Hans Peter Schlörb aus dem Ruhrgebiet baute die Jugendherberge in der Görlitzer Altstadt. Am Untermarkt 23 investierte er aber auch.

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© Pawel Sosnowski

Von Ingo Kramer

Hans Peter Schlörb ist nicht das, was man einen klassischen Görlitzer Investor nennt. Er hat nie hier gelebt, hat auch keine Wurzeln hier. Er erwartet keinen Profit und gehört auch nicht zu denen, die reihenweise Häuser in der Neißestadt sanieren. Außerdem steht er längst nicht mehr im Berufsleben, ist jetzt 75 Jahre alt.

Das Haus Untermarkt 23 im Jahr 1978 ...
Das Haus Untermarkt 23 im Jahr 1978 ... © Rainer Kitte
... und heute
... und heute © nikolaischmidt.de

Doch trotz alledem ist der in der Ruhrgebietsstadt Witten lebende Mann ein Glücksfall für Görlitz. Und das nicht erst, seit er zwischen 2009 und 2011 die Häuser Peterstraße 15 sowie Hainwald 1 und 2 rettete, indem er sie aufwendig als Jugendherberge sanierte und miteinander verband. 1998 war er erstmals in Görlitz – auf Einladung von Verwandten, die in den 1990er Jahren aus dem Westen an die Neiße gekommen waren. „Ich hatte von den Schönheiten der Stadt gehört, aber als ich dann auf dem Untermarkt stand, dachte ich mir: Donnerwetter!“, erinnert sich Schlörb.

Faszination der Untermarkt-Kulisse

Er war nicht mit dem Plan gekommen, hier ein Haus zu kaufen. Und doch tat er es noch im gleichen Jahr: „Als ich damals so auf dem Untermarkt stand, hatte ich gleich die Nummer 23 im Blick“, erinnert er sich. Das Gebäude – das einzige Giebelständige am Platz – habe ihn förmlich angestrahlt. Die Faszination der Untermarkt-Kulisse war es, die ihn motivierte. Und wie es der Zufall so wollte, stand es gerade zum Verkauf. Die Erben des alten Bäckermeisters Seeliger, der hier Backstube, Laden und Café hatte, wollten das Haus loswerden. „Wir sind uns schnell einig geworden“, sagt Schlörb. Er hatte zuvor noch einen Kassensturz gemacht und war zu dem Schluss gekommen, dass Kauf und Sanierung für ihn machbar sind: „Sonst hätte ich es auch nicht getan, ich bin ja Kaufmann.“

Schon im Frühling 1999 erhielt er die Baugenehmigung und im Herbst des gleichen Jahres legte er los. Er fand im Haus zwei Steine mit Jahreszahlen. Demnach wurde es 1523 oder 1536 als klassisches Hallenhaus errichtet. Wendel Roskopf der Ältere schuf die Fassade. „Allerdings war es später jahrhundertelang völlig verbaut“, sagt er. Die große Halle zwischen Vorder- und Hinterhaus war dabei verschwunden. Stattdessen waren beide Gebäude vereinigt worden. Unten führte eine große Mauer quer durch das Gewölbe. Die muss 300 Jahre alt gewesen sein, glaubt der Besitzer.

Doch auch sonst gab es viele Schäden. Im Dach regnete es ein. Außerdem hatte irgendjemand mit der Motorsäge in den gotischen Dachstuhl eingegriffen, um Platz zu schaffen. „Es war erstaunlich, dass das Dach nicht zusammengefallen ist“, sagt Schlörb. Parallel beschäftigte er sich mit der Historie des Hauses. Durch den großen Eingang seien die Händler einst mit ihren Wagen voller Stoffe eingefahren. Die Ware wurde drinnen angeschaut. Dafür war die große Halle mit Tageslicht nötig. Die Kaufleute nutzten die Hallenhäuser auch zum Essen, Trinken und Übernachten. „Der Untermarkt 23 hatte Handels-, aber auch Bierbrau- und Schankrecht“, sagt Schlörb. Ebenfalls überliefert ist, dass das Haus viele Eigentümer hatte: „Es ist drei- oder viermal zwangsversteigert worden, weil der Eigentümer dem Trunke verfallen war.“

Im ersten Schritt ließ Schlörb alles herausreißen, was später eingebaut wurde, sogar das Treppenhaus. So entstanden wieder zwei separate Gebäude, ein Vorder- und ein Hinterhaus. Als er die Mauer im Gewölbe entfernte, kamen dahinter viele Reste des früheren Renaissance-Portals zum Vorschein, das offenbar vor 300 Jahren abgehackt wurde. „Das gab uns Hinweise für die Rekonstruktion des Portals“, sagt er.

Für die Sanierung nahm sich Schlörb anderthalb Jahre Zeit. In dieser Phase kehrte das Haus zu seinen Wurzeln zurück, der Eingang rückte wieder an seine ursprüngliche Stelle, ein neues Treppenhaus wurde ins Vorderhaus integriert. Andererseits blickte der Investor auch nach vorn: „Ich habe nicht auf dem Standard des Jahres 2000 saniert, sondern mit Blick auf die Zukunft.“ Das hieß: Helle, luftige Räume. Gewerbe im Parterre und ersten Stock, darüber je eine Wohnung pro Etage. Bis auf eine erhielt jede Wohnung einen Balkon.

Kaum war das Haus im Frühling 2001 saniert, war es auch schon voll belegt. Das hat sich bis heute nie geändert. „Wir hatten immer mehr Nachfragen als Wohnungen“, sagt Schlörb stolz. Das große Geld macht er mit dem Haus trotzdem nicht – aber eben auch keinen Verlust. Er spricht von plus/minus null – und das auch, weil die Baukosten damals im geplanten Rahmen blieben. Heute gibt es unten einen Bekleidungsladen, dahinter den Förderverein Kulturstadt, im ersten Stock Xtras, ein Software-Unternehmen in der Logistik-Branche, darüber Mietwohnungen.

„Ich bin vom Leben immer begünstigt worden“

Die Hausverwaltung macht Schlörb bis heute selbst. Dafür kommt er einmal im Vierteljahr für eine knappe Woche nach Görlitz. „Man muss sich um die Häuser kümmern, sonst kostet es Geld“, sagt er. Manchmal wird er gefragt, warum er sich diesen Aufwand in seinem Alter noch antut. „Ich bin vom Leben immer begünstigt worden“, sagt er, ohne dass es überheblich klingt. Mit seiner Frau ist er seit der Schulzeit zusammen, im Beruf war er jahrzehntelang in der Mineralölwirtschaft tätig und brachte es bis in den Vorstand von Aral. Mit 60 stieg er aus. „Es ist Zeit, etwas Gutes zu tun und der Allgemeinheit etwas zu geben, was langfristig Bestand hat“, sagt er.

So sind die Görlitzer Investitionen jetzt sein Altersjob. Allerdings nicht der Einzige: „Ich habe noch mehr Interessen.“ Görlitz ist auch nicht der einzige Ort, an dem er Immobilien besitzt. Er will aktiv bleiben, solange es geht. Seine Kinder leben beide in Wien. „Ob die sich mal für Görlitz begeistern können, weiß ich nicht“, sagt er. Das sei momentan auch noch kein Thema.