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Wo rote Linsen der Renner sind

Susanne May-Werner hat mit ihrem Unverpackt-Laden in Görlitz eine Nische erobert. Hier kaufen Jung und Alt gleichermaßen.

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© Nikolai Schmidt

Von Ingo Kramer

Görlitz. Die nicht mehr ganz junge Frau mit den halblangen Haaren freut sich so sehr, dass sie die Inhaberin glatt mal loben muss: „Einen tollen Laden haben Sie.“ Doch sie sei zum ersten Mal da und habe eine dumme Frage: „Muss ich eigene Flaschen mitbringen, wenn ich hier Milch kaufen will?“ Susanne May-Werner lächelt. Dumme Fragen gebe es nicht, sagt die Inhaberin des Unverpackt-Ladens „Emma’s Tante“ in der Jakobstraße 40. Und: Nein, eigene Flaschen sind nicht nötig: „Ich habe welche hier.“ Die Frau will wiederkommen: „Das nächste Mal bringe ich Verpackungen mit.“

Es sind Szenen wie diese, die Susanne May-Werner regelmäßig erlebt: „Jeden Monat werden es ein, zwei Stammkunden mehr.“ Im November 2016 hat sie ihren Unverpackt-Laden eröffnet: Eine Nische für alle, die Müll vermeiden wollen. Freunde hatten ihr im Vorfeld abgeraten. Das bringt doch nichts, in Görlitz ist doch alles tot, hatten sie gesagt. Susanne May-Werner hat nicht darauf gehört. Sie hat es nicht bereut. Klar, reich werden könne sie vom Verkauf von unverpackten Lebensmitteln und Kosmetika nicht: „Aber das war auch gar nicht mein Ziel.“ Doch nach 15 Monaten ist der Laden immer noch da. Die 37-jährige Görlitzerin schlägt sich damit durch, bekommt keinen Existenzgründerzuschuss mehr. Andererseits: Sie würde gern jemanden einstellen. Dafür aber reicht das Geld noch nicht. Trotz der Stammkunden. Viele Studenten sind darunter, junge Familien, dazu Leute mittleren Alters, aber auch Omas, die sich freuen, hier noch bedient zu werden.

Mit den Preisen von Aldi & Co. kann Susanne May-Werner nicht mithalten. Trotzdem kommen zu ihr nicht nur Besserverdiener. „Familien, in denen beide Partner gute Jobs haben, kaufen natürlich viel mehr“, sagt sie. Andere holen halt das Nötigste, was sie gerade brauchen. Das sei doch in Ordnung so. Mittlerweile hat sie auch Stammkunden aus dem Umland, aus Zittau, Löbau und Niesky: „Die kommen alle paar Wochen, um ihre Vorräte an Nahrungs-, Wasch- und Spülmitteln aufzufüllen.“ Mit vielen jüngeren Kunden ist die Inhaberin längst per Du. Inzwischen überlegt sie sogar, einen Studententag einzuführen, an dem es ein paar Prozente Rabatt gibt.

Das Sortiment ist mit der Zeit breiter geworden. Die trockenen Sachen laufen sehr gut, sagt Susanne May-Werner und zählt auf: Müsli, Nudeln, Hülsenfrüchte und Nüsse, aber auch Mehl, Pudding- und Kakaopulver: „Wenn es die Leute einmal entdeckt haben, läuft es auch.“ Das Einzige, was sie mangels Nachfrage aus dem Sortiment gestrichen hat, ist das Basis-Müsli. Rote Linsen dagegen sind der Renner. Da musste sie früher alle zwei Wochen einen neuen Fünf-Kilo-Sack bestellen. Inzwischen habe sie aber fast alles auf 25-Kilo-Säcke umgestellt. Das reicht nicht nur länger, sondern verursacht auch weniger Müll. Manches hängt auch von der Jahreszeit ab. Hülsenfrüchte sind vor allem im Herbst und Winter gefragt, Müsli im Sommer. Für Letzteres hat die Inhaberin überhaupt keine Erklärung: „Das ist eigenartig.“

Genauso eigenartig sind die Uhrzeiten. Oder besser gesagt: Unberechenbar. „Mal rennen mir die Leute Montagfrüh den Laden ein, mal kommt bis Mittag kaum einer.“ An anderen Tagen sei das nicht anders, noch nicht mal am Sonnabend gibt es eine Konstante. Besser kalkulierbar sind die Jahreszeiten. In den Ferien geht der Umsatz spürbar zurück. Dafür ist Weihnachten Hochsaison: „Von mir aus könnte einmal im Quartal Weihnachten sein.“

Die Zusammenarbeit mit regionalen Anbietern ist auch von der Jahreszeit abhängig. So liefert die Gärtnerei Jung aus Hilbersdorf nur im Sommer und Herbst, Rainkultur Görlitz, Gut Krauscha, Lindenhof Pfaffendorf und Stadtgut Kunnerwitz dagegen auch im Winter, und zwar Gemüse, Aufstriche und Eier. Wenn Susanne May-Werner zwischendrin selbst mal eine Pause braucht, schließt sie ihren Laden zu. Jetzt in den Winterferien ist das so: Heute ist noch geöffnet, ab morgen und die ganze nächste Woche gönnt sie sich ein paar freie Tage. Den Stammkunden erklärt sie das beim Bezahlen. Kein Problem: Die Frau mit der gar nicht dummen Frage kommt dann eben übernächste Woche wieder.

www.sz-link.de/Handel-Goerlitz