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„Wo gehen wir hin, wenn alle Traditionen aufweichen?“

Die Evangelische Kirche diskutiert nach dem Aufstieg der AfD über Rechtspopulismus. Und bemerkt dabei, dass das Phänomen so leicht nicht in den Griff zu bekommen ist.

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© Joachim Rehle

Von Sebastian Beutler

Niesky/Görlitz. Die Verunsicherung sitzt tief. Da hatte sich die Evangelische Kirche im Landkreis für die Flüchtlingshilfe engagiert wie kaum eine andere Kraft, und dann setzten die Bürger hier am häufigsten ihr Kreuz bei der asylkritischen AfD. Und zwar in so großem Maße, dass unter den AfD-Wählern natürlich auch evangelische Christen sein müssen. Tatsächlich spüren viele, wie weit sich Frustration bis in die Kirchgemeinden breitmacht. Aber auch aus der übrigen Bevölkerung schlägt ihnen Argwohn entgegen. Am Dienstagabend berichteten Christen in Niesky über ihre Erfahrungen. Peter Haupt und seine Frau aus See engagieren sich für Flüchtlinge. „Wenn wir mit ihnen im Ort unterwegs sind, haben wir immer etwas Bammel“, sagen sie. Katrin Müller, Ehefrau des früheren Weißwasseraner Pfarrers Reinhard Müller, hat Ähnliches in Nieder Seifersdorf erlebt. „Als ich an der Kasse im Einkaufsmarkt mich für die Flüchtlinge eingesetzt habe“, sagt Frau Müller, „da bin ich gleich als Gutmensch beschimpft worden.“ Angst vor Überfremdung, vor dem Bedeutungsverlust des ländlichen Raumes spüren sie, aber auch eine fehlende Diskussionskultur. Die Schleiferin Gabriele Gojowczyk formulierte es so: „Wo gehen wir hin, wenn alle gelebten Traditionen aufweichen?“

Diakon Andreas Drese vom Martinshof in Rothenburg hat auch unter seinen 750 Mitarbeitern manchen, der gegen den Staat und die Flüchtlinge wettert. „Wir denken immer, dass diakonische Mitarbeiter die Guten sind, die helfen und sich für andere einsetzen“, sagt er in der Runde, „aber so ist es nicht, wir bilden die gesamte Bevölkerung ab“. Doch hat er auch Erfahrungen gesammelt, die aufhorchen lassen. So habe der Martinshof in Rothenburg einen Laden eingerichtet, wo sich die Flüchtlinge gegen wenig Geld Bekleidung und andere nützliche Dinge kaufen können. „Dann haben wir aber gedacht, warum öffnen wir den Laden nicht auch für Rothenburger, die kein gutes Einkommen haben.“ So haben sie es gemacht, um dem Eindruck unter der einheimischen Bevölkerung entgegenzuwirken, von dem Gabriele Gojowczyk berichtet: Für die Flüchtlinge wird alles getan, aber für die eigene Bevölkerung nichts. Rothenburg ist damit gut gefahren, bei der Bundestagswahl lag der Anteil der AfD „nur“ bei 26,3 Prozent – es war eine der wenigen Gemeinden, wo die CDU mehr Zweitstimmen erhielt als die AfD.

Auch der Kirchenkreis schlesische Oberlausitz, der von Ruhland bis Görlitz reicht, sucht nach Wegen, um einerseits das Gespräch innerhalb der Kirche anzuregen, aber auch andererseits von AfD-Wählern, -Anhängern oder gar -Mitgliedern zu erfahren, was sie bewegt. Da müssen sich Pfarrer und Kirchenmitarbeiter auch auf Widerspruch einrichten. So fragte am Dienstag ein Nieskyer, der vor 20 Jahren aus den alten Bundesländern zugezogen ist, warum sich die Kirche nur gegen Rechtspopulismus wendet. „Warum ergreifen wir so einseitig Partei, warum macht die Kirche so wenig gegen Linkspopulismus“, sagte er. Schließlich hatte die Initiatorin der Runde, die Schleifer Pfarrerin Jadwiga Mahling, immer wieder gefragt, was die Kirche und die Diakonie gegen den wachsenden Rechtspopulismus tun können. Dabei war Rechtsextremismus, AfD und NPD beinahe synonym verwendet worden. Das aber wird der komplexen Lage nicht gerecht und vertieft Gräben. Pfarrer Burkhard Behr, der Leiter des kirchlichen Strukturwandel-Büros in Cottbus, zog Parallelen zur Entstehung seiner Arbeitsstelle. Als die Landeskirche den Einstieg aus dem Ausstieg der Braunkohle beschlossen hatte, da haben viele Christen in der Lausitz gesagt: Das ist nicht mehr meine Kirche, wenn sie sich gegen meinen Arbeitsplatz wendet. Mit der Einrichtung des Büros wolle die Kirche nun zeigen, dass sie die Interessen aller Beteiligten am Strukturwandel berücksichtigt. „Ich will nicht sagen, dass wir für Neutralität stehen“, erklärte Behr, „aber für Allparteilichkeit“. Die wünscht er sich auch beim Umgang mit populistischen Strömungen.

Superintendent Thomas Koppehl orientierte sich ganz an den Beschlüssen der Kirche. Wenn ganze Gruppen herabgewürdigt oder die Menschenwürde Einzelner missachtet werden, dann müsse sich die Kirche dagegen wenden. „Kirche muss sich bei Menschenfeindlichkeit zu Wort melden“, sagte Koppehl. Zugleich aber mahnt er auch, berechtigte Anliegen zu benennen. Beispielsweise, wenn sich Menschen nicht mitgenommen fühlen von der Politik oder wenn sie vom Parteienstaat gefrustet sind, wenn sie an der Bürokratie verzweifeln. Auch vermisse er, positive Schilderungen darüber, wie Marktwirtschaft davon lebt, dass sie sich global vernetzt und dadurch wirtschaftlichen Erfolg organisiert. Abschottung sei die falsche Haltung.

Und schließlich müsse man der Versuchung widerstehen, der Rhetorik der Ausschließung selbst ausgrenzende Worte entgegenzusetzen. Katrin Müller meinte denn auch: „Vielleicht sollten wir auch weniger über Flüchtlinge reden, sondern mehr über die Probleme der Bevölkerung und deutlicher sagen, dass sozial in diesem Staate etwas falsch läuft.“

Die zwei Stunden am Dienstagabend sollten nur ein Anfang sein. Für ein mögliches Forum „Kirche und Gesellschaft“, für weitere öffentliche Gespräche. So wie am 5. Februar im Görlitzer Wichernhaus, wenn Bundestagsabgeordnete auf dem Podium von Kirche und Diakonie sitzen. Auch Tino Chrupalla von der AfD, wie Thomas Koppehl ankündigte.