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Wo es sich am sichersten lebt

Der Kriminalitätsatlas 2014 für den Landkreis Bautzen zeigt: Je anonymer die Stadt, umso größer die Gefahr, Opfer einer Straftat zu werden.

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© dpa

Jana Ulbrich

Es ist tatsächlich auch ein Auto abhanden gekommen in der Nähe von Großnaundorf. Der gestohlene Audi hat tagelang für Gesprächsstoff gesorgt im Ort. Die organisierte Kriminalität macht eben auch vor einem idyllischen 1 000-Seelen-Dorf auf halbem Wege zwischen Königsbrück und Ottendorf-Okrilla nicht Halt.

Alles in Ordnung in Großnaundorf: Elfriede und Gerhard Beger fühlen sich hier sicher. Bürgerpolizist Udo Lukas gibt dem Ehepaar trotzdem ein paar gute Tipps. Vorsicht am Telefon! Bei einer Nachbarin hat dieser Tage ein Enkeltrickbetrüger angerufen.
Alles in Ordnung in Großnaundorf: Elfriede und Gerhard Beger fühlen sich hier sicher. Bürgerpolizist Udo Lukas gibt dem Ehepaar trotzdem ein paar gute Tipps. Vorsicht am Telefon! Bei einer Nachbarin hat dieser Tage ein Enkeltrickbetrüger angerufen. © Matthias Schumann
© Grafik: Gernot Grunwald

Ansonsten hatte die Polizei im vorigen Jahr wenig Arbeit in Großnaundorf. Ganze zehn Fälle hat es gegeben: zwei Holzdiebstähle, einen Tankbetrug, einen Diebstahl aus einer Wohnung, eine Postunterschlagung, eine Anzeige wegen Verleumdung, eine Familienstreitigkeit, eine Sachbeschädigung und – das war neben dem Audi das Schwerwiegendste – einen Einbruch ins Feuerwehrgerätehaus. Statistisch gesehen ist Großnaundorf, wenn man so will, der sicherste Ort im ganzen Landkreis Bautzen.

Statistisch gesehen trifft es hier nur einen von 100 Einwohnern im Jahr. Deswegen muss Bürgerpolizist Udo Lukas hier auch seltener vorbeischauen. In Ottendorf-Okrilla, wo er sein Büro hat, ist seine Anwesenheit weitaus mehr gefragt. Hier ist die Wahrscheinlichkeit, von einer Straftat getroffen zu werden, statistisch gesehen sechseinhalbmal höher.

Streifenwagen und Uniform zeigen Wirkung

Udo Lukas wäre allerdings kein guter Bürgerpolizist, würde er nicht ab und zu auch im beschaulichen Großnaundorf nach dem Rechten sehen. Der Ort döst an diesem Vormittag friedlich in der Frühlingssonne. Elfriede Beger setzt gerade Stiefmütterchen ins Beet. „Ist was passiert?“, fragt sie fast ungläubig, als Udo Lukas übern Zaun winkt. „Nee, nee“, sagt der Polizeihauptkommissar, er wolle nur mal schauen, ob alles in Ordnung ist. „Alles in Ordnung“, lächelt Elfriede Beger, stellt die Harke zur Seite und gibt dem Polizisten die Hand. Die Sinti und Roma, die hier vor ein paar Tagen an den Haustüren geklingelt haben, sind auch nicht wieder aufgetaucht. Udo Lukas war ja auch gleich zur Stelle, als ein paar Großnaundorfer ihn anriefen, denen das fremde Pärchen aufgefallen war. Der Streifenwagen und die Uniform haben ganz offensichtlich ihre Wirkung gezeigt. Udo Lukas ist zufrieden.

Elfriede Beger ist es auch. „Wenn bei uns ein Polizeiauto vorbeifährt, kriegen wir einen Schreck“, erzählt die 78-Jährige. Sie und ihr Mann Gerhard, der jetzt 80 geworden ist, wohnen schon ein Leben lang in Großnaundorf. Natürlich schließen auch sie ihre Haustür immer ab, sagen sie. Das macht man ja heutzutage so. Aber über Alarmanlagen, Bewegungsmelder oder einen Wachhund haben sie – im Gegensatz zu manchem Einwohner in Sohland oder Taubenheim – noch nie nachgedacht.

In Städten haben es Täter leichter

Es ist auch die Lage eines Ortes, mit der die Straftatenhäufigkeit steigt und fällt. Vor allem aber ist es die Anonymität in den Städten, die sich Täter zunutze machen, weiß Udo Lukas. Auch sind die Tatgelegenheiten in den Städten wesentlich vielfältiger. So werden die meisten Straftaten pro Einwohner in Kamenz, Hoyerswerda und Bautzen verübt. Aber auch in Radeberg und Bischofswerda kommt die Statistik auf mehr als 6 000 Straftaten hochgerechnet auf 100 000 Einwohner. „Häufigkeitskennziffer“ nennt man bei der Polizei diese errechnete Größe. Aber wie das mit jeder Statistik so ist – sie ist eben auch nicht viel mehr als eine Statistik.

Natürlich sei ihre Kenntnis auch ein wichtiger Faktor bei der Beurteilung der Sicherheitslage, sagt Susann Benad-Uslaub, die Leiterin des Kamenzer Polizeireviers: „Aber in der Häufigkeitskennziffer wird jede Straftat – vom Mord bis zur Beleidigung – gleichwertig gezählt“, erklärt die Polizeirätin. „Das macht ihre Aussagekraft auch sehr begrenzt.“

Der Einfluss der gefühlten Sicherheit

Viel wichtiger sei für die Einwohner im Landkreis die gefühlte Sicherheit, weiß die Revierleiterin. Dieses Sicherheitsgefühl werde von einzelnen herausragenden Delikten oft wesentlich stärker beeinflusst als von einem „gewohnten“ Maß an gesellschaftlich tolerierter Kleinkriminalität. Beispiel Ottendorf-Okrilla:

Hier hat es im letzten Jahr eine ganze Einbruchserie in einer Einfamilienhaussiedlung gegeben, bei der vor allem hochwertige Elektronik gestohlen wurde. Die eigens gegründete Soko „Terrasse“ konnte die gut organisierte polnische Diebesbande dingfest machen. Die Einbruchserie katapultierte Ottendorf-Okrilla in der Straftaten-Statistik damit allerdings überdurchschnittlich weit nach oben.

Diebstähle machen mit weit über 40 Prozent generell den größten Anteil an der Zahl der Straftaten im Landkreis aus, knapp die Hälfte davon sind schwerere Fälle, also Einbrüche in Wohn- und Geschäftshäuser, Autodiebstähle und Diebstähle von gesicherten Fahrrädern. Den Eigentumsdelikten folgen Betrug und Sachbeschädigungen. Bei rund jeder zehnten Tat im Kreis haben es die Polizeibeamten mit Rohheitsdelikten zu tun – mit Raub, Körperverletzung, Nötigung oder Bedrohung.

Autodiebe nicht nur in der Grenzregion aktiv

Auch die meisten Autodiebstähle gab es 2014 den beiden großen Städten des Landkreises. In Hoyerswerda wurden 49 Autos gestohlen, in Bautzen 30 – ein Zeichen dafür, dass sich die Täter längst nicht mehr nur auf die unmittelbare Grenzregion beschränken. In der Kriminalitätsstatistik von Hoyerswerda, Kamenz und Bautzen spielt auch die Beschaffungskriminalität, also der Diebstahl zur Finanzierung des Drogenkonsums, eine zunehmende Rolle.

Davon bleibt die heile Welt in Großnaundorf weitgehend unberührt. Eine ältere Nachbarin erzählt dem Bürgerpolizisten, dass sie doch dieser Tage so einen Anruf hatte – angeblich vom Enkel. „Darauf falle ich nicht rein“, sagt sie stolz. „Ich hab gesagt, wenn mein Enkel was von mir will, kommt er her – und dann hab ich aufgelegt.“ Richtig so, sagt Udo Lukas. Und der 57-Jährige freut sich, dass sein Vortrag letztes Jahr vor den Senioren im Dorfgemeinschaftsraum offenbar gut gefruchtet hat.

Jetzt will der Bürgerpolizist noch mal im Dorfladen vorbeischauen – auch wenn er sich nicht erinnern kann, dass es hier schon jemals einen Ladendiebstahl gegeben hätte. „Es ist auch die Gemeinschaft im Dorf, die zur Sicherheit beiträgt“, sagt er. „Die Leute kennen sich und achten gegenseitig ihre Werte. Für die Jugendlichen gibt es Freizeitmöglichkeiten, es gibt eine Bücherei und ein rühriges Vereinsleben. Auch solche Faktoren machen viel aus, wenn es um den Platz eines Ortes in der Kriminalitätsstatistik geht.“