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Wo bleibt denn nur die Herbstfärbung?

Von wegen goldener Oktober: Die Blätter der meisten Bäume in und um Görlitz sind noch grün. Über die Gründe gibt es gleich mehrere Theorien.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer

Görlitz. Erika Mühle liebt den Herbst. Wenn es draußen nicht mehr so heiß ist, aber auch noch nicht wirklich kalt, dann unternimmt die Weinhüblerin am liebsten ausgedehnte Spaziergänge. Der Loensche Park ist nicht weit von ihrer Wohnung entfernt und auch entlang der Neiße lässt es sich schön laufen. Aber irgendwas ist anders in diesem Jahr. „Wir haben Mitte Oktober, aber von Herbstfärbung ist noch nicht allzu viel zu sehen“, sagt die Rentnerin. Ob das wohl an dem nasskalten Wetter liegt, das seit vorigem Mittwoch herrscht?

Nein, ganz im Gegenteil, sagt der Biologe Jens Wesenberg. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz: „Im September war es lange warm, das dürfte der Grund sein.“ Verantwortlich für die Färbung und letztlich für das Abfallen des Laubes sei die Kombination aus abnehmender Tageslänge und niedrigeren Temperaturen. Ein einzelner kühler Tag reicht dabei freilich nicht aus: „Es sollten schon mehrere Tage hintereinander sein.“ Inzwischen sind aber beide Faktoren auch in Görlitz erfüllt. „Insofern denke ich, dass es demnächst los- geht“, sagt Wesenberg. Im Übrigen liege die Natur noch im üblichen zeitlichen Rahmen: „Der Laubfall setzt meist zwischen Ende September und Mitte Oktober ein.“ Wenn es also demnächst losgeht, sei das alles nicht ungewöhnlich.

Auch Frank Rißmann von der gleichnamigen Baumschule in Ebersbach ist die mangelnde Laubfärbung aufgefallen. „Nur bei einigen Kirschen und Ahornen ist es schon recht kräftig“, sagt er. Rißmann unterstützt die Erklärung von Wesenberg nicht, sondern hat eine andere Theorie, die eher zu der Annahme von Erika Mühle passt. Seine Vermutung: „Viele Pflanzen wachsen noch, weil es noch feucht genug ist.“ Die Feuchtigkeit sei der entscheidende Faktor. Die derzeitige Kälte halte die Pflanzen hingegen nicht vom Wachsen ab: „Es war ja lange sehr warm.“ Rißmann vermutet, dass es kälter und sonniger werden muss, damit die Blattfärbung einsetzt. Aber er macht sich überhaupt keine Sorgen: „Es wird schon noch losgehen.“ In zwei Wochen werde sicher alles viel bunter sein. Zwar sei die Herbstfärbung von Jahr zu Jahr unterschiedlich intensiv, aber ganz ohne Herbstfärbung gehe es nie.

Die Görlitzer Gärtner machen sich ebenfalls ihre Gedanken. „Vom Gefühl her würde ich vermuten, dass es wohl an der fehlenden Sonne liegen könnte“, sagt Sabine Reuter, Inhaberin der Gärtnerei Wagner in der Paul-Keller-Straße. Einige Sträucher, zum Beispiel der Wein, hätten mittlerweile eine Herbstfärbung angesetzt. „Man spricht ja immer vom goldenen Oktober, aber insgesamt ist der Oktober dieses Jahr bisher wirklich noch nicht besonders golden“, sagt Sabine Reuter.

Zumindest in einem Punkt sind sich also alle einig: Es wird schon noch losgehen. Für Erika Mühle heißt es nun also abwarten. Zumindest versprechen die Wetterprognosen im Internet für die nächsten Tage leicht steigende Temperaturen. Am Wochenende erwartet Görlitz demnach Höchsttemperaturen von zwölf bis 13 Grad und vielleicht auch ein bisschen Sonne. Kein schlechtes Wetter für einen Herbstspaziergang – selbst wenn die Blätter teils noch sehr grün sind. Erika Mühle überlegt, am Wochenende vielleicht sogar mal wieder auf die Landeskrone zu gehen. „Aber nur, wenn es nicht regnet“, sagt sie. Ansonsten bleibt es bei einer kürzeren Runde.