Merken

Wo bleiben die bunten Blätter?

Zu warm und zu nass hat der Herbst begonnen, die Natur steckt im Spätsommer fest. Aber das kann sich schnell ändern.

Teilen
Folgen
© Kristin Richter

Von Julia Vollmer und Katarina Gust

Sächsische Schweiz. Die Sonne lugt durch die gelben und roten Blätter hindurch, es ist gerade warm genug, auf einen Schal zu verzichten. Aber schon so frisch, dass der Sommerblazer gegen den Herbstmantel getauscht werden muss. Doch genau dieser Indian Summer, die Jahreszeit, in der sich der Herbst von seiner schönsten Seite zeigt, kommt einfach nicht. In den vergangenen Tagen zeigte das Thermometer manchen Morgen gerade einmal fünf Grad über Null an, der Herbst ist ohne Zweifel da. Aber die Blätter auf den Bäumen sind fast alle noch grün. Warum ist das so? Für Christoph Neinhuis, Professor an der TU Dresden, ist die Sache klar. Im gesamten Jahr 2016 war es überdurchschnittlich warm, und daher behalten die Blätter länger ihre grüne Farbe. Auch wenn der Sommer eher durchwachsen war, blieben die Temperaturen über dem Durchschnitt. Solange es noch keinen regelmäßigen Nachtfrost gibt, arbeitet die Fotosynthese auf Hochtouren. Die Folge: Die Blätter bleiben grün. Wann die Blätter dann von den Bäumen fallen, hängt von der Tageslänge ab, so der Botanik-Professor. Werden die Tage kürzer, werfen die Bäume ihr Laub ab. Das würde auch passieren, wenn man alle Bäume und Pflanzen in Gewächshäuser mit 25 Grad Innentemperatur stellen würde, sagt Wissenschaftler Christoph Neinhuis.

Regen gibt den Bäumen Kraft

Was der TU-Professor in der Theorie erklärt, hat Mike Metka vom Forstbezirk Neustadt täglich vor Augen. Der Revierförster, der für die Wälder im Revier Hohwald zuständig ist, kennt sich bestens aus mit der heimischen Flora. „Es ist tatsächlich nicht kalt genug“, bestätigt Metka. Vor allem der Unterschied zwischen den Temperaturen am Tag und in der Nacht war in den vergangenen Wochen nicht sehr groß. Und genau dieser werde gebraucht, damit die Blätter ihre Farbe verändern.

Experten sprechen auch von einem sogenannten Kältereiz, den die meisten Bäume brauchen, um ihre Farbe zu verändern. Kühlere Temperaturen in Kombination mit längeren Nächten seien ein Signal an die Bäume, ihre wertvollen Nährstoffe aus den Blättern einzulagern. Dass die Wälder noch sehr grün sind, ist für Förster Mike Metka dennoch kein Problem. „Wir haben darauf sowieso keinen Einfluss“, sagt er. Setzt die Laubfärbung dann einmal ein, werden die Blätter aufgrund der Verspätung nicht mehr lange an den Bäumen hängenbleiben, vermutet der Forstmann. Dann stelle sich der normale Takt der Jahreszeiten wieder ein.

Probleme könnten die Blätter nur verursachen, wenn es zeitnah einen Wintereinbruch gibt. Dann kann von den Bäumen, die noch belaubt sind, eine Gefahr aus gehen. Wenn nasser schwerer Schnee auf die Blätter fällt, droht Schneebruch, da die Gehölze dem Gewicht nicht standhalten. Nicht nur einzelne Baumkronen, sogar ganze Bäume könnten unter der Last ab- oder umbrechen. Solch ein Szenario war zum Beispiel Ende 2012 in weiten Teilen der Sächsischen Schweiz zur Realität geworden. Damals mussten etliche Waldgebiete gesperrt werden. Eis und Schnee sieht Mike Metka für die kommenden Tage aber noch nicht.

Wolfgang Friebel, Gärtner im Schlosspark Pillnitz, beobachtet die für Mitte Oktober erstaunlich vielen grünen Blätter an Büschen und Bäumen auch in seinem Gebiet. „Der Grund dafür ist der viele Regen der letzten Wochen, das gibt den Pflanzen neue Power.“ Die Nächte sind im Vergleich zum vergangenen Jahr noch mild, 2015 färbten sich schon Ende August die ersten Blätter. Auch der Nachtfrost kam damals früher, schon im September gab es die ersten Nächte mit Temperaturen unter null Grad. Gärtner Friebel hofft, dass der goldene Oktober diese Woche Einzug hält.

Wenn die Nächte mild bleiben, könnte der Umzug der Pillnitzer Kamelie in ihr Winterquartier auf Ende des Monats verschoben werden. Trotz des milden Wetters laufen schon die Vorbereitungen für den Winter in Pillnitz. Die Kübelpflanzen werden ins Warme geräumt und die Pflanzen aus den Beeten entfernt. Fürs nächste Frühjahr werden Blumenzwiebeln in die Erde gesteckt.

Im Gebirge bald Schnee möglich

Der Deutsche Wetterdienst bestätigt Friebels Theorie: Sachsen gehörte mit durchschnittlich 65 Litern pro Quadratmeter im Herbst zu den regenreichsten Bundesländern. Regnen soll es auch diese Woche wieder, allerdings ist es mit den milden Temperaturen wohl ab Mitte der Woche vorbei, schätzen die Meteorologen. In den Höhenlagen des Osterzgebirges kann das Quecksilber nachts dann unter den Gefrierpunkt rutschen, und selbst im übrigen Landkreis werden nur noch einstellige Werte erreicht. Die Bäume könnten ihre Blätter schneller abwerfen als gedacht.