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Wo bitte liegt Rödinghausen?

Die Frage hatte sich Franz Pfanne vor seinem Wechsel auch gestellt. Nun empfängt er im Pokal seinen Ex-Verein Dynamo.

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© Noah Wedel

Von Daniel Klein

Die Zeiten, als man zum Atlas griff, sind vorbei. Heute tippt man einen Ort in eine Internet-Suchmaschine und kann ihn umgehend geografisch einordnen. Zum Beispiel Rödinghausen. Genauso hat es auch Franz Pfanne gemacht, als er einen Anruf vom Sportverein Rödinghausen bekam. Inzwischen weiß er genau, dass die Gemeinde zwischen Osnabrück und Bielefeld liegt, seit dieser Saison spielt er für den Viertligisten. Am Samstag kommt es zu einem besonderen Duell: Dynamo Dresden, sein Ex-Klub, tritt in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen den SV Rödinghausen an.

Anderes Trikot, ähnliche Geste: Bis 2015 spielte Pfanne bei Dynamo.
Anderes Trikot, ähnliche Geste: Bis 2015 spielte Pfanne bei Dynamo. © Robert Michael

Pfanne ist deshalb in diesen Tagen ein gefragter Mann, immer wieder muss er erklären, was das denn für ein Verein sei, bei dem er in der Sommerpause einen Zweijahresvertrag unterzeichnet hat. Er erzählt dann von den professionellen Bedingungen, vom festangestellten Physiotherapeuten, von der Wäschefrau, die sich um alles kümmert, vom Kraftraum und davon, dass „95 Prozent der Mannschaft Profis sind“. Der Rest ist jung und macht eine Ausbildung. Gefragt nach den Unterschieden zu Dynamo fällt dem 23-Jährigen abgesehen vom Offensichtlichen nach langem Überlegen doch etwas ein: „Wir haben hier keine Sauna und kein Entmüdungsbecken.“ Irgendwo muss sich ein Zweiklassen-Abstand ja auch bemerkbar machen.

Die Entwicklung des Vereins aus dem 10 000-Einwohner-Ort ist ein bemerkenswerter. Fünf Aufstiege in Folge feierte der SV, bis er 2014 in der Regionalliga West ankam. Das muss aber noch nicht Endstation sein. Nach drei Spieltagen liegt Rödinghausen auf Platz zwei. „Wir wollen so lange wie möglich oben dranbleiben“, sagt Pfanne, „das erklärte Ziel ist die 3. Liga aber nicht.“ Noch nicht.

Wer derart schnell nach oben schießt, hat meistens einen potenten Geldgeber in der Hinterhand, beim SV Rödinghausen prangt er auf der Brust. Das Familienunternehmen Häcker ist der drittgrößte Küchenproduzent in Deutschland, machte 2017 einen Umsatz von 553 Millionen Euro. Einen Teil des Gewinns bekommt die kickende Nachbarschaft.

Der SV erklärte das Pokalduell am Samstag zum größten Spiel der Vereinsgeschichte. Es ist sogar so groß, dass das Wiehenstadion mit seinen 3 140 Plätzen zu klein ist. Deshalb wird ins 50 Kilometer entfernte Lotte umgezogen. Beim dortigen Drittligisten, der von Ex-Dynamo Matthias Maucksch trainiert wird, passen 10 000 Zuschauer ins Stadion. „Natürlich ist es schade, dass wir nicht in unserem kleinen, feinen Wohnzimmer spielen können, aber aufgrund der Vielzahl der Dynamo-Fans blieb da keine andere Möglichkeit“, meint Pfanne.

Er kennt sich bestens aus mit der schwarz-gelben Fanszene, von 2007 an durchlief er Dynamos Nachwuchsschule, 2014 schaffte er den Sprung in den Profikader, doch es blieb bei zwei Drittligaminuten. Nach der Saison wechselte der Mittelfeldspieler in seine Heimatstadt Bautzen. Dort spielte er in der Regionalliga, arbeitete aber auch 25 Stunden pro Woche als Bankkaufmann. Das sei überhaupt nicht schlimm gewesen, sagt er, doch er hatte das Gefühl, dass er durch die Doppelbelastung nicht 100 Prozent seines Potenzials abrufen konnte. In Rödinghausen darf er sich ganz auf den Fußball konzentrieren, zweimal pro Woche wird auch vormittags trainiert. „Ich habe die Chance bekommen, mich bei einem ambitionierten Verein für weiter oben zu empfehlen. Die wollte ich nutzen“, begründet Pfanne den Wechsel. Finanziell dürfte er sich auch nicht verschlechtert haben.

Seine neue Mannschaft charakterisiert er als spielstarke, der erst 34-jährige Trainer Enrico Maaßen, der vergangene Saison noch bei Bayerns Pokalgegner SV Drochtersen/Assel auf der Bank saß, habe einen Plan und noch was vor. Als nächstes will er die zweite Pokalrunde erreichen. „Das ist unser Ziel, egal wie“, sagt Pfanne und klingt dabei durchaus optimistisch. Obwohl er in Bielefeld wohnt, hatte er sich Dynamos Gastspiel auf der Alm vergangenen Samstag „gemütlich von der Couch aus“ angesehen und durchaus Schwachstellen erkannt. „Ich war froh, dass Dynamo nicht gewonnen hat, sonst wären sie mit breiter Brust zu uns gekommen.“

Das Selbstvertrauen, glaubt Pfanne, sei also ein wenig geschwunden, das Selbstverständnis aber noch das gleiche. Und das hat schon viele Favoriten im DFB-Pokal ins Straucheln gebracht. „Natürlich wird Herr Neuhaus den Spielern einschärfen, dass sie uns keinesfalls unterschätzen dürfen. Aber im Hinterkopf sitzt trotzdem fest: Wer bitte ist schon Rödinghausen? Genau darin liegt unsere Chance.“ Der Dynamo-Trainer vertritt, kaum verwunderlich, eine andere Meinung: „Ich glaube nicht, dass es bei uns so sein wird“, sagt Neuhaus.

Welche Mannschaft er in Lotte auflaufen lässt, darüber sei er sich noch nicht ganz sicher, doch er kündigt „die eine oder andere Veränderung“ an. Vielleicht rotiert Niklas Kreuzer in die Startelf, nicht nur ihn selbst würde das freuen. „Er ist einer meiner besten Freunde, wir sind fast täglich in Kontakt“, sagt Pfanne. „Ich habe ihm geschrieben, dass er am Samstag aufpassen soll, damit er nicht ständig auf dem Rasen liegt.“ Ein bisschen Spaß muss sein vor dem Spiel der Spiele.