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Wo Behinderte ganz normal sind

2,4 Millionen Euro stecken im neuen Zentrum der Görlitzer Werkstätten in Weinhübel. 68 Jobs gibt es jetzt hier.

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© PR/GöWe

Von Ralph Schermann

Von der Landeskrone singen sie, die so hoch sei, dass der Mensch gegen sie als kleiner Zwerg erscheine. Der launige Text des legendären Görlitz-Liedes macht den zehn Akteuren am Donnerstagabend sichtlich Spaß. Sie singen aus voller Kehle und in weißen Shirts mit dem Logo der Görlitzer Werkstätten. „Werkstatt-Chor“ nennen sie sich und haben allen Grund zur Freude: Mit einer Festveranstaltung geht der Neubau in Weinhübel offiziell in Betrieb.

Zum neuen Dienstleistungszentrum der Görlitzer Werkstätten in Weinhübel gehört auch die Tischlerei. Jaroslaw Sobotta (vorn) und Paul Geißler macht die Arbeit Freude. Hier entstehen Zuschnitte für die Industrie, aber auch Gartenmöbel, Holzverpackungen, Wei
Zum neuen Dienstleistungszentrum der Görlitzer Werkstätten in Weinhübel gehört auch die Tischlerei. Jaroslaw Sobotta (vorn) und Paul Geißler macht die Arbeit Freude. Hier entstehen Zuschnitte für die Industrie, aber auch Gartenmöbel, Holzverpackungen, Wei © Pawel Sosnowski

Der Görlitzer Werkstätten e.V., Träger der Görlitzer Werkstätten, hat dazu viele Gäste aus Politik und Gesellschaft eingeladen. Der Vorstandsvorsitzende André Maywald erinnert an den März 2013, als er „ein besonders dickes Osterei“ überreicht bekam, wie er damals den Zuwendungsbescheid von Sachsens Sozialministerin Christine Clauß nannte. 1,7 Millionen Euro standen drauf, und „bei dieser Summe zittern mir heute noch die Hände“, gesteht er.

Zusammen mit Eigenmitteln standen damals 2,4 Millionen Euro für ein neues Haus bereit. Auf dem bereits 2009 erworbenen Grundstück Friedrich-Engels-Straße 39 wurde damit eine Mehrzweckhalle zu einem 3 450 Quadratmeter umfassenden Dienstleistungszentrum der Görlitzer Werkstätten ausgebaut. Entstanden sind 68 Arbeitsplätze. Die größten Flächen nehmen eine Druckerei, eine Wäscherei und eine Tischlerei ein, zudem fanden der Berufsbildungsbereich und die zentrale Verwaltung ihren Platz. „Insgesamt wurden mehr als 2,4 Millionen Euro investiert, weil in dem früheren Möbellager Fundamente brüchiger, Leitungen maroder und Dächer verschlissener als erwartet waren. Die Arbeiten wurden von über 20 meist regionalen Firmen ausgeführt“, fasst André Maywald zusammen, der seit 2008 an der Vereinsspitze steht.

„Das Geld ist gut angelegt“, sagt Landkreis-Sozialdezernentin Martina Weber, „denn es verbessern sich die Arbeitsbedingungen der Werkstätten wesentlich“. Diese seien längst eine „normale Firma“ geworden, ohne jede Abschottung und damit ein Stück gelebte Integration. Landtagsabgeordneter Octavian Ursu (CDU) betont ebenfalls, wie wichtig diese Investition für Görlitz war: „Die Werkstätten müssen wir weiter pflegen und entwickeln.“ Denn es sei noch immer nicht selbstverständlich, dass sich Menschen für andere einsetzen.

Überall deutlich wird der Leitspruch der Einrichtung: „Wir bauen auf Fähigkeiten.“ Unter diesem Motto dichtet nicht nur der „Werkstatt-Chor“ ein Volkslied zu „Jetzt fahr’n wir über’n Berzdorfer See“ um, sondern kümmern sich rund 65 feste Mitarbeiter um insgesamt 329 Klienten mit einer körperlichen, geistigen, mehrfach- oder psychischen Behinderung, die sonst keine Chance auf eine Integration in das Arbeitsleben hätten. Zur beruflichen Förderung gehören Holz- und Metallverarbeitung, Druck und Gestaltung, Textilarbeiten, Wäsche und Montagen. Zu den Görlitzer Werkstätten zählen neben dem neuen Dienstleistungszentrum auch die Außenstellen Reichenbach, das GCG Am Klinikum und die Zweigwerkstatt hinter dem Schützenhaus mit dem Förder- und Betreuungsbereich. Besonders stolz ist André Maywald auf mittlerweile 25 Außenarbeitsplätze: „Klienten unserer Werkstatt haben eine feste Aufgabe im Theater, bei der Verkehrsgesellschaft, bei Sapos, bei der Firma Goltz und in vielen anderen Einrichtungen gefunden, das ist eine wunderbare Entwicklung.“ So sehen es auch die drei Sprecher des Werkstatt-Rates, die ein sorgfältig ausgearbeitetes Grußwort vortragen. Und die auch schon genau wissen, dass in der Werkstatt weitergebaut wird.

Die Ausmaße waren 1991 noch nicht absehbar, als sich Eltern Behinderter in einem Trägerverein zusammenfanden. Aus diesem entwickelten sich Schritt für Schritt die Görlitzer Werkstätten, deren Einzugsgebiet sich auf die Stadt und auf das Umland erstreckt. Die Werkstatt ist offen für Praktikanten verschiedener Ausbildungsberufe, für den Bundesfreiwilligendienst und für das Freiwillige Soziale Jahr. Neben der Arbeit gibt es auch Begleitangebote – etwa Sport, Entspannung, Ergotherapie oder Lebenspraxis für die Menschen mit Behinderung. Die Klienten feiern gemeinsam Feste, unternehmen Ausfahrten und singen begeistert im „Werkstatt-Chor“. Und mit jedem Lied werden sie dabei ausgelassener. Bei „Alle Vögel sind schon da“ ermuntert einer die Gäste: „Sie dürfen auch mitsingen“, schränkt dann aber doch gleich ein: „Na ja. Wenn Sie singen können!“