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Wissenschaftler widersprechen Jägern

Jagdverband und AfD behaupten: Viele Wölfe sind gefährliche Mischlinge. Das ist purer Unsinn, sagen Experten.

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© Archivfoto: Kontaktbüro/Sebastian Körner

Von Sebastian Kositz

Bautzen. Beharrlichkeit kann sich auszahlen – das wissen Jäger sehr genau. Doch Ausdauer braucht es bisweilen nicht nur auf dem Hochsitz. Mit Beharrlichkeit werben Sachsens Jäger bereits seit Jahren dafür, die Hürden für den Abschuss des Wolfes zu senken. Erst kürzlich hatte der Landesjagdverband wieder vor einer wachsenden Bedrohung gewarnt und dabei auch auf die Gefahren durch Hybriden, Kreuzungen zwischen Wölfen und Hunden, verwiesen. Diese seien gefährlich für den Bestand der echten Grauwölfe – aber auch den Menschen. Eine These, bei der echte Fachleute allerdings vehement mit dem Kopf schütteln.

Sachsens Jäger sprechen sich mehrheitlich für einen deutlich lockeren Finger am Abzug aus, was bislang der strenge Artenschutz aber verhindert. Zumindest verbal hat der Landesjagdverband mit der These von den Hybriden jetzt jedoch noch einmal durchgeladen. Norman Härtner, der Vizepräsident des Jagdverbandes, geht fest davon aus, dass es sich bei vielen Tieren in der Region nicht um echte Grauwölfe handelt: „Wir vermuten, dass bis zu 40 Prozent der Wölfe in der Oberlausitz Hybriden sind.“

Vermischung birgt Gefahren

Trifft diese Schätzung zu, gebe es für die Jäger im Freistaat einen wirklichen Grund, die Flinte anzulegen. Denn der Artenschutz gebietet durchaus, derartige Mischlinge „aus der Natur zu entfernen“, wie das Kontaktbüro Wölfe in Sachsen informiert. Die Vermischung, so heißt es von dort weiter, könnte dazu führen, dass einzelne Populationen auf Dauer ausgelöscht werden.

Der Landesjagdverband sieht sich deshalb in seinen Forderungen bestärkt – und auch in der Politik gibt es inzwischen Stimmen, die genau dieses Vorgehen fordern. In einer Debatte zum Wolf im Bundestag hatte am Freitag auch der aus dem Landkreis Bautzen stammende Abgeordnete Karsten Hilse (AfD) ins Horn der Jäger gestoßen und noch einmal ausdrücklich vor der Gefahr für Menschen gewarnt: Bei den Hybriden werden aus seiner Sicht Wesensmerkmale vermischt. Die Folge sei eine Melange, aus wildem Wolf und zahmen Hund, der möglicherweise auch keinerlei Scheu mehr vor dem Menschen zeige, so die Erklärung.

Ganze Stammbäume erstellt

Der Landesjagdverband beruft sich auf „ernstzunehmende Wissenschaftler“, Karsten Hilse verweist in seiner Rede im Bundestag zudem auf Proben, die „vielfach“ gezeigt hätten, dass es sich um Hybriden handelt. Tatsächlich werden überall in deutschen Wolfsregionen regelmäßig Kot, Haare oder andere Hinterlassenschaften der Wildtiere eingesammelt und zur Auswertung an eine zentrale Stelle geschickt: dem Fachgebiet für Naturschutzgenetik der renommierten Senckenberg Gesellschaft in Gelnhausen bei Frankfurt am Main. Der Leiter dieser Einrichtung, Carsten Nowak, zeigt sich jedoch äußerst verwundert über die Aussagen. Zwar komme es durchaus dazu, dass sich Wolf und Hund untereinander paaren. Doch das sei allerdings weder ein Massenphänomen, noch würden Mischlinge eine größere Gefahr für den Menschen darstellen, erklärt der Fachmann.

In Gelnhausen werden jedes Jahr etwa 1 500 genetische Proben von Wölfen analysiert. Bis zu 200 stammen aus der Oberlausitz. Aus jedem Rudel nehmen die Forscher Gene unter die Lupe, sind damit in der Lage, ganze Stammbäume zu erstellen. Dahinter steckt ein ausgeklügeltes Verfahren, um Fehler zu vermeiden, versichert Carsten Nowak. „Uns würde es sofort auffallen, wenn dabei etwas nicht stimmt“, so der Experte. In Sachsen habe es bislang einen Fall gegeben. Das sei 2003 gewesen. Aktuell gebe es ein Beispiel in Thüringen, einige Hybridenfälle seien zudem für das Grenzgebiet zu Deutschland in Tschechien belegt.

Debatte ignoriert Forschungsergebnisse

Die Forscher der Senckenberg Gesellschaft stehen regelmäßig im Austausch mit Kollegen aus dem Ausland. Einzelfälle gebe es überall, von derartigen Häufungen, die Sachsens Jäger unterstellen, habe Carsten Nowak aber nirgends gehört. „Wir erleben derzeit überall auf der Nordhalbkugel eine rasante Ausbreitung des Wolfs: in den USA, Finnland, Polen, Russland“, sagt Carsten Nowak. Die Hybridentheorie werde übrigens auch dort trotz fehlender Belege fleißig verbreitet, weiß der Fachmann.

Carsten Nowak widerspricht außerdem der These, dass durch die Vermischung ein für den Menschen gefährlicheres Tier entsteht. In der Fachliteratur gebe es dafür bislang keine Hinweise. Dass die Forschungsergebnisse in der Wolfsdebatte derart ignoriert werden, ärgert den Experten durchaus: „In der Wissenschaft existiert diese Hybridendebatte nicht. Da gibt es keinerlei wissenschaftlichen Disput. Es geht hier um Lobbyinteressen.“ Ungeachtet dessen, so erklärt Carsten Nowak, handelt es sich beim Wolf aber immer noch um ein Raubtier, das im Auge behalten werden muss.