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Wird Dresden zur Fahrradstadt?

Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain über Verkehrskonzepte, gefährliche Kreuzungen, öffentliche Luftpumpen und Rad-Autobahnen.

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© Wolfgang Wittchen

Der Radverkehr in Dresden wächst. Sein Anteil am Gesamtverkehr liegt nach den jüngsten Zahlen des Rathauses bei rund 17 Prozent. Das ist dreimal so viel wie noch Anfang der 1990er-Jahre. Die Infrastruktur für Fahrradfahrer ist in dieser Zeit nicht mitgewachsen. Es gibt viele Lücken und Gefahrenstellen im Wegenetz. Das soll sich unter Raoul Schmidt-Lamontain nun ändern. Der Grüne ist seit 2015 Baubürgermeister. Im SZ-Interview erklärt der 39-Jährige, wie Dresden zur Fahrradstadt wird.

Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain (Grüne) hat klare Vorstellungen, wie Dresden zur Fahrradstadt werden kann.
Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain (Grüne) hat klare Vorstellungen, wie Dresden zur Fahrradstadt werden kann. © Sven Ellger
Anfang Februar kam an der Kreuzung Bautzner/Rothenburger Straße eine junge Radfahrerin ums Leben. Nun will der Baubürgermeister die Gefahrenstelle entschärfen lassen.
Anfang Februar kam an der Kreuzung Bautzner/Rothenburger Straße eine junge Radfahrerin ums Leben. Nun will der Baubürgermeister die Gefahrenstelle entschärfen lassen. © Christian Juppe

Herr Schmidt-Lamontain, Radverkehr hat bisher eine untergeordnete Bedeutung. Was ändert sich mit Ihnen?

In den 1990er-Jahren war die Verkehrsplanung sehr auf den Autoverkehr fokussiert, mit gewissen Vorrangschaltungen für den Nahverkehr. Historisch ist das erklärbar. Viele mussten lange Zeit auf Autos verzichten und hatten dann alle Freiheiten. Mittlerweile gibt es eine andere Entwicklung. Mehr Leute steigen aufs Rad um.

Was hat das für Auswirkungen?

Wir müssen massiv investieren und vor allem Leute in die Verwaltung holen, die sich mit Radverkehr auskennen. Wir brauchen Experten, die Radverkehrsanlagen planen und umsetzen können.

Meinen Sie ein Radverkehrsbüro, das auch der Fahrradklub ADFC fordert?

In anderen Städten gibt es das. Es hilft aber nichts, wenn ich keine Leute dafür habe. Es ist kein Allheilmittel. Zurzeit gibt es je einen Mitarbeiter im Stadtplanungsamt und im Tiefbauamt, die schwerpunktmäßig Radverkehr planen. Auf der anderen Seite steht eine Million Euro pro Jahr dafür zur Verfügung. Für den nächsten Haushalt ist noch mehr Geld angekündigt. Das ist für Projekte, die einen gewissen Vorlauf brauchen. Dafür brauche ich Mitarbeiter, die ich zusätzlich einstellen will. Das ist mein Ziel. Ob das funktioniert, wird sich zeigen.

Sie kritisieren die Pläne der 1990er-Jahre. Was ist mit dem letzten Jahrzehnt?

Dass gar nichts passiert ist, wäre unfair zu behaupten. Dresden kann sicher nicht mit anderen Städten mithalten und wird sich auch in den nächsten Jahren nicht mit Kopenhagen oder Münster vergleichen können. Radwege gibt es, aber das Netz ist lückenhaft. Mein Vorgänger hat ein Radverkehrskonzept in Auftrag gegeben, das bis zum Sommer fertig ist. Es gibt großen Nachholbedarf. Aber ich lege Wert darauf, dass das Konzept umgesetzt wird.

Wie wird Dresden zur Fahrradstadt, die sich mit anderen vergleichen kann?

Wir brauchen die Vorgaben des Konzepts und Geld dazu. Die Randbedingungen sind auch wichtig. Wo kann ich mein Rad sicher abstellen, was ist bei einer Panne? Ich denke an öffentliche Luftpumpen und Stationen, wo man das Rad abstellen, reparieren oder waschen lassen kann. Das belächeln viele, ist aber in vielen Städten normal. Wir sollten das Rad besser mit dem Nahverkehr verbinden und Verleihsysteme stärken.

Sind „Rad-Autobahnen“ eine Lösung?

Das gibt es in anderen Städten schon, kostet aber viel Geld. Ich finde, wir sollten unsere Mittel nutzen, um die Grundlage zu schaffen, und das ist ein vernünftiges Wegenetz in der Stadt. Für die Zukunft sind Radschnellwege spannende Projekte.

Das Blaue Wunder ist seit Jahren ein Riesenärgernis für Radfahrer. Welche Probleme gibt es noch?

Bei den Hauptstraßen sieht es schon recht gut aus, zumindest bei denen, die jüngst saniert worden sind, wie die Schandauer Straße. Dass es viel zu tun gibt, merkt jeder, der Rad fährt. Es gibt in Dresden viele Stellen, die wir angehen müssen. Ich gehe davon aus, dass das Blaue Wunder innerhalb der nächsten drei Jahre zu einer sicheren Verbindung für Radfahrer wird. An vielen Stellen fehlen Radwege ganz oder enden abrupt. Eine Problemstelle ist zum Beispiel auch die Bodenbacher Straße an der Kreuzung mit der Marienberger Straße, wo sich im vergangenen Jahr ein ähnlicher Unfall mit einer toten Radfahrerin wie an der Rothenburger ereignet hat. Eine Lücke schließen wir bald an der Bautzner Straße. Es gibt noch zu viele Beispiele.

Stichwort Bautzner: Wann und wie wird die Kreuzung mit der Rothenburger Straße entschärft?

Die bisherige Planung wurde als sicher eingestuft. Ich finde aber die Verkehrsführung verwirrend, der Radstreifen endet vor der Kreuzung und man muss sich einordnen. Die Engstelle erkennen viele erst hinter der Kreuzung. Wie der Unfall im Februar passiert ist, wissen wir noch nicht. Das Gutachten liegt bei der Staatsanwaltschaft. Wir haben schnell reagiert und eine Lösung gefunden. In den Ferien wollen wir den Kreuzungsbereich umbauen. Der Fahrleitungsmast der Bahn wird versetzt und der Gehweg zwei Meter schmaler gestaltet. Damit können wir einen Radstreifen anlegen, der bis zur Nebenfahrbahn der Bautzner führt. Der große Umbau kommt dann 2017.

Apropos Umbauten. Die FDP kritisiert den Rückbau von Hauptstraßen und Umleitungsstrecken für die A 17.

Muss ich für den Fall einer gesperrten Autobahn einen ganzen Straßenzug ausbauen? Da habe ich erhebliche Zweifel. Nach dem Prinzip müsste ich die ganze Stadt zubetonieren, weil jede Straße mal gesperrt sein kann. Daran kann ich keine Stadtplanung allein ausrichten. Die Zeit rein autofixierter Planung ist vorbei. Wir müssen bei begrenzten Straßenräumen alle Nutzer unterkriegen. Da schreit immer jemand auf, weil er hinterher weniger hat. Wenn alle schreien, ist es ein guter Kompromiss. Rad- und Fußgängerverkehre steigen stark, der Autoverkehr geht auch auf einigen Hauptachsen tendenziell zurück. Trotz Bevölkerungswachstum nehmen laut Prognose die gefahrenen Kilometer nicht zu, während alle anderen Verkehrsarten zulegen. Das sollten wir auch mit Blick auf die Ökologie und Luftreinhaltung beachten und allen Menschen den nötigen Raum geben. In der Vergangenheit hat man diesen Verkehrsteilnehmern zu wenig zugestanden.

Das Gespräch führte Tobias Wolf.