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„Es war mein Fehler“

André Sarrasani über Fehlentscheidungen, verlorene Freunde und seine neuen Zirkuspläne in Dresden – im ersten Interview nach der Insolvenz.

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© Ronald Bonß

Herr Sarrasani, was haben Sie gedacht, als Ihnen bewusst wurde, dass Ihr Lebenswerk am Boden ist?

Es geht nicht nur um mein Lebenswerk. Es ist nur ein geringer Teil, den ich dazu beigetragen habe. Die Tradition ist eine enorme Verantwortung. Der Moment, wenn man das Ding am Boden sieht, ist extrem hart und schwierig. Viele aus meiner Familie und Bekannte haben gesagt: Du hast niemanden umgebracht. Als Geschäftsmann trifft man auch mal falsche Entscheidungen. Steh dafür gerade. Ich sehe die Insolvenz mittlerweile als Chance.

Wie haben Sie sich gefühlt, als klar war, es geht finanziell so nicht weiter?

Zuerst schuldig. Ich habe gedacht, jetzt ist alles vorbei. Ich habe das große Glück, eine wunderbare Partnerin, eine tolle Mutter und gute Freunde zu haben. Im ersten Moment bist du total am Ende. Ich hatte keinen Euro mehr auf dem Konto, musste meine Frau bitten, einfache Sachen zu bezahlen. Ich bin so aufgezogen worden, dass der Mann im Haus sich kümmern muss.

Wie konnte es zu dieser Situation überhaupt kommen?

Es gibt mehrere Ansatzpunkte. Da ist die Steuergeschichte: Wir haben bis 2009 für die gastronomische Leistung 19 Prozent und für die künstlerische Leistung die ermäßigten sieben Prozent Steuern gezahlt. Das wird in anderen europäischen Ländern auch so gemacht. Wir hatten auch eine Steuerprüfung, und das war okay. Später gab es einen Finanzgerichtsbeschluss, dass komplett 19 Prozent Steuern zu zahlen sind. Wir haben versucht, dagegen vorzugehen. Ich war davon überzeugt, dass es für uns entschieden wird. Das wurde es nicht. Das war der erste Schlag ins Genick.

Hätten Sie nicht Rücklagen bilden müssen, falls Sie vor Gericht verlieren?

Diese erhöhte Steuerlast – zwölf Prozent Unterschied sind für uns in jedem Jahr zwischen 80 000 und 120 000 Euro – ist zusätzlich angefallen. Wir konnten aber nicht parallel den Umsatz so sehr steigern oder die Ticketpreise erhöhen. Was wir als Rücklagen hätten bilden können, wurde aufgebraucht, um die Steuerschuld abzuzahlen. Aber man hätte früher was machen sollen.

Dann wollten Sie mit einer Ausstellung Geld verdienen. War das ein Fehler?

„Real Bodies“ war auf Deutsch gesagt ein Griff ins Klo. Da habe ich mich total falsch beraten lassen und falsche Hoffnungen reingesetzt. Das ist ganz klar meine Fehlentscheidung gewesen. Weil „Körperwelten“ in Dresden sehr erfolgreich war, bin ich davon ausgegangen, dass das auch klappt. Mit 40 000 Besuchern hätten wir super dagestanden, es waren aber nur 11 000. Außerdem haben wir eine viel zu hohe Miete für die Ausstellung bezahlt. Dagegen gehen wir juristisch vor. Aber ich will mich nicht herausreden, es war mein Fehler.

War Ihr Unternehmen nicht vorher bereits finanziell angeschlagen?

Wir haben 2014 ein Plus gemacht, 2015 lief nicht besonders. Wenn man mit so einem Unternehmen mal 100 000 Euro Miese macht, kann man das auch wieder aufholen. „Real Bodies“ hat richtig reingehauen. Der Vermieter ist der größte Gläubiger mit etwa 160 000 Euro. Rechnet man Transport, Werbung und so weiter dazu, komme ich auf über 300 000 Euro von den insgesamt 600 000 Euro Verbindlichkeiten. Wäre das erfolgreich gewesen, hätten wir den Verlust von 2015 ausgeglichen.

Der Vermieter hat Sie wegen Betrugs angezeigt. Was sagen Sie dazu?

Diese Anzeige ist haltlos. Das ist ein Mittel, um Druck aufzubauen. Aber ich muss auch diese öffentlichen Prügel jetzt verkraften.

Wie die von Starkoch Gerd Kastenmeier, der Ihnen auch Betrug vorwirft?

Wir waren gut befreundet, haben fünf Jahre ein tolles Produkt abgeliefert, und ich habe Gerd immer behandelt, als wenn er ein Partner wäre. Er hat das Geld, was ihm zustand, immer bekommen und teilweise mehr. Danach zu sagen, ich hätte ihn betrogen und wenn es einem schlecht geht, noch draufzutreten, hat ihm wohl mehr geschadet als mir. Ich bin total enttäuscht.

Haben Sie noch Kontakt?

Überhaupt nicht. Das geht so weit, dass er nicht mal mehr guten Tag sagt.

Wie wichtig ist es für Sie, sich selbst da rausholen zu können?

Das ist der Antrieb. Alle erwarten von mir, dass ich mich nicht verstecke und den Laden aus dem Dreck ziehe. Schon wieder Druck! Abgesehen von der immer vorhandenen Erwartungshaltung, dem Namen gerecht zu werden. Wenn ich erlebe, wie viele Besucher der Show mir Mut zusprechen – das ist ein unwahrscheinlicher Ansporn.

Haben Sie auch mal überlegt, alles hinzuschmeißen?

Ja. Es gab schon Momente, in denen ich dachte: alles egal! Zehn Tage vor der Premiere war so ein Punkt. Da habe ich gedacht, du bist total am Ende, deine Kinder sehen dich nicht, deine Mutter sieht dich nicht, deine Frau und du drehen am Rad – für was? Da bin ich morgens aufgewacht, habe mich auf den Balkon gesetzt und gedacht: Soll der Insolvenzverwalter machen was er will. Dann hat meine Frau gesagt, ich trete dir in den Hintern. Unsere Kinder machen das Geschäft mal weiter.

Es gab bereits Insolvenzen in der Familiengeschichte Sarrasani. Ist Zirkus ein Leben an der Kante?

Man kann mit Zirkus und Varieté viel Geld verdienen, es aber auch noch schneller verlieren. Im richtigen Moment mit dem richtigen Produkt am richtigen Ort zu sein, kannst du nicht kalkulieren. Viele große Zirkusunternehmen waren mehrmals pleite, bevor sie erfolgreich wurden. 1981 hat mein Vater Konkurs anmelden müssen. Wenn man zwei, drei Jahre schlechte Geschäfte gemacht hat, ist es einfach vorbei.

Andere Zirkusse haben etwas geändert. Müssen Sie sich neu erfinden?

Vielleicht nicht neu erfinden. Aber ich denke sehr viel darüber nach, ob ich das richtige Geschäftsmodell habe. Das Trocadero ist nicht verkehrt, denke ich. Wir brauchen aber auch im Sommer etwas, das für kontinuierliche Einnahmen sorgt. Deswegen die Entscheidung für den Gasthof „Goldene Weintraube“ in Radebeul. Damit schaffen wir eine Art Grundrauschen. Wenn wir die Gastronomie der Felsenbühne dazubekommen, würde sich das weiterentwickeln. Und: Wir wollen wieder richtigen Zirkus machen. Das überlegen wir gerade.

Gehen die Leute denn noch in den Zirkus, außer in der Weihnachtszeit?

Der Weihnachtszirkus hier läuft richtig gut. Aber auch in anderen Städten funktionieren solche Modelle. Wir wollen keinen zweiten Weihnachtszirkus in Dresden. Aber eine Zirkus-Show, die über Weihnachten durch die Republik reist, mit dem bekannten Namen Sarrasani, kann funktionieren. Ich habe mit Zirkus aufgehört, als ich das Unternehmen übernommen habe, weil ich es für nicht mehr zeitgemäß hielt. Vielleicht ist es jetzt wieder zeitgemäß.

Es soll Interessenten geben, die bei Ihnen einsteigen wollen. Vorstellbar?

Klar. Wir brauchen Geld. Es hilft nichts, wenn wir im Januar nicht weiter existieren können, weil der mögliche Überschuss an die Gläubiger geht. Wenn wir es schaffen, ein paar Leute zu finden, die uns Geld geben, hätten wir eine Basis und neue Impulse. Aber zunächst muss das aktuelle Geschäft laufen. Wenn wir bis Ende Januar nicht in einem halbwegs sicheren Hafen sind, wird das Unternehmen zerschlagen.

Wie überzeugt sind Sie, dass Ihr Plan aufgeht und es wieder läuft?

Ich bin hundertprozentig überzeugt: Wir packen das! Vielleicht nicht bis Januar. Wir brauchen jetzt Zuschauer in der Show. Nur über die Tickets können wir Geld verdienen. Das schaffen wir aber nur, wenn wir etwas Gutes abliefern. Wir hatten gerade einen Abend mit 60 Gästen. Das ist eine Katastrophe, wenn Platz für 300 Zuschauer ist. Aber die haben uns von der ersten bis zur letzten Minute gefeiert. Im Team wissen alle, dass es uns schlecht geht, aber sie geben alles. Die Energie und Freude, die man zurückbekommt, ist der Wahnsinn.

Das Gespräch führte Andreas Weller.