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„Wir wollen Vielfalt“

Torsten Roch vom Biosphärenreservat Oberlausitz in Wartha spricht im Interview über die Zukunft von Feld, Wald und Teich in der Region.

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© Wolfgang Wittchen

Von Irmela Hennig

Wie bestellt, sitzt der Bussard auf einem kahlen Bäumchen. Der Raubvogel hat das Feld vor ihm genau im Blick. Nahrungssuche. Ausguck-Möglichkeiten findet er an der Straße zwischen Guttau und Wartha. Denn hier gehören Bäume am Wegesrand noch zum Straßenbild. Vielerorts aber verschwinden diese Rast- und Sitzplätze für Vögel. Weil sie dem Straßenverkehr im Weg sind, weil das Feld bis zum letzten Zentimeter beackert werden muss. Weil einfach nur Baum kein Geld bringt.

Torsten Roch leitet seit einem Jahr das Biosphärenreservat in der Oberlausitz.
Torsten Roch leitet seit einem Jahr das Biosphärenreservat in der Oberlausitz. © dpa

Doch schon ein einzelner bedeutet eine Chance für die Artenvielfalt. Um die bemüht sich das Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft seit seiner Gründung 1994. Und seit 1996 unter dem Siegel der Unesco, zu deren globalem Netz aus 660 Reservaten es gehört. Seeadler, Uhu, Wölfe und Biber haben sich hier wieder angesiedelt, werden beobachtet und so gut es geht geschützt. Andere Arten – die Störche zum Beispiel – sind Sorgenkinder.

Seit einem Jahr leitet Torsten Roch die Verwaltung des Oberlausitzer Biosphärenreservats. Der 44-Jährige ist diplomierter Forstingenieur und hat vorher die Abteilung Staatsforstbetrieb im Forstbezirk Oberlausitz geleitet. Die SZ sprach mit ihm über Artenschutz, ein gerade neu entstehendes Rahmenkonzept für die Reservatsregion und Tourismus.

Herr Roch, in Sachsen wird gerade über den Abschuss von Wölfen diskutiert - vor allem, weil ein Rudel im Raum Rosenthal viele Nutztiere reißt. Haben Sie im Biosphärenreservat ähnliche Sorgen und Abschusswünsche?

Nein, haben wir momentan nicht. Der Wolf ist hier inzwischen flächendeckend heimisch und hilft uns, das Wild zu begrenzen. Denn das richtet durch Verbiss an jungen Bäumen lokal viel Schaden an.

Deswegen ist im Entwurf für das neue Rahmenkonzept des Biosphärenreservats sogar die Rede von der „Wildbestandsregulierung in der Kernzone zur Schadensabwehr für angrenzende Landnutzungen“. Eingriff in die reichlich 1 100 Hektar große Kernzone, aus der der Mensch sich doch raushalten soll – geht das?

Auch bisher wird die Jagd in der Kernzone durchgeführt. Das ist tatsächlich ein Kompromiss zwischen striktem Naturschutz und der Landnutzung im Umfeld. Besonders aber dort, wo Äcker angrenzen, können so Konflikte durch übermäßige Wildschäden vermieden werden.

Wenn wir beim Wald sind – der muss den Klimawandel verkraften. Was bedeutet das für die Gehölze im Reservat?

Es wird wärmer, die Vegetationszeit verlängert sich um etwa einen Monat – das ist an sich noch nicht unbedingt ein Problem. Aber die Niederschläge in dieser Vegetationszeit werden voraussichtlich um ein Drittel sinken. Es wird also trockener. Die Kiefer, die hier Leitbaumart ist, kommt damit aber relativ gut zurecht. Deswegen ist die Region kein Waldumbau-Schwerpunkt. Wir setzen weiter auf Kiefer, allerdings in Mischung mit Laubbäumen. Es geht vor allem um Eiche, Birke, teilweise Buche und Aspe. Wir arbeiten dabei vor allem mit Naturverjüngung. Da hilft uns zum Beispiel der Eichelhäher, der Eicheln weiterträgt und die Eiche so verbreitet.

Dann wird man den Wald eher sich selbst überlassen?

Nein, das geht nicht. Dann wird er oben dicht, es kommt kein Licht mehr durch. Naturverjüngung kann so nicht wachsen. Eingriffe sind nötig. Doch wo es möglich ist, lassen wir der Natur Raum und nutzen, was sie leisten kann.

Eichelhäher, Seeadler, Uhu – viele geschützte und seltene Vogelarten sind heimisch oder wieder heimisch im Biosphärenreservat. Der Weißstorch ist indes ein Sorgenkind. In den 1990er Jahren gab es 36 Brutpaare, zuletzt waren es neun. Woran liegt's?

Da gibt es verschiedene Ursachen. Störche finden Nahrung vor allem auf frisch gemähten Feldern und Wiesen. Weil dann der hohe Pflanzenwuchs, unter dem sich die Mäuse verstecken, fehlt. Allerdings geht die Mahd heute so schnell, dass der Effekt für die Störche immer nur wenige Tage bleibt. Das reicht nicht. Wir wollen mit einem Projekt des Biosphärenreservats zumindest teilweise gegensteuern.

Worum geht es?

Eine Möglichkeit ist die Weidehaltung von Kühen. Die fressen immer nur ein Stück Wiese frei, genug für den Storch. An anderer Stelle bietet das Gras aber noch Versteckmöglichkeiten für Mäuse und weitere Arten. Außerdem kommt Dung auf die Weide. Der ist Lebensraum für Insekten. Und das wieder hilft den Vögeln.

Für Weidehaltung braucht es Partner.

Da haben wir die ersten Agrarbetriebe gefunden, die wieder mit Mutterkuhhaltung und alten Rassen arbeiten wollen. Wir hoffen aber auf noch mehr Mitstreiter.

Neben alten Rassen sind alte Getreidesorten ein wichtiges Thema im entstehenden Rahmenkonzept. Wie kommen die an?

Immer besser. Wir haben beim Champagnerroggen mit einem halben Hektar angefangen, heute steht er auf 250 Hektar Land. Die Bäcker der Region fragen das Getreide verstärkt nach. Die Entwicklung ist gut.

Und sie bringt Vielfalt in die Landwirtschaft ...

Das ist ein wichtiges Anliegen im neuen Rahmenkonzept. Wir wollen eine vielgestaltige Agrarlandschaft schaffen und pflegen. Das wird kein Zurück in die Kleinfeldwirtschaft, wie sie beispielsweise in Bayern heute noch typisch ist. Für die Region des Biosphärenreservats würde das an der Realität vorbeigehen. Die Frage ist aber – muss ein Ackerschlag 100 Hektar groß sein, oder kann man darauf eine Hecke setzen, einen Baum als Sitzwarte für Raubvögel pflanzen oder eine Blühfläche für Wildbienen schaffen?

Das Rahmenkonzept soll mit den Menschen in der Region entstehen. Warum – Sie könnten auch einfach verordnen?

Naturschutz und der Erhalt der Kulturlandschaft geht nur mit den Menschen. Wir sind darauf angewiesen, dass sie mitmachen. Und das tun sie. In der Diskussion über das Rahmenkonzept wird bislang deutlich, die Oberlausitzer stehen zum Biosphärenreservat. Es ist zudem wichtig, gemeinsam Lebensqualität zu erhalten. Denn auch in der Reservatsregion nimmt die Bevölkerung ab. Hier leben heute circa 9 200 Einwohner, etwa 1 000 weniger als vor zehn Jahren. Wir müssen miteinander dafür sorgen, dass Menschen hier bleiben wollen oder auch hierher (zurück-)ziehen.

Wie ist das Interesse beim Mitmachen am Rahmenkonzept?

Das ist gut. Bei einer Zukunftswerkstatt zu diesem Thema kamen kürzlich rund 50 Leute nach Wartha.

Und welche Anregungen haben die beispielsweise?

Das geht los mit kleinen Hinweisen – so beim Tourismus auch die Wanderwege in die künftige Konzeption einzubeziehen – die Gegend ist zwar eigentlich eine Radregion. Aber auch das Wandern spielt eine Rolle. Dann gibt es auch grundsätzliche Anliegen, wie die der Teichwirte, die eine Perspektive brauchen und sich zum Beispiel mehr Artenvielfalt in der Fischzucht wünschen. Das ist oft ein Abwägungsprozess.

Naturmärkte, Seeadlerrundweg, Haus der Tausend Teiche – es gab und gibt immer wieder interessante Projekte, mit denen das Biosphärenreservat viel Wirkung erzielt. Was ist da aktuell geplant?

Ein wichtiges Vorhaben ist die Redynamisierung der Spree. Wir wollen ihr wieder Raum zum mäandern lassen. Sie soll in ihr altes Bett zurückkehren. Das bedeutet beispielsweise auch, wir haben dann wieder einen Auwald, der bei Hochwasser immer mal überschwemmt wird. Ein kleineres Projekt setzen wir auf dem Eisenberg bei Guttau um. Dort kommt unter anderem der seltene Steppensesel, eine Pflanzenart, vor – nach unserem Kenntnisstand das einzige vitale Vorkommen in Sachsen. Allerdings sind Hainbuchen und Eichen dort in den vergangenen Jahren so groß geworden, dass sie die Vegetationsfläche überschatten. Hier wollen wir gezielt Bäume zur Förderung der Wiese entnehmen. Dort sind wir auch oft mit unseren Junior-Rangern bei der Wiesenpflege im Einsatz. So gibt es viele Ideen und Vorhaben. Ohnehin bieten wir jährlich rund 350 Veranstaltungen an. Und das Haus der Tausend Teiche ist als Infozentrum ganzjährig geöffnet.

Der Entwurf des Rahmenkonzepts ist im Internet nachzulesen. Bis Ende des Jahres können Hinweise, Fragen, Vorschläge dazu bei der Verwaltung des Biosphärenreservats eingereicht werden – schriftlich, telefonisch oder persönlich.

Torsten Roch war, anders als zuerst hier berichtet, zuletzt nicht Leiter des Forstbezirks Oberlausitz, sondern Leiter der Abteilung Staatsforstbetrieb im Forstbezirk Oberlausitz. Der Beitrag wurde deswegen am 11. Dezember, um 12.34 Uhr, geändert.