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„Wir waren alle nur Kanonenfutter“

Aus Wolfsburg zum IS: Zwei Deutsch-Tunesier müssen sich nach ihrem Syrien-Trip vor Gericht verantworten.

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© dpa

Von Wiebke Ramm, Celle

Ayoub B. wirkt, als gelänge es ihm nur mühsam, hinter vorgehaltener Hand nicht lachend loszuprusten. Der 27-Jährige sitzt im Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Celle hinter Panzerglas. Rechts neben ihm sitzt der ein Jahr jüngere Ebrahim B., den er zeitgleich vor sich und neben sich überlebensgroß auf Leinwand sieht.

An diesem Montag hat vor dem Staatsschutzsenat in Celle der Prozess gegen Ebrahim B. und Ayoub B., begonnen. Beiden Deutsch-Tunesiern wird vorgeworfen, im Frühjahr 2014 aus Wolfsburg nach Syrien gereist zu sein, um für den „Islamischen Staat“ (IS) in den „Heiligen Krieg“ zu ziehen. Ihnen wird Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Ayoub B. soll zudem eine „schwere staatsgefährdende Gewalttat“ vorbereitet haben. Er soll an Schusswaffen ausgebildet worden sein und sich Waffen besorgt haben.

Der Senat lässt am Nachmittag die ungeschnittene Fassung eines Fernsehinterviews des Norddeutschen Rundfunks mit Ebrahim B. vorspielen, der neben Ayoub B. auf der Anklagebank sitzt. Darin spricht Ebrahim B. von einer geplatzten Hochzeit und psychischen Problemen. Ebrahim B. guckt sich auf der Leinwand zu. Ihm ist offensichtlich nicht zum Lachen zumute. Ayoub B. hingegen scheint sich zu amüsieren. Als Ebrahim B. auf der Leinwand berichtet, dass ihm in Wolfsburg ein „falscher Prediger“ mit schnellen Autos und Frauen, die auf einen IS-Krieger angeblich warteten, nach Syrien lockte, kann Ayoub B. nur mit Mühe sein Lachen unterdrücken.

Bevor sich Ayoub B. am Nachmittag zu amüsieren scheint, liest sein Verteidiger Dirk Schoenian am Morgen die Einlassung seines Mandanten vor. Es ist der Versuch einer Erklärung, wie ein junger Mann aus Wolfsburg zum IS-Mitglied werden konnte. Es ist eine Biografie voller Brüche. Ayoub B. habe mit Ach und Krach den Realschulabschluss geschafft. Eine Lehre habe er nicht begonnen. Er habe gekifft und sei das „Sorgenkind“ der Familie gewesen. „Ich sah überhaupt keine Perspektive mehr für mich“, trägt sein Anwalt für ihn vor.

Ayoub B. habe mit dem „Zocken“ angefangen und in Spielhallen viel Geld verloren. Auch die Drogenprobleme seien massiver geworden. Zum Marihuana seien Kokain und Alkohol gekommen. Sein Vater habe ihn rausgeschmissen.

Im September 2013 habe Ayoub B. einen Entzug gemacht. Etwa zur selben Zeit habe er in Wolfsburg einen Mann kennengelernt, der selbst nach Syrien zum IS gereist sei. „Ich bin kein religiöser Mensch“, lässt Ayoub B. seinen Anwalt sagen. Erst durch den Bekannten habe er angefangen, regelmäßig zu beten. Sein Vater habe sofort Verdacht geschöpft, sagt Ayoub B. Das seien Terroristen, habe dieser ihn gewarnt.

Kämpfer oder Selbstmordattentäter

Auch Ayoub B. lernte den „falschen Prediger“ kennen. Dieser habe ihn zum Vertrauten gemacht. „Ich war plötzlich nicht mehr der Underdog, sondern ein angesehener Mann.“ In Syrien habe er lediglich Islam-Unterricht nehmen wollen. Er habe den Islam verstehen, Menschen helfen wollen. „Ich wollte nicht in den Krieg ziehen“, trägt sein Anwalt für ihn vor.

Ende Mai flog Ayoub B. von Hannover in die Türkei. Mithilfe von Mittelsmännern des IS ging es weiter über die Grenze nach Syrien. Die ersten Tage sei er in ein sogenanntes Auffanglager gekommen. Pass und Handy habe er abgeben müssen. Eine Art Geheimdienst des IS habe ihn einer intensiven Befragung unterzogen. Dann hieße es, er müsse sich entscheiden, ob er Kämpfer oder Selbstmordattentäter sein wolle. „Ich war total schockiert.“ Er habe doch nur den Islam studieren wollen, sagt er. „Da ich mich nicht in die Luft sprengen wollte, sagte ich, ich würde mich für das Kämpfen entscheiden.“

Seine Zweifel seien immer größer geworden, seine Angst auch. Sie seien militärisch ausgebildet und religiös indoktriniert worden. Ayoub B. nennt es „eine Art Gehirnwäsche“. Er habe fliehen wollen, aber nicht gewusst wie. Einige Tage später seien sie wieder gefragt worden, wer bereit sei, als Selbstmordattentäter zu sterben. Diesmal habe sich auch Ebrahim B. gemeldet.

„Wir waren alle nur Kanonenfutter“, sagt Anwalt Schoenian für Ayoub B. Im nächsten Trainingscamp habe er seinen Unmut kundgetan, sei bedroht worden. Dennoch habe er Waffen erhalten. Einen Sprengstoffgürtel habe er sich selbst gekauft, um sich „im Zweifel in die Luft zu sprengen“, bevor er gefoltert oder getötet würde. Mitte Juli sei er dann in den Irak gekommen. Parallel habe er seine Flucht geplant. Er sei als Fahrer eines Krankentransportes eingesetzt worden, habe sich um Tote und Verletzte kümmern müssen und sei damit „völlig überfordert“ gewesen. Kampfeinsätze, die ihm die Bundesanwaltschaft vorwirft, erwähnt er nicht. Mit Mühe und „Glück“, wie er sagt, sei ihm Ende August 2014 die Flucht nach Deutschland gelungen. Im Januar 2015 wurde Ayoub B. festgenommen.

„Ich will mit dem IS nichts zu tun haben, ich bin weder Dschihadist noch Salafist. Am liebsten hätte ich einfach die Zeit vergessen gemacht“, trägt der Anwalt für ihn vor. „Aber mittlerweile habe ich begriffen, dass ich nicht in mein altes Leben zurückkehren kann, auch wenn dies mein sehnlichster Wunsch ist.“

Im Anschluss wird das Fernsehinterview mit Ebrahim B. im Saal gezeigt. Am Ende des knapp zweistündigen Videos sagt Ebrahim B. auf der Leinwand: „Ich bereue es von ganzem Herzen“, nach Syrien gereist zu sein. Es sei „der dümmste Fehler meines Lebens“ gewesen. Es ist das einzige Mal, dass Ayoub B. mit Blick auf die Leinwand nickt. Am Dienstag geht der Prozess weiter. Dann wird Ayoub B. selbst sprechen und Fragen beantworten müssen.