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„Wir sind kein stramm rechtes Lokal“

Nach Björn Höckes Rede in Dresden wird auch die Rolle des Veranstaltungsorts des AfD-Abends angeprangert. Jetzt äußert sich der Chef des Ballhauses Watzke - und trifft eine überraschende Entscheidung.

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© Ronald Bonß

Fabian Schröder

Dresden. Seit dem Auftritt Björn Höckes im Ballhaus Watzke wird in sozialen Netzwerken hitzig über das Dresdner Restaurant diskutiert. Schon am Dienstagabend, kurz nach dem Ende der Rede des Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden, beschimpften Empörte das Lokal als „Brau(n)haus“. „Da gehe ich ab jetzt nicht mehr hin“, zeigefingerte es aus Dutzenden Twitter- und Facebook-Profilen.

Die Wut entlud sich vornehmlich in den Kommentarspalten unter Postings von örtlichen Nachrichtenmedien. Die Social-Media-Präsenzen des Unternehmens, zu dem in der Stadt neben dem Brauhaus noch zwei weitere Lokale zählen, waren da schon abgeschaltet. Erst am Mittwoch ging das Watzke wieder ans Netz. Mit einer Stellungnahme des Geschäftsführers Mirko Unger: „Wir bedauern die Ausnutzung unseres Hauses [...] zutiefst“, heißt es in der um 20.09 Uhr veröffentlichten Mitteilung. Unger sei bei der Buchung bewusst gewesen, dass diese von der Jugendorganisation der AfD vorgenommen wurde, jedoch habe er erst „einige Tage vor der Veranstaltung [von der Gastrede Höckes] Kenntnis“ erlangt.

Wie viele Tage genau, bleibt in der Stellungnahme offen. Fest steht jedoch: Ballhaus-Chef Unger wusste, wer von der JA eingeladen wurde. „Ich möchte unsere Verantwortung nicht kleinreden. Wir wussten, dass Herr Höcke kommt, kannten sein Polarisierungspotenzial, haben aber nicht geahnt, dass seine Rede derart extrem ausfällt. Wir waren erschrocken.“, erklärt Unger am Donnerstag gegenüber sz-online.de. Noch am Dienstag sagte er einem SZ-Reporter allerdings: „Ich weiß es seit Montag 17.30 Uhr.“ Das war 24 Stunden vor dem Auftritt.

Das Ballhaus will mit den Einlassungen Höckes nichts zu tun haben. „[Es wurden] Aussagen getätigt, von denen wir uns ausdrücklich distanzieren und von denen wir ausgehen müssen, dass sie nicht grundgesetzkonform sind“, wird in der Stellungnahme auf Facebook geschrieben. Der sogar in Teilen der AfD als zu rechts geltende frühere Geschichtslehrer Höcke hatte offensichtlich mit Blick auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin gesagt: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“

Über die verfassungsrechtliche Konformität dieses Satzes wird eine öffentliche Debatte geführt. Anzeigen wegen Volksverhetzung werden geprüft. Und auch auf Bundesebene äußern sich führende Politiker drastisch. „Höcke ist ein Nazi“, sagt etwa der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Thomas Oppermann, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ am Donnerstag. Dass Menschen, die unter dem Sammelbegriff „Nazis“ einzuordnenden sind, gemeinhin wenig von dem seit 1949 geltenden Grundgesetz halten, ist offenbar auch dem Betreiber des Ballhauses bewusst. Wohl auch deshalb legt Unger in seiner Stellungnahme großen Wert auf die Positionierung seines Hauses als Ort mit „urdemokratischer Haltung“, die auf dem „Boden des Grundgesetzes“ geerdet sei. Und weil dem so sei, wolle er auch in Zukunft seinen Gastronomiebetrieb für politische Veranstaltungen zur Verfügung stellen. Mit einer Einschränkung: Künftig wolle man vorab besser prüfen, wer Reden hält und im Zweifel „derartige Veranstaltungen [...] nicht mehr zulassen.“

Für die offenen Worte auf Facebook erntet Unger in Form von Likes viel Zustimmung (bis 11.55 Uhr: 247 mal Daumen hoch und drei Herzen). „Diesen großen Zuspruch hatten wir neben all der Kritik nicht erwartet“, äußert er sich gegenüber sz-online.de. Anders gelagert sind jedoch die überwiegend zweifelnden Kommentare zu dem Statement. „Sieht nach versuchter Schadensbegrenzung aus“, schreibt ein User. „Es wird immer ein übler Beigeschmack bleiben, damit hätte man rechnen müssen. Jetzt zurückzurudern, hat so ein bisschen was von AfD“, meint ein anderer. „Wir lesen die Kommentare jetzt sehr genau und lernen aus jedem Beitrag“, versichert Unger und räumt ein, von der Masse der Unmutsbekundungen überrascht worden zu sein.

Auch deshalb hatte Unger bereits am Dienstag die Social-Media-Seiten seiner Häuser deaktiviert. „Wir sind keine Facebook-Profis und mussten erst nachdenken, wie wir auf die massive Kritik und die Drohungen reagieren“, erklärt er. Auch bei früheren umstrittenen Veranstaltungen in seinem Haus hätte es Schmähungen gegeben. „Doch dieses Ausmaß war für uns neu“, so Unger weiter. Er und seine Kollegen hätten sich erst darüber klar werden müssen, ob sie überhaupt Antworten finden könnten - und erst danach ihre Seiten wieder freigeschaltet.

Kommt dieses Zurückrudern zu spät? Beim Anblick der Fassade des Ballhauses, der sich am Donnerstagmorgen bietet: ja. „In der Nacht wurde das Watzke mit Farbbeuteln beworfen“, bestätigt ein Sprecher der Dresdner Polizei ein Posting Lutz Bachmanns. Der hatte auf Facebook Bilder der von bunten Flecken überzogenen vorderen Hauswand geteilt. Der auf Teneriffa lebende Pegida-Anführer lässt sich über einen „linksterroristischen Anschlag“ aus, der das Ergebnis der Hetze Dresdner Medien sei - auch von der SZ. Ein Urteil eines Mannes, der dem Verein vorsteht, der zu der AfD-Veranstaltung mit Höcke, von der sich das Ballhaus wiederrum distanziert, einen Teil der Ordner stellte. Verwirrend.

„Das Watzke hat sich mit der Veranstaltung am Montag keinen Gefallen getan. Aber die Schmierfinken, die sich hier ausgetobt haben, sind keinen Deut besser“, steht für einen in der Nachbarschaft des Ballhauses wohnenden Mann fest. Er und auch alle anderen, die man an diesem Donnerstag vor der gesprenkelten Klinkerfassade nach ihrer Meinung fragt, äußern sich so ähnlich - und wollen auf jeden Fall anonym bleiben. Die Menschen haben Angst. Doch wovor? Möglicherweise davor, selbst angegriffen oder angefeindet zu werden. „Wir müssen miteinander reden, statt Farbbeutel zu schmeißen“, sagt eine Rentnerin. „Das habt ihr verdient“, ruft ein Radfahrer im Vorbeifahren.

„In unserer Wunschvorstellung sitzen der Dresdner, die Studentin aus dem Westen, der asiatische Neumitbürger und die amerikanische Touristin fröhlich diskutierend beim Bier gemeinsam an einem Tisch“, erklärt Unger sein Wunschszenario. Wer weiß, ob es im Ballhaus demnächst dazu kommt. Manchmal treten abwegig erscheinende Dinge plötzlich ein. So wie die Tatsache, dass Unger die Einnahmen des Höcke-Abends an „Mission Lifeline“ spenden will. „Herr Unger hat sich vorhin bei uns gemeldet“, bestätigt Axel Steier, Initiator des gemeinnützigen Vereins, gegenüber sz-online.de die Entscheidung des Ballhaus-Chefs. „Wir freuen uns im doppelten Sinne über die Spende: Erstens, weil damit wieder Geld für die gute Sache kommt. Zweitens, weil so indirekt Leute spenden, die sonst nicht spenden würden“, so Steier weiter. Die Einnahmen des Abends liegen nach Angaben Ungers bei 1 700 Euro. Gespendet werden soll jetzt die aufgerundete Summe von 2 000 Euro.

„Mission Lifeline“ verfolgt die Idee, von Dresden aus ein privat finanziertes Rettungsschiff ins Mittelmeer zu schicken, um Flüchtlinge in Seenot zu retten. Lutz Bachmann soll den Verein im November nur wenige Tage nach seiner Verurteilung wegen Volksverhetzung als „kriminell agierende private Schlepperorganisation“ und „Gesetzesbrecher“ bezeichnet haben. Dafür wurde er von Steier angezeigt. Das Verfahren endete im Januar mit einem Vergleich.

Ob es dem Ballhaus gelingt, mit der Spende an „Mission Lifeline“ verlorengegangenes Vertrauen bei seinen Gästen zurückzugewinnen, muss sich zeigen. „Ich hoffe [...], dass viele [...] aus dieser Diskussion mitnehmen, dass wir eben kein stramm rechtes Lokal sind, sondern dass wir gerade ein besonders buntes Publikum ansprechen möchten“, sagt Unger abschließend. (mit kh/two/stb)