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„Wir sind doch keine Dorfstraße!“

Anwohner der oberen Jakobstraße in Görlitz hatten 16 Monate Dreck, Lärm und Ärger. Aber ab Donnerstag ist das Geschichte.

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© nikolaischmidt.de

Von Ralph Schermann

Andreas Knothe lobt und schimpft. Wie viele Anlieger freut sich der Inhaber vom „Gardinen- und Teppichtrend“, dass ab Donnerstag die obere Jakobstraße wieder befahrbar ist. Er bedankt sich ausdrücklich bei den Bauleuten. „Die haben uns unterstützt, wo sie nur konnten.“ Für die Verantwortlichen indes hat Knothe kein Lob. Die Verkehrsführung war nicht durchdacht, sagt er: „Erst als viele wetterten, ließ die Stadtverwaltung zur besseren Anfahrt die teilweise Öffnung der Berliner Straße zu“, erinnert er. Seine Begründung: „Wir kümmern uns schon mit den Anlieferern, aber uns müssen auch die Kunden erreichen.“

Rückblick: So lange ist es noch gar nicht her, denkt man, da trug die Jakobstraße mit ihrem groben Pflaster noch Züge des 19. Jahrhunderts. Dabei entstand dieses Foto erst 2008.
Rückblick: So lange ist es noch gar nicht her, denkt man, da trug die Jakobstraße mit ihrem groben Pflaster noch Züge des 19. Jahrhunderts. Dabei entstand dieses Foto erst 2008. © Christian Suhrbier
Ausblick: Dann ging es los in mehreren Bauabschnitten. Stellenweise sah man die Straße vor lauter Baggern nicht mehr. Vor allem die Anlieger hofften auf ein baldiges Ende. Das Bild der Jakobstraße wird derzeit von Baggern bestimmt.
Ausblick: Dann ging es los in mehreren Bauabschnitten. Stellenweise sah man die Straße vor lauter Baggern nicht mehr. Vor allem die Anlieger hofften auf ein baldiges Ende. Das Bild der Jakobstraße wird derzeit von Baggern bestimmt. © Nikolai Schmidt
Durchblick: Ines Bunzel kannte auf der Baustelle bald jedes Detail. Kein Wunder, war sie doch für die Stadtverwaltung die Bauleiterin auf der Jakobstraße.
Durchblick: Ines Bunzel kannte auf der Baustelle bald jedes Detail. Kein Wunder, war sie doch für die Stadtverwaltung die Bauleiterin auf der Jakobstraße. © Pawel Sosnowski/80studio.net

Das war in den vergangenen Monaten zentrales Thema der Anlieger. Es kulminierte, als die Rede von einer Vollsperrung aufkam. Gabriele Theurich befürchtete für ihr Opel-Autohaus Tesch „das Todesurteil“. Reiner Nicke hielt Umsatzeinbußen über 50 Prozent in seinem Eisenwarenhandel Roesler & Sohn nicht aus und zog um, auch ein Mobiltelefonanbieter gab den Standort auf. Torsten Meißner nahm sich vor, im Soundshop durchzuhalten und versprach Kunden, für den Autoeinbau von Musikanlagen immer eine Lösung zu finden. „Hallo-Pizza“, Kino, Industrie- und Handelskammer (IHK), Landeskriminalamt, Büros, Arztpraxen – alle mussten sich täglich auf eine neue Baustellenlage einstellen. Auch die Stadtwerke, die mit einem Kanaleinbruch unerwartete Probleme zu bewältigen hatten. Andreas Knothe vermisste deshalb „die Bauleitung vor Ort. Anlieger brauchen konstante Ansprechpartner – auch Bauleute brauchen sie. So aber wurde bei jedem unvermutet gefundenen Kabel erst stundenlang telefoniert.“

Zugeparkte Ersatzladezonen, unzureichende Ausschilderungen, unklare Terminansagen

Sicher auch mit Ines Bunzel. Als Bauleiterin liefen bei ihr im Rathaus alle Fäden zusammen. Sie war dort zugleich Ansprechpartnerin für Gewerbetreibende, stand Rede und Antwort, als diese in der IHK zum Gespräch luden. Sie hatten Frust: ständig zugeparkte Ersatzladezonen, unzureichende Ausschilderungen, unklare Terminansagen. „Bei einem sich ständig verändernden Bau muss man mehr Zwischenlösungen finden“, blickt Kreishandwerksmeister Knut Scheibe zurück. Beruhigend fanden Anlieger aber, dass Svend Schmoll vom Tiefbauamt sein Versprechen hielt, für Firmen „die Befahrbarkeit im Rahmen des Möglichen stets zu gewährleisten.“

Dass alle Möglichkeiten genutzt wurden, bezweifeln viele der am Mittwoch befragten Anwohner. Im Durchschnitt berichten alle, selten mehr als vier Bauleute gesehen zu haben. „16 Monate für ein 325 Meter langes Stück ist eine Katastrophe – wir sind doch keine Dorfstraße“, beklagt Andreas Knothe. Anwohnerin Sigrid Koch kann nicht verstehen, dass parallel dazu auch auf Bahnhof-, Hospital- und Krölstraße gebaut wurde. Und IHK-Geschäftsstellenleiter Christian Puppe ist „froh, dass alles ohne arge Vorkommnisse vorbei ist“, denn „die Einschränkungen waren extrem und so manche Verzögerung im Bauablauf nicht zu verstehen.“

Puppe hat auf diese Baustelle eine doppelte Sicht: „Die Kammer war Ansprechpartner, wenn es klemmte – wir waren als Anlieger aber auch selbst betroffen.“ Das Lob an die stets verständnisvollen Bauarbeiter aber will auch Christian Puppe unbedingt betont wissen. Sogar die Zustellerin der Deutschen Post sagt das so: „Sie halfen gern, ich kam immer an alle Briefkästen heran.“ Nur die schwere Postkarre verlangte ihr Kraft ab, weil sie immer wieder über Absperrungen gehoben werden musste. „Dafür sind jetzt viele prima abgesenkte Borde eingebaut, das lässt die lange Bauzeit vergessen“, sagt die Postfrau.

Straßenlampen sehen in jedem Bauabschnitt anders aus

Was so lange dauerte, begann im April 2014. Da vergab der Stadtrat den Auftrag zur Sanierung der oberen Jakobstraße an die Gleis- und Tiefbau GmbH. Sie hatte sich an der Ausschreibung mit einem Bruttoangebot von knapp 570 000 Euro beteiligt. Zusätzlich kostete der Abschnitt noch 45 000 Euro an Ingenieursleistungen sowie 19 000 Euro für die Straßenbeleuchtung. Die Stadt zahlte 92 000 Euro Eigenmittel für den grundhaften Ausbau der Fahrbahn, für Längsparkplätze und sanierte Gehwege. Auch dieser Abschnitt war ein Gemeinschaftsprojekt mit den Stadtwerken.

Nun ist alles fertig. Wenn heute das traditionelle Band zur Freigabe von Oberbürgermeister Siegfried Deinege durchgeschnitten wird, versteht er das als Symbol für die komplette Jakobstraße. Seit 2011 wurde sie vom Postplatz aus erneuert. „Leider auch unterschiedlich“, ärgert sich Sigrid Koch. Straßenlampen zum Beispiel sehen in jedem Bauabschnitt anders aus, was tatsächlich auch so geplant war.

Dagegen scheinen die Verkehrszeichenmasten weniger planvoll. Sie stehen mal nah an der Fahrbahn, mal sehr weit im Gehweg. Und manches ist schon wieder wie vorher: Die Parkscheinautomaten warteten nicht erst auf die offizielle Freigabe. Und die vorher nicht vorhandenen Papierkörbe fehlen auch noch. Für die Übergabe wurden gestern noch kräftig die Seitenstreifen gefegt. „Schon wieder vollgestaubte Schaufenster“, seufzt Andreas Knothe: „Und wer bezahlt uns die Fensterputzer?“