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Keine Großansiedlung mehr

Bautzen fehlen die Fachkräfte, sagt Wirtschaftsförderer Alexander Scharfenberg – und räumt Fehler durch die Stadt ein.

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© Uwe Soeder

Die Bilanz klingt ernüchternd: Bei der Gewerbesteuer musste die Stadt Bautzen im ersten Halbjahr ein deutliches Minus verkraften. Die hiesigen Unternehmen haben deutlich weniger Geld ans Rathaus überwiesen. Ein Trend, der sich bereits länger beobachten lässt. In den vergangenen fünf Jahren sind die Einnahmen aus der Gewerbesteuer kontinuierlich um ein Viertel abgeschmolzen. Für Bautzens Wirtschaftsförderer Alexander Scharfenberg ist das allerdings kein Grund zur Sorge, wie er im Interview mit der Sächsischen Zeitung erklärt. Herausforderungen sieht der Fachmann unterdessen an ganz anderer Stelle.

Bautzens Firmen haben deutlich weniger Gewerbesteuern überwiesen. Herr Scharfenberg, müssen wir uns Sorgen um die hiesige Wirtschaft machen?

Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Es gibt Branchen, die in der Vergangenheit Schwierigkeiten hatten – und positive Beispiele. Wir merken das durch die Erweiterungen in verschiedenen Bereichen, allen voran in der IT-Branche. Das Unternehmen Itelligence hat etwa in diesem Jahr bereits ein neues Bürogebäude in Salzenforst bezogen, eines der größten Bautzener IT-Unternehmen aufgekauft und baut an einem weiteren Rechenzentrum in Bautzen. Das sind Bereiche, in denen wir sehen, dass die Wirtschaft nicht schwächelt.

Warum fließt dennoch weniger Geld?

Wir haben in Bautzen sehr viele Betriebe, die Muttersitze an anderen Standorten haben. Dort fließt zumeist auch der Hauptteil der Steuerlast hin. Zugleich sind es aber auch die angesprochenen Investitionen in den Betrieben. Die Ausgaben der Firmen führen automatisch dazu, dass die Steuern für uns sinken. Nicht immer ist es negativ, wenn man merkt, die Einnahmen gehen zurück. Wenn Investitionen getätigt werden, ist für den Standort langfristig besser.

Sie sagen, es gibt viele Unternehmen, deren Hauptsitz sich anderswo befindet. Warum gelingt es nicht, mehr Firmen mit Muttersitz hier anzusiedeln?

Das ist schwierig zu beantworten. Wenn Ansiedlungen erfolgen, sind es oftmals keine Neugründungen, sondern Ausgründungen aus bestehenden Unternehmen. Das gilt nicht nur für Bautzen, sondern für das gesamte Bundesgebiet.

Natürlich müssten die aus der regionalen Wirtschaft entstehen. Das passiert aber offenkundig kaum ...

Das hat sicher damit zu tun, dass wir keine großen Konzerne in Bautzen haben. Bei uns gibt es hingegen einen sehr starken Mittelstand. Wenn sich ein Mittelständler erweitert, müssen nicht automatisch neue Unternehmen zur Risikominimierung gegründet werden. Das Wachstum findet nur im Unternehmen selbst statt.

Die Stadt steht kurz vorm Verkauf eines weiteren Grundstücks in Salzenforst. In der gefühlten Wahrnehmung sind Nachrichten über Neuansiedlungen oder Erweiterungen jedoch selten. Ist Bautzen nicht attraktiv genug?

Das kann man so nicht sagen. Über die Zahl der Anfragen kann ich mich derzeit nicht beklagen. Dieses Jahr gab es schon 16 Anfragen von Unternehmen, die nach neuen Standorten gesucht haben. Die grasen allerdings auch noch andere Gegenden ab.

Welche Faktoren sind für die Firmen letztlich dabei mit entscheidend?

Für viele Unternehmen stellt sich die Frage, welcher Preis am Ende gezahlt wird. Mit Blick auf die Region, auch auf Polen und Tschechien, sind wir nicht gerade der günstigste Standort. Und wir werden unsere Gewerbegebiete nicht verklingeln. Wir haben unsere Preisvorstellungen, die wir auch gesetzlich einhalten müssen. Die andere Frage ist, ob der Schnitt des Grundstücks, das angeboten wird, auch passt.

Wie ist die Stadt bei den verfügbaren Flächen generell aufgestellt? Stellen Sie sich vor, morgen klopft ein großer Autobauer an und braucht Platz für ein neues großes Werk ...

Das wäre tatsächlich eine Größenordnung, die wir nicht bedienen können. Wir haben derzeit nur Grundstücke mit maximal bis zu 80 000 Quadratmetern. Normalerweise werden solche Größen in Bautzen aber nicht angefragt. Eine Standardgröße ist dabei so meist um die 10 000 Quadratmeter, kleinere Unternehmen interessieren sich oft für Flächen mit bis zu 2 000 Quadratmetern. Gerade bei diesen Kleinstflächen haben wir momentan einen Mangel.

Da besteht also Handlungsbedarf?

Wir sind gerade dabei, zu analysieren, in welchen Gewerbegebieten wir künftig noch Flächen entwickeln können. Und wir schauen auch ganz genau danach, was wir in den einzelnen Gebieten schon haben und in welche Richtung wir diese Gebiete entwickeln wollen. Wir wollen auch künftig die Politik gehen, dass wir nicht jeden nehmen. Wir wollen spezielle Branchen in die Gewerbegebiete fördern, damit sich dort kleine Cluster bilden können.

Anderswo werden große Gewerbeflächen auf Vorrat geschaffen. Die Stadt Wilsdruff hat so zuletzt einen großen Auspuffhersteller und ein Schwergewicht der Pharmatechnik angelockt. Dahinter steckt der Gedanke: Die Wirtschaft will schnelle Entscheidungen ...

Aus meiner Sicht ist es ein Stück weit Wunschdenken, für Bautzen in dieser Größenordnung noch Betriebe zu gewinnen.

Was spricht denn dagegen?

Wir haben einen Standortnachteil, den ich ganz deutlich benennen muss: Das ist das Thema Fachkräfte. Wir haben aktuell schon über 70 Prozent, die aus der Region in die Stadt zum Arbeiten kommen. Wenn ich jetzt noch ein größeres Unternehmen ansiedeln möchte, das viele Mitarbeiter beschäftigt, dann bekommen wir dazu gar nicht mehr die Fachkräfte ran. Unser Problem ist, dass in den vergangenen zehn Jahren die Infrastruktur der Stadt nicht so entwickelt wurde, wie es hätte passieren müssen. Uns fehlen Wohngebiete und die komplette dazugehörige Infrastruktur, also etwa Schulen und Kitas. Das ist der Grund, warum wir keine Großansiedlungen mehr stemmen können.

Das lässt den Schluss zu, dass die Möglichkeiten für ein weiteres Wirtschaftswachstum sehr begrenzt sind ...

Die Herausforderung besteht für uns ohnehin eher in der Bestandsicherung. Wir haben jetzt einen Generationenwechsel in den Firmen. Deshalb legen wir als Wirtschaftsförderung der Stadt darauf auch den Fokus in unseren Projekten. Die Unternehmensnachfolge ist für uns ein Riesenthema! Zudem stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren mit vielen Mitarbeitern, die in Rente gehen, auch ein Verlust von deren Know-how einhergeht. Das ist die große Herausforderung. Es bringt nichts, wenn wir Gewerbegebiete voller Brachen haben, weil da keiner mehr arbeitet.

Eine Herausforderung für Bautzen ist aktuell auch die katastrophale Außendarstellung. Welchen Einfluss haben die Ereignisse der vergangenen Monate auf Entscheider in der Wirtschaft?

Es ist natürlich ein Thema für die Wirtschaft, vor allem für die Unternehmen, die einen internationalen Hintergrund haben. Wir waren erst vor zwei Wochen mit Oberbürgermeister Alexander Ahrens bei einem großen Unternehmen in Bautzen, wo wir ganz konkret auf das Thema angesprochen wurden. Die Ereignisse haben einen sehr negativen Beigeschmack. Wir waren uns mit den Vertretern des Unternehmens aber auch einig, dass darin auch eine Chance besteht, wie wir die Präsenz in den Medien auch positiv nutzen können, um die Wahrnehmung der Wirtschaft zu steigern.

Gespräch: Sebastian Kositz