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„Wir hatten stets den Tod vor Augen“

Rekordweltmeister Giacomo Agostini feierte seinen 75. Geburtstag zum 90-jährigen Sachsenring-Jubiläum. Der Italiener wird wohl unerreicht bleiben.

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© Thomas Kretschel

Von Uli Schember

Zu seinem „Giubileo“ war Giacomo Agostini weit weg von der Heimat. Der Italiener, Rekordweltmeister auf zwei Rädern und zu seiner Zeit eine Klasse für sich, kam als Stargast ins kleine Hohenstein-Ernstthal. 90 Jahre Sachsenring war dort am Wochenende das Motto – aber auch auf Ago wurde angestoßen. Am Freitag feierte der 15-malige Champion seinen 75. Geburtstag. Und bei den Festreden zum Jubiläum des Traditionskurses kam natürlich auch der berühmte Italiener zur Sprache. Man schwelgte gemeinsam in guten Erinnerungen.

Duell: Agostini vor Read und historischem Start- und Zielturm.
Duell: Agostini vor Read und historischem Start- und Zielturm. © Thomas Kretschel
Start: Agostini wird gefeiert auf seiner Vier-Zylinder-MV-Agusta.
Start: Agostini wird gefeiert auf seiner Vier-Zylinder-MV-Agusta. © Thomas Kretschel
Historie: Giacomo Agostini 1968 am Sachsenring.
Historie: Giacomo Agostini 1968 am Sachsenring. © Ernst Gobsch/kairospress

„Ich würde alles geben, um 40 Jahre jünger zu sein“, sagte Agostini der Tageszeitung Corriere della Sera. Die Siege, das Erklingen der Hymne, die glücklichen Gesichter der Fans, all das fehle ihm heute. „Viele Piloten stürzen nach dem Ende ihrer Karriere in die Depression. Als ich aufgehört habe, habe ich drei Tage in Folge geweint, danach habe ich mich damit abgefunden. Das Leben geht weiter.“

Bis heute ist Agostini unerreicht. Das liegt auch an den veränderten Umständen. Als er seine Runden drehte, war es üblich, in mehreren Klassen zu starten. So triumphierte Agostini auf der MV Agusta, Rot und Silber mit der schwarzen 1 auf gelbem Untergrund, von 1968 bis 1972 jeweils bei den 500ern und 350ern. In dieser Zeit wurde Agostini zweimal geschlagen, wenn er ins Ziel kam.

„Es war nicht einfach. Ich gab mich kaltblütig, in Wahrheit hatten wir stets den Tod vor Augen. Es genügte, einmal auszurutschen“, sagt Agostini: „Heute ist es ganz anders. Die Piloten neigen sich bis zum Asphalt. Wenn man stürzt, sind die Folgen weniger dramatisch.“ Das Kiesbett verhindert inzwischen das Schlimmste.

Einer, der Agostini durchaus hätte gefährlich werden können, ist sein Landsmann Valentino Rossi. Neunmal wurde der Superstar der MotoGP-Szene Weltmeister, seit 2009 stand er aber nicht mehr ganz oben. „Wenn Vale mich einholt, dann hat er sich das redlich verdient“, hat Ago mal gesagt. Doch Rossi ist 38, sein Abschied rückt näher, das Rennen der Legenden um die meisten Titel kann er wohl nicht mehr gewinnen.

Dabei hörte Agostini bereits mit 35 Jahren auf, nach der Saison 1977 war Schluss. Er trat von der Bühne ab, doch seine Spuren sind für die Ewigkeit. Seine Eckdaten: WM-Premiere 1964, erstmals Weltmeister 1966, danach holte er bis 1975 in jedem Jahr mindestens einen Titel. Am Ende waren es acht in der Königsklasse (500 ccm) und sieben auf der 350er. Zum Ende seiner Laufbahn triumphierte er zweimal auf einer Yamaha.

Seiner Leidenschaft hielt Agostini immer die Treue – bis heute. Nach einem erfolglosen Ausflug in den Automobilrennsport gründete der Ausnahmekönner, geboren in Brescia, ein Motorrad-Team. Der US-Amerikaner Eddy Lawson holte für den Rennstall „Yamaha Marlboro Agostini“ drei 500er-Titel.

Heute ist Agostini ein gern gesehener Gast an den Rennstrecken. Seine Haare sind nicht mehr pechschwarz, sondern glänzen silbern, wenn er durch die Boxengasse läuft und zuschaut, wie seine Bestmarken gejagt werden. „Jeder von uns hängt an seinen Rekorden und hofft, dass sie nicht gebrochen werden“, sagt er. Manche hat er verloren. Mit 122 Grand-Prix-Siegen ist er weiter die Nummer eins, hier ist Rossi (114) aber ganz nahe dran. Bei den Podestplätzen führt „The Doctor“ längst 224:159, bei den GP-Starts hat er Agostini auch schon vor einiger Zeit hinter sich gelassen (354:194).

Am Wochenende kehrte Altmeister Agostini nach Sachsen zurück. Es ist ein besonderer Ort für ihn – immerhin hat er zehnmal am Sachsenring gewonnen. Am Wochenende stieg er beim „Classic Kings“ wieder auf die altehrwürdige und legendäre Maschine. Auch andere Motorrad-Oldies wie Kevin Schwantz oder Phil Read gaben sich die Ehre. Doch Agostini hat sie wohl wieder alle überstrahlt.

In gut zwei Wochen geht das Rennen um die Bestmarken weiter. Dann kann Rossi bei den WM-Läufen auf dem Sachsenring weiter an seinen Bestmarken arbeiten. Beim Grand Prix vor einem Jahr hatte sich Rossi allerdings beim Reifenpoker heftig verzockt und war enttäuscht über seinen achten Platz. Auch die Legenden zeigen menschliche Seiten. Den Motorsport-Fans ist das sehr recht. (sid mit SZ)