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„Wir hatten 2 000 Anrufe pro Stunde“

Die Enso Netz reagiert auf Kritik wegen fehlender Erreichbarkeit nach Sturm Herwart. Was nun geplant ist.

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© Roland Halkasch

Landkreis. Stundenlang erreichten am 29. Oktober Anrufer nur die Warteschleife der Enso Netz. Mitarbeiter Tilo Kadner zu Ursachen und Konsequenzen.

Tilo Kadner leitet den Regionalbereich der Enso Netz in Großenhain und spricht zu den Problemen rund um Sturm Herwart.
Tilo Kadner leitet den Regionalbereich der Enso Netz in Großenhain und spricht zu den Problemen rund um Sturm Herwart. © Sebastian Schultz

Herr Kadner, zahlreiche Kunden haben nach Sturm Herwart vergebens versucht, den Enso-Entstördienst zu kontaktieren. Wie gehen Sie mit dem Ärger dieser Kunden um?

Gestatten Sie zuerst einen grundsätzlichen Hinweis. Bei jedem Stromausfall besteht die absolute Priorität, die Kunden schnellstmöglich wieder zu versorgen. Darauf ist die Organisation der Enso Netz ausgerichtet. Der Personal- und Technikeinsatz dient diesem Ziel. Auch die Information der Kunden muss sich – in deren eigenem Interesse – dem unterordnen. Die allermeisten haben dafür Verständnis, noch dazu, wenn die Wetterlage großflächig ist und von einer ungewöhnlichen Vielzahl von Problemen in Hörfunk, TV und in den sozialen Netzwerken berichtet wird. Auch Auskünfte zur Dauer der Stromunterbrechung können nur lauten „So schnell, wie es uns möglich ist.“ Denn die Dauer hängt von vielen Faktoren ab, welche schrittweise erst während der Arbeiten deutlich werden. In Deutschland und bei der Enso Netz beträgt die Ausfallzeit pro Kunde und Jahr weniger als 14 Minuten.

Trotzdem bleibt jeder Stromausfall für den Kunden ein Ärgernis. Vor allem, wenn er sich über Stunden oder gar Tage hinzieht.

Die Auswirkungen von Herwart waren am 29. Oktober binnen weniger Stunden im gesamten Enso-Netzgebiet zwischen Altenberg und Zeithain, Oybin und Rothenburg in der Oberlausitz zu spüren. Nach Hinweisen durch den Deutschen Wetterdienst hatten wir die telefonische Störungsannahme in unseren vier Regionalbereichen Großenhain, Heidenau, Bautzen und Görlitz sowie in der Netzleitstelle Heidenau personell verstärkt. Elf Mitarbeiter waren dort im Einsatz. Das Anrufaufkommen über die Störungsrufnummer Strom betrug aber an diesem Tag 25 300 Anrufe. In der Zeit von 7 Uhr bis 18 Uhr gingen pro Stunde rund 2 000 Anrufe ein. Bei derart extremem Ansturm kann nur ein Teil der Anrufe persönlich entgegengenommen werden, bzw. es kommt zu langen Wartezeiten.

Hätte es auch die Möglichkeit gegeben, Probleme online zu melden bzw. wird das Unternehmen dies künftig anbieten?

Derzeit erfolgt die Annahme von Störungsmeldungen über das persönliche Gespräch mit den Kunden in Form eines Interviews. Unser Fachmann am Telefon befragt den Anrufer nach den Details der örtlichen Situation oder nach möglichen Gefahren und gibt Verhaltenshinweise. Ziel ist, Gefahren für Personen und Tiere auszuschließen und die Fehlerstelle genau zu lokalisieren. Das Interview bietet den Vorteil, auf Situationen und Rückfragen sofort und fachgerecht zu reagieren. Bei einer großen Zahl von Störungen wie durch Herwart stößt das natürlich an seine Grenzen. Wir prüfen jetzt eine Annahme von Störungsmeldungen über Online-Kanäle.

Kritisiert wurden zudem fehlende Informationen über das Internet. Weshalb haben Sie sich nicht über Ihre Homepage an die Öffentlichkeit gewandt?

Wir arbeiten daran, aktuelle Störungsinformationen im Internet zu veröffentlichen. Künftig werden sich unsere Kunden und öffentliche Stellen unter www.enso-netz.de sowohl über geplante Unterbrechungen als auch über Störungen im Stromnetz informieren können. Diese Funktion stand leider am 29. Oktober noch nicht zur Verfügung. Einen Nutzen haben solche Informationen jedoch nur dann, wenn sie einen konkreten örtlichen Bezug haben, mindestens zum Ort oder Ortsteil. Auf eine pauschale Information auf der Homepage zu den Störungsereignissen ohne Ortsbezug haben wir am vergangenen Sonntag bewusst verzichtet, weil dies aus unserer Sicht keinerlei Mehrwert für unsere Kunden beinhaltet hätte.

Die Enso ist bislang – etwa im Gegensatz zur Drewag – nicht bei Facebook vertreten. Werden Sie dies ändern?

Stromausfälle – geplant oder störungsbedingt – treten vorwiegend lokal auf. Für diese kleinteilige Darstellung ist eher die Homepage im Internet geeignet, was wir – wie gesagt – nutzen werden.

Wo gibt es in Ihrem Geschäftsgebiet aktuell noch Haushalte ohne Strom und wann werden diese wieder am Netz sein?

Bis auf Gartengrundstücke und unbewohnte Gebäude sind alle Kunden wieder versorgt, die letzten wurden am Dienstagnachmittag angeschlossen. In vielen Orten haben wir Provisorien errichtet, auch mit Netzersatzanlagen. Im Landkreis Meißen konnte die letzte Netzersatzanlage am Donnerstag in Moritzburg außer Betrieb gehen. Die Reparaturen werden allerdings noch einige Wochen in Anspruch nehmen.

Wie hoch sind die durch Herwart entstandenen Schäden?

Eine realistische Zahl kann man noch nicht nennen.

Einige Kunden bemängelten, dass Bäume zu nahe an Freileitungen standen. Lässt sich dies in Zukunft ändern?

Die Enso Netz führt regelmäßig Ausästarbeiten im gesamten Freileitungsnetz durch, im vergangenen Jahr für 1,5 Millionen Euro. Dabei werden Bäume so weit zurückgeschnitten, dass sie auch bei Sturm, Schnee und Eis die Stromversorgung nicht gefährden. Bei Sturm Herwart handelte es sich jedoch um ein extremes Wetterereignis, bei dem auch große, von Freileitungen normalerweise ausreichend entfernt stehende Bäume entwurzelten. Wenn man sich hierauf vorbereiten wollte, wären sehr umfangreiche Eingriffe in die Natur und Landschaft erforderlich. Dem würden weder Naturschutzbehörden noch Grundstückseigentümer zustimmen.

Gibt es weitere Möglichkeiten, um das Netz für ähnliche Stürme wie Herwart sicherer zu machen?

Stürme wie Herwart gefährden vor allem Freileitungen. Deshalb werden neue Mittelspannungsleitungen, die die Ortsnetze verbinde, bei uns als Kabel verlegt. Außerdem bringen wir jährlich rund 25 Kilometer bestehender Freileitungen in die Erde, was Investitionen von rund 2,3 Millionen Euro pro Jahr erfordert. Insgesamt sind jetzt rund vier Fünftel dieser Netze sozusagen sturmsicher.

Wie sieht es bei der Niederspannung aus?

Die Niederspannungs-Ortsnetze sind aktuell zu 62 Prozent verkabelt. Diese 11 000 Kilometer vollständig zu verkabeln, ist für einen Flächennetzbetreiber wie die Enso Netz nicht wirtschaftlich – oder würde die Netzentgelte in unermessliche Höhe treiben. Um die Folgen von Störungen zu reduzieren, baut das Unternehmen zudem seit einigen Jahren fernsteuerbare Umschaltmöglichkeiten ins Netz ein. Die vorhandenen haben sich bereits spürbar ausgewirkt, weil sich dadurch ein Stromausfall auf wenige Kunden reduzieren lässt. Stürme wie Herwart haben aber eine derartige Kraft und sind auch in den Niederungen von solcher Intensität, dass trotz bester Vorsorge Probleme in der Stromversorgung nicht ausgeschlossen werden können.

Die Fragen stellte Peter Anderson.