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„Wir haben nichts zu befürchten – außer der Furcht“

Ex-Bundespräsident Christian Wulff wirbt in Dresden für mehr Toleranz, aber auch um mehr Verständnis für die Ängste vieler Menschen vor Flüchtlingen.

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© Ronald Bonß

Von Annette Binninger

Für Autogramm-Jäger ist Christian Wulff noch immer ein begehrtes Objekt. Fünf Dresdner laufen auf den Bundespräsidenten a.D. zu, fangen ihn noch am Treppenaufgang zur kleinen Bühne des Dresdner Schauspielhauses ab. Christian Wulff schreibt geduldig seinen Namen unter ein Foto, das ein Sammler aus einer Zeitschrift herausgeschnitten und in ein Notizbüchlein eingeklebt hat. „Darf ich noch ein Selfie mit Ihnen haben“, fragt ein junger Mann. Wulff lächelt ins Objektiv. Entspannt, freundlich, professionell.

Die Volkshochschule Dresden hat ihn eingeladen. Er spricht an diesem Montagabend vor 400 Zuhörern. Seine Bühnen sind kleiner geworden, seit er nach monatelangen Skandalgeschichten im Februar 2012 von der ganz großen politischen Bühne abgetreten ist. Still ist es um Wulff seit seinem Rücktritt geworden.

„Der Islam gehört zu Deutschland“, dieser Satz ist von seiner Amtszeit in Erinnerung geblieben. An diesem Abend in Dresden, als nur wenige Hundert Meter entfernt, gerade Tausende selbst ernannte Retter des christlichen Abendlandes ihren Spaziergang machen, wird Wulff diesen Satz trotzig wiederholen. Und ihn ergänzen: „Aber das Christentum gehört auch zur Türkei.“

Die Deutschen sollten „viel stolzer sein auf das, was sie hervorgebracht haben“, wirbt Wulff mit sanft-sonorer Stimme für einen selbstbewussten Umgang mit der eigenen Nation und Geschichte, aber auch für mehr Toleranz und Offenheit für andere Kulturen. Moscheen, Kirchen und Synagogen stünden in Deutschland friedlich nebeneinander. „Wir können zeigen, dass es anders geht“, sagte Wulff. „Wir dürfen keine falschen Gräben zwischen den Kulturen zulassen.“ Bloße Angstmache sei destruktiv. „Wir haben nichts zu befürchten – außer der Furcht.“

Aber es müsse eben auch ganz klare Regeln geben. Die Deutschen müssten in der Flüchtlingskrise Haltung zeigen und den Überblick behalten. Und umgekehrt. Wer nach Deutschland komme, müsse die Regeln akzeptieren, die durch Grundgesetz und Rechtssystem vorgegeben sind. Er finde es „sehr sympathisch“, wenn Menschen auf die Straße gingen, um die Werte des christlichen Abendlandes zu verteidigen, sagt Wulff. Aber grundlegend gelte für alle und auch dort: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist nicht verhandelbar und nicht relativierbar.“ Behutsam versucht Wulff dann, den Dresdnern noch ein wenig ins Gewissen zu reden. Die Stimmung gegenüber Deutschland ändere sich derzeit, das spüre er bereits auf seinen Auslandsreisen. So trauten sich jordanische Studenten beispielsweise montagabends in Dresden nicht mehr allein auf die Straße. Dabei profitiere doch auch gerade Dresden als Wissenschaftsstandort von internationaler Vielfalt. „Wenn Studenten aus aller Welt nach Hause funken, hier kannst du nicht herkommen, dann gehen hier die Lichter aus“, warnt Wulff.

Ganz vorsichtig ist sein Erklärungsmuster, warum ausgerechnet in Ostdeutschland der Umgang mit den Flüchtlingen so schwerfällt: „Ihnen könnte hier etwas fehlen an Erfahrung und lockerer Begegnung mit anderen Kulturen“, meint Wulff. Er wirbt für mehr Differenzierung in der Asyldebatte. Ihm fehlen die „Zwischentöne“. Schuld daran seien vor allem „die Medien“. Sie sollten sagen, was ist, und nicht, was sein sollte, findet er. Sorgen und Nöte sollten angesprochen werden. „Aber die persönliche Begegnung mit Flüchtlingen halte ich auch für extrem wichtig“, sagt Wulff.