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„Wir haben keinen Plan“

Bei einer Diskussion mit Flüchtlingen geben Stadträte zu, dass Riesa keine Integrationsstrategie hat. Und nun?

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© Symbol/dpa

Von Britta Veltzke

Riesa. Die Spitze gleich zu Beginn der Diskussionsrunde zwischen Stadträten und Flüchtlingen konnte sich Moderator Volker Herold nicht verkneifen: „Wir sollten in dieser Stadt lieber miteinander reden, statt immer nur übereinander. Schade, dass diese Möglichkeit nicht von allen wahrgenommen wird.“ Das ging unmissverständlich an die Adresse von Oberbürgermeister Marco Müller (CDU). Er hatte auf zwei Einladungen der Riesaer Appell-Initiatoren zu Diskussionsveranstaltungen nicht reagiert. Schließlich entschieden sich die Organisatoren, statt Müller die Fraktionen einzuladen. So war auch die CDU auf dem Podium im Gewerkschaftshaus vertreten: Fraktionschef Helmut Jähnel nahm bereitwillig neben seinen Amtskollegen Uta Knebel (Die Linke) und Andreas Näther (SPD) sowie Stadtrat Dirk Haubold (Freie Wähler) Platz.

Volker Herold, Sprecher der Bürgerinitiative Riesaer Appell, der sich gegen Fremdenfeindlichkeit richtet, ist der Meinung, dass Riesa in mancherlei Hinsicht vorbildlich auf den Zuzug der rund 500 Flüchtlingen in Riesa reagiert hat: „Wir hatten und haben hier keine riesigen Lager. Stattdessen sind die meisten Asylbewerber in Wohnungen untergebracht.“ Kein Vergleich zu Meißen, wo Fremdenfeinde zum Teil wöchentlich auf die Straße gegangen sind. Aber, so Herold, und da entdeckt er den Nachholbedarf: „Wir leben einfach nebeneinander her, und die Stimmung gegenüber Flüchtlingen ist ablehnend.“ Er merke das an den Reaktionen der Menschen. Kürzlich sei er mit einer Gruppe in der Stadt unterwegs gewesen, zu der auch Frauen mit Kopftuch gehörten. „Da hat jemand demonstrativ vor mir ausgespuckt.“

Eine ähnliche Geschichte weiß Stadtrat Dirk Haubold zu berichten. Seine Mutter kümmere sich ebenfalls um Flüchtlinge. Bald zögen seine Eltern in eine neue Wohnung. „Die neuen Nachbarn haben von dem Engagement meiner Mutter erfahren und gesagt, dass sie nicht neben Leuten wohnen wollen, die Flüchtlingen helfen.“ Eine Mitschuld für dieses ablehnende Klima gibt Haubold der Stadtverwaltung. „Es reicht eben nicht, Wohnungen zur Verfügung zu stellen und einmal den Ehrenamtlichen zu danken.“ In den letzten Monaten habe sich die Verwaltung nur noch zu Wort gemeldet, wenn es Probleme gab. „Wie nach der Prügelei zwischen den Flüchtlingen auf dem Puschkinplatz“, so Haubold. Man könne in Riesa durchaus den Eindruck gewinnen, dass „der Stadtverwaltung der Wille fehlt, die Menschen in dieser Stadt zu integrieren.“

Eine Strategie? Fehlanzeige!

„Hat sich denn der Stadtrat schon damit beschäftigt, wie Einheimische und Flüchtlinge zueinanderfinden können?“, will der Moderator wissen. Da gerät Linkenchefin Uta Knebel etwas in Bedrängnis und gesteht: „Wir haben offengestanden keinen Plan“, sagt sie und wendet sich dann direkt an die rund zwanzig Migranten im Saal. „Sie müssen uns das aber auch nachsehen.“ In Riesa habe man kaum Erfahrungen mit Ausländern. „Unsere Kontakte haben sich bislang darauf beschränkt, Pizza beim Italiener zu holen und Gyros beim Griechen.“

Dass sich der Stadtrat bislang kaum mit den Zuwanderern beschäftigt hat, bestätigt auch SPD-Mann Andreas Näther. „Wie ein gutes Miteinander gelingen kann, haben wir im Stadtrat zuletzt besprochen, als die allererste Flüchtlingsunterkunft geplant wurde. Das dürfte vor vier Jahren gewesen sein.“ Eine Strategie? Fehlanzeige!

Moderator Volker Herold wandte sich abwechselnd an das Podium und Flüchtlinge unter den Zuschauern: „Was fehlt Ihnen denn in Riesa?“ Mustafa Turaani weiß darauf sofort eine Antwort. „Das Einzige, was uns fehlt, ist die Sprache. Deutsch ist der Schlüssel“, sagt er – allerdings auf Englisch. Er hatte zwar bereits einen Deutschkurs, ihm fehlt allerdings die Praxis.

„Es gibt einfach zu wenig Lehrer, sowohl auf ehrenamtlicher Basis als auch auf Honorarbasis“, berichtet ein Riesaer, der ebenfalls Deutschunterricht gibt. „Nicht alle, die Deutsch lernen wollen, kommen in die Kurse.“ Da könne die Stadt doch auch mal einen Aufruf starten, zum Beispiel im Amtsblatt. „So würde sich sicher der ein oder andere finden.“ Und ganz umsonst müssten das selbst die Ehrenämtler nicht machen: „Kursstunden können über das Landratsamt abgerechnet werden.“

Die Räte haben sich einige Vorschläge in ihre Hausaufgabenhefte geschrieben. „Wir werden solche Ideen im Stadtrat einbringen. Mit der Überschrift: Sofortmaßnahmen“, verspricht Dirk Haubold.