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„Wir gehen auf dem Zahnfleisch“

Für ihre Haftpflichtversicherung müssen Hebammen tief in die Tasche greifen. Jetzt sind die Prämien erneut gestiegen. Oldenburger Geburtshelferinnen ziehen deshalb die Notbremse.

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© dpa

Irena Güttel

Oldenburg. Annkatrin Pauli-Glanz tastet behutsam den Bauch der Schwangeren ab, misst den Umfang und horcht nach den Herztönen des Babys. Eine Stunde nimmt sich die Hebamme für Maike Thein Zeit, deren Bauch sich ordentlich wölbt. Jederzeit könnte es jetzt soweit sein. Ihr zweites Kind will die junge Frau unbedingt in dem Oldenburger Geburtshaus zur Welt bringen - und hat Glück gehabt: Einen Monat später wäre das nicht mehr möglich gewesen. Denn Pauli-Glanz und ihre drei Kolleginnen legen im Sommer eine Zwangspause ein.

Drei Monate lang werden sie keine Geburtshilfe mehr anbieten, um in der Zeit die Kosten für die Haftpflichtversicherung sparen zu können. „Diese übersteigt inzwischen unsere Miete“, sagt Hebamme Silke Tapken, die die Finanzen des Geburtshauses an der Universität immer genau im Blick haben muss.

Zum 1. Juli sind die ohnehin schon hohen Versicherungsprämien erneut gestiegen: um mehr als 20 Prozent auf 6 274 Euro jährlich - eine Summe, die jede freiberufliche Hebamme, die in der Geburtshilfe tätig ist, selbst berappen muss. Davon betroffen sind rund 2 500 der insgesamt fast 18 000 freiberuflichen Hebammen in Deutschland.

Um die Kosten decken zu können, müssen die vier Oldenburger Hebammen viel arbeiten. Eine klassische 40-Stunden-Woche ist für sie undenkbar. „Unser Stundenlohn ist ein Witz“, sagt Pauli-Glanz. „Deshalb ist unser Tag knackevoll mit Terminen.“ Dazu kommen Nachtbereitschaft und kontinuierlicher Schlafmangel. „Wir gehen auf dem Zahnfleisch“, sagt Tapken. Auch deshalb ziehen die Hebammen die Notbremse. Wie es nach der Pause weitergeht, wissen sie noch nicht.

„Das ist eine ruinöse Sache“

Eigentlich gleichen die Krankenkassen die gestiegenen Kosten für die Haftpflichtprämie aus. Doch die Verhandlungen mit dem Hebammenverband über die Höhe der Zahlungen sind gescheitert. Deshalb müssen die Hebammen die Steigerung vorerst aus eigener Tasche zahlen. „Das ist eine ruinöse Sache“, sagt Katharina Jeschke, die für den Deutschen Hebammenverband mit den Krankenkassen-Spitzenverband GKV verhandelt.

Besonders schwierig ist die Situation für die Hebammen, die nur wenige Geburten im Jahr betreuen. „Es gibt ein Verteilungs- und Gerechtigkeitsproblem zwischen den Hebammen“, sagt Florian Lanz vom GKV. „Beim Ausgleich der Haftpflichtprämien werden die einen überbezahlt, die anderen bekommen zu wenig.“ Deshalb sollen Hebammen mit wenig Geburten nach dem Willen des Gesetzgebers ab 1. Juli einen sogenannten Sicherstellungszuschlag bekommen.

Doch wie der auszusehen hat, darüber streiten Hebammenverband und Krankenkassen. Der GKV will künftig jeder Hebamme alle zwei Monate einen Zuschlag zahlen, wenn sie in der Zeit mindestens eine Geburt betreut. Der Hebammenverband hält den Vorschlag für gesetzeswidrig und die Summe für zu gering. Deshalb muss jetzt die Schiedsstelle entscheiden, und das kann Monate dauern. Doch schon jetzt ist klar, dass es keine langfristige Lösung sein wird, denn die Prämien werden nach Einschätzung des Hebammenverbands kontinuierlich weitersteigen.

Die Hebammen am Oldenburger Geburtshaus im Ökozentrum wissen deshalb am Anfang des Jahres nie, wie sich Einnahmen und Kosten entwickeln. Wenn sie ihren Beruf aus rein finanzieller Sicht betrachten würden, sagen sie, hätten sie schon längst aufhören müssen. Einige ihrer Kolleginnen haben das bereits getan. Die Zahl der freiberuflichen Hebammen in der Geburtshilfe sinkt nach Angaben des Hebammenverbands seit Jahren. (dpa)