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„Wir fühlen uns als Deutsche“

Fast zwei Jahre lang hat die SZ eine Familie aus dem Kosovo bei ihrem Leben im Kreis begleitet. Nun droht die Abschiebung.

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© Claudia Hübschmann

Von Dominique Bielmeier

Nossen/Perba. Der kleine Ledion springt auf dem grauen Sofa auf und ab, so nahe am Weihnachtsbaum, dass man beginnt, um die Glaskugeln zu fürchten. Fußballer will er werden, erzählt er aufgeregt auf Deutsch, nein, doch lieber Boxer! Wen er dann hauen würde, weiß er auch schon ganz genau: die Polizei. „Ich will nicht mitkommen!“, ruft er und hält im Hüpfen inne.

Als die Hoffnung noch groß war: Mitte Februar 2015 zieht die Familie aus der Meißner Erstaufnahme in einer Mehrzweckhalle in einen Wohnblock des Dorfes Perba bei Nossen um. Dass die Proteste gegen die Asylbewerber dort so schnell verstummten, ist auch ein
Als die Hoffnung noch groß war: Mitte Februar 2015 zieht die Familie aus der Meißner Erstaufnahme in einer Mehrzweckhalle in einen Wohnblock des Dorfes Perba bei Nossen um. Dass die Proteste gegen die Asylbewerber dort so schnell verstummten, ist auch ein © Claudia Hübschmann

Sein Vater Muharrem Berisha muss lachen. „Nein, Ledi, die Polizei ist gut“, versucht der 29-Jährige ihm zu erklären. „Sie kommt nur, um Papa zu helfen, und dir auch.“ Der Sohn ist nicht überzeugt. „Die Polizei kommt nach Perba“, sagt er. Im Bus habe er sogar einmal gerufen „Alle werden abgeschoben“, erzählt seine Mutter Vjollca Nebihi, ebenfalls 29, und lächelt kopfschüttelnd.

Ledion ist vier, wurde im Kosovo geboren und lebt mit seiner Familie seit fast zwei Jahren im Landkreis, zunächst in einer Mehrzweckhalle in Meißen, dann im Dorf Perba bei Nossen und erst seit wenigen Tagen in einer Wohnung in Meißen. Er hat eine einjährige Schwester, Lea, spricht fließend Deutsch und Albanisch, ohne die beiden Sprachen durcheinander zu bringen, und lebt in ständiger Angst, dass die Polizei kommt, ihn und seine Familie abholt und in einen Flieger in den Kosovo steckt. Dass seine Eltern darüber lachen können, hat viel mit Galgenhumor zu tun.

Die kleine Familie, deren Werdegang die SZ seit der Ankunft in Meißen Anfang Februar 2015 verfolgt, hat nun wie so viele andere ihren Ablehnungsbescheid erhalten. Den gab es direkt nach dem Gespräch in der Dresdner Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, erzählt Muharrem Berisha. Obwohl die Familie bereits seit Anfang 2015 in Deutschland ist, hat sie erst 2016 einen Termin für die Anhörung bekommen. Für die Familie ist das besonders tragisch, für die Behörden praktisch, denn seit Oktober 2015 gilt der Kosovo als „sicherer Herkunftsstaat“ – die Prüfung geht so schneller, eine Abschiebung ist in den allermeisten Fällen so gut wie sicher.

Die meisten der Kosovo-Albaner und anderen Asylsuchenden, die in Perba gelebt haben, mussten bereits das Land verlassen, ihr Wohnblock, der bei seiner Eröffnung für so großen Protest gesorgt hatte, dass sogar die internationale Presse darauf aufmerksam geworden war, ist mittlerweile geschlossen. Die wenigen verbliebenen Familien, darunter die von Muharrem Berisha, mussten nach Meißen umziehen.

Am Klingelschild des Hauses im Drosselgrund steht kein einziger deutscher Name, nur Asylbewerber leben hier. Eine weitere Familie aus dem Kosovo, eine aus Serbien, zwei aus Syrien. „Das hier sollte eigentlich das große Schlafzimmer sein, aber ich habe es umdekoriert“, sagt Berisha, der uns im hellen Wohnzimmer bei einem Chai-Tee empfängt. In einer Ecke des Zimmers steht noch ein ungenutztes Doppelstockbett, in der gegenüberliegenden ein geschmückter Weihnachtsbaum, den die Familie von einer befreundeten Ärztin geschenkt bekommen hat.

Dass sie ein deutsches Weihnachtsfest mit Baum und Geschenken feiern würden, stand für sie fest, auch wenn der Besuch in der Kirche nicht dazugehört. „Wir sind Muslime“, sagt Berisha, und diesen Umstand kann man tatsächlich leicht vergessen. Seine Frau trägt kein Kopftuch und „wir trinken auch mal ein Bier oder essen eine Bratwurst, obwohl das Schweinefleisch ist“, so Berisha. „Wir sind da nicht extrem.“

Drastische Worte findet er dagegen, wenn er über die drohende Abschiebung spricht: „Es ist, als würde man Sie jetzt einfach mitnehmen und sagen, du musst jetzt in Südafrika leben, weil du Südafrikanerin bist“, sagt Berisha. So gehe es ihm jetzt. „Ich und meine Familie. Wir fühlen uns als Deutsche.“

Beide, Nebihi und Berisha, lebten schon als Kinder mehrere Jahre lang als Asylbewerber in Deutschland, gingen hier zur Schule und lernten die Sprache. Die Familie von Muharrem Berisha floh damals vor serbischen Paramilitärs, da war er nur ein Jahr älter als sein Sohn jetzt ist. Acht Jahre lang wuchs er in Deutschland auf, seine spätere Frau sieben Jahre lang.

Die Geschichte ihrer Kindheit könnte sich nun wiederholen, denn auch damals wurden ihre Asylanträge abgelehnt, ihre Familien reisten im Jahr 2000 freiwillig aus. Was jetzt aber anders ist: Sie können etwas dagegen tun, gehen zu müssen.

Zum Beispiel die Härtefallkommission einschalten. Die wird nun im Februar entscheiden, ob die Familie tatsächlich Deutschland verlassen muss. Ein Mitglied des sächsischen Flüchtlingsrats hat Anfang Dezember einen Antrag für sie gestellt. Dieser erklärt nicht nur, wie gut Muharrem Berisha und Vjollca Nebihi bereits integriert sind, sondern zählt auch ihre Verdienste auf: So hat vor allem Berisha während der ganzen Zeit in Deutschland ehrenamtlich gedolmetscht, nicht nur im Wohnblock in Perba, sondern auch für das Standesamt und Amtsgericht in Meißen oder die Diakonie; Nebihi übernahm die Kinderbetreuung in Perba. Berisha war Anfang Dezember sogar für den Sächsischen Integrationspreis nominiert, der im Landtag verliehen wurde. Treppenwitz der Asylkrise: Die Familie galt da bereits als ausreisepflichtig.

Dass er bisher nicht arbeiten konnte, liegt nicht an ihm, sondern am Gesetz. Das verbietet es Asylsuchenden aus den „sicheren Herkunftsstaaten“ nämlich schlichtweg. Dafür hat er ein sechswöchiges Praktikum bei einer Baufirma in Neusörnewitz absolviert. „Das hat großen Spaß gemacht“, sagt Berisha, der gerne so schnell wie möglich auf eigenen Beinen stehen würde. Angebote habe er genug, sagt er. Seine Frau könnte ab April bei einem befreundeten Arzt eine Ausbildung zur Sprechstundenhilfe beginnen, er selbst eine Ausbildung zum Koch in Dresden. Sollte die Ablehnung von der Härtefallkommission bekräftigt werden, wäre das alles hinfällig. Zurück im Kosovo dürfte die Familie dann drei Jahre lang kein Visum mehr beantragen. „Und danach hat man noch weniger Chancen als vorher, weil sie Angst haben, dass du wieder einen Antrag stellst“, sagt Berisha.

Was passiert, wenn es wirklich so weit kommt, darüber kann der 29-Jährige noch gar nicht nachdenken. „Irgendwie verdränge ich diese Frage“, sagt er. „Denn eine Abschiebung in den Kosovo ... Wir haben große Angst, dort wieder hinzukommen.“ Er erzählt von der korrupten Regierung, von Organhandel, in den selbst der Präsident verwickelt sein soll, und dass das Einkommen der Familie von 200 Euro im Monat gerade einmal für das Milchpulver für Ledion gereicht habe, als Vjollca nicht stillen konnte. Er und seine Frau wissen ganz genau, dass dies nun ihre letzte Chance auf eine Zukunft in Deutschland ist.

Im September dachten sie bereits einmal, dass der Moment, den die Familie fürchtete, nun gekommen sei. Um fünf Uhr morgens hielten acht Polizeibusse vor dem Block in Perba. „30 Polizisten für drei Familien“, sagt Berisha. Er sei davon wachgeworden und habe die Familien auf dem Hof stehen sehen. „Da hatte ich große Angst, dass sie auch zu uns kommen würden.“ Doch seine Familie blieb verschont. „Also bin ich nach draußen gegangen und habe noch ein wenig übersetzt.“