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Wir brauchen keinen Massentourismus

Tharandts Bürgermeister Silvio Ziesemer spricht über neues Bauland, gute Schulen – und künftige Pläne.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Tharandt. Auf dem Dach über dem Trausaal des Tharandter Rathauses wird laut gehämmert. Die Sanierung des Daches geht in ihre letzte Phase. Unter der schweren Holzdecke hat Silvio Ziesemer, seit zehn Jahren parteiloser Bürgermeister der Forststadt, Platz genommen. Der 47-Jährige spricht im Interview über Geschafftes – und neue Pläne.

Herr Ziesemer, als Sie sich 2006 erstmals zur Wahl stellten, haben Sie gesagt: „Mit mir ist ein echter Neuanfang im Rathaus möglich.“ Hat das geklappt?

Wir haben gemeinsam viel erreicht. Im Tharandter Stadtrat gab es immer ein konstruktives Miteinander. Da ist viel Positives entstanden, was der Verdienst vieler Menschen ist. Wir werden den Schuldenstand von ursprünglich neun Millionen Euro bis zum Jahresende auf gut vier Millionen Euro mehr als halbiert haben, die Zinslast nimmt spürbar ab. Auch dadurch konnte die Stadt mehr in ihre Zukunft investieren.

Zum Beispiel?

Für 1,3 Millionen Euro haben wir das „Bienenhaus“, den neuen Kindergarten in Kurort Hartha, gebaut, in beide Grundschulen haben wir rund zwei Millionen investiert, wir haben elf unserer rund 35 Kilometer umfassenden kommunalen Straßen für fast drei Millionen Euro saniert. Wir haben neue Feuerwehrautos angeschafft. Alle diese Investitionen zahlen sich nun aus. Wir haben aktuell eine hohe Nachfrage nach Bauland, viele Menschen wollen nach Tharandt ziehen.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Wir fangen bei den Jüngsten an: Auf den Bau des neuen Kindergartens, mit dem wir den Familien eine gute Betreuung ihrer Kinder ermöglichen. 2010 haben wir die ersten Maßnahmen zur Sanierung der Grundschule in Kurort Hartha ergriffen, das wird uns noch in den nächsten Jahren beschäftigen. Wenn wir von unseren Kindern erwarten, dass sie gut lernen, müssen wir vernünftige Bedingungen dafür schaffen. Ich weiß aus Gesprächen mit Bauherren, dass diese guten Bedingungen ausschlaggebend für sie waren, nach Tharandt zu ziehen. Davor dachte ich eher, es seien vor allem die schöne Natur und die reizvollen Ortsteile, die so viele anlocken. Aber das allein reicht nicht.

Haben Sie in den vergangenen Jahren Fehler gemacht, die Sie heute bereuen?

Es gibt immer Dinge, die besser laufen können, manches Ziel ist noch nicht erreicht. Ich denke da etwa an eine vernünftige Turnhalle für unsere Handballer und Hobbysportler. Was die Sportgemeinschaft Kurort Hartha leistet, ist enorm. Leider können wir dieses große Ziel derzeit wegen vieler anderer wichtiger Baumaßnahmen weder planen noch in den nächsten Jahren finanzieren. Unsere Pflichtaufgaben in den Kitas, Schulen und bei der öffentlichen Sicherheit haben immer Vorrang.

Sie haben es schon angesprochen: Die Nachfrage nach Bauland in der Stadt steigt. Können Sie diese bedienen?

Nach unseren Berechnungen benötigen wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren 180 neue Wohneinheiten. Derzeit passen wir gemeinsam mit Dorfhain unseren Flächennutzungsplan an. Einerseits weisen wir neues Bauland für Eigenheime und Mehrfamilienhäuser aus. Andererseits gibt es speziell im Tharandter Kerngebiet eine erfreuliche Entwicklung: Was früher als Schandfleck galt, wird heute saniert oder neu bebaut. So haben wir etwa 210 000 Euro in den Bau der Amtsgasse gesteckt. Infolgedessen werden dort nun teils ruinöse Gebäude gerettet. In der Talmühlenstraße entstehen gerade Wohnungen für Studenten. Das freut mich sehr.

Haben Sie Hoffnungen bezüglich der Brache am Deutschen Haus und des ungenutzten Bahnhofsgebäudes?

Dafür braucht es Eigentümer, die investieren wollen und können. Als Stadt werden wir diese Bemühungen stets unterstützen. Solche Projekte brauchen aber auch Zeit. Viele Bürger sind ungeduldig – zu Recht. Auch ich will Ziele gern schnell erreichen. Aber die letzten Jahre haben uns gezeigt: Man kann nichts übers Knie brechen. Beim Grundstück am Deutschen Haus wird die Stadt Investoren suchen.

Eine Stadt braucht auch Arbeitsplätze. Was können Sie tun, um noch mehr Gewerbe nach Tharandt zu holen, gerade im Gewerbegebiet in Kurort Hartha?

Das Gebiet sollte ursprünglich das örtliche Gewerbe aufnehmen, um in Hartha die damals angestrebte Entwicklung als Kurort zu ermöglichen. Nun hat sich der Ort aber anders entwickelt, als einst prognostiziert. Entlang der A 4 sehen wir eine rasante Entwicklung der Gewerbegebiete. Unseres in Kurort Hartha ist da von der Lage her benachteiligt. Daher ist ein Großteil der Fläche noch frei. Das müssen wir nüchtern zur Kenntnis nehmen. Es ist schwierig. Wir sprechen aber ständig mit Investoren.

Und im restlichen Stadtgebiet?

Tharandt profitiert von seinen ortsansässigen Handwerkern und Gewerbetreibenden. Diese wollen wir gern unterstützen und hier behalten. Das ist unser oberstes Ziel. Ob es uns darüber hinaus gelingt, in Tharandt überregionales Gewerbe anzusiedeln, kann ich schwer einschätzen.

Sie ärgern sich, wenn Tharandt als arm bezeichnet wird. Wegen des knappen Haushalts von rund sieben Millionen Euro haben Sie aber nicht viel Spielraum bei der Stadtentwicklung.

Das trifft auf alle Kommunen zu. Städte und Gemeinden haben leider nicht das Geld, das sie für das Leben ihrer Bürger bräuchten. In den vergangenen Jahren hat der Freistaat immer wieder Geld, das er uns hätte erstatten müssen, nicht an die Kommunen ausgezahlt, sondern für Rücklagen aufgehoben. Dennoch kann Tharandt seine gesetzlichen Pflichtaufgaben erfüllen. Darüber hinaus bauen wir Schulden ab und investieren zugleich. Aber klar, mehr Geld ist immer gut.

Welche Vorteile hat Tharandt davon, dass die Stadt eigenständig ist und nicht etwa zu Freital gehört?

Es gibt hier kurze Wege und enge Kontakte. Jeder kann sich direkt an die Verwaltung oder an mich wenden. Die Bürger identifizieren sich stark mit ihrer Stadt, das wird in diesem Jubiläumsjahr besonders deutlich. Sich in die Gemeinschaft einzubringen, ist in einer kleineren Stadt leichter. Und die Bürger können vieles selbst unmittelbarer und direkt mitbestimmen. Ich sehe keinen Vorteil in einer größeren Stadt mit längeren Wegen. Und ob man durch einen Zusammenschluss wirklich mehr Geld vor Ort hätte, ist nicht sicher. Allein die letzte Kreisgebietsreform lässt daran zweifeln.

Tharandt hat, als viele Flüchtlinge hierher kamen, eine gute Figur gemacht. Wie lief die Zusammenarbeit mit dem Landkreis und dem Freistaat?

Ich bin froh, dass wir bei allen Kontroversen das friedliche Miteinander bewahren konnten. Wir haben eng mit den Bürgern zusammengearbeitet. Schwierig war, dass selbst mir Informationen, etwa zur Anzahl und zur Herkunft der Flüchtlinge, nicht vorlagen. In vielen Gemeinden hat dieses Nicht-Wissen zu Konfrontationen geführt. Was wir in Grillenburg erlebt haben, darf sich so nicht wiederholen: Ich wurde erst einen Abend vor der Einrichtung der alten Forstschule als Asylheim darüber informiert. Und es geht auch nicht, dass die Landesdirektion den Bürgern zusichert, dass das eine sogenannte Notlösung bis maximal Ende dieses Jahres sein soll. Und dann erfährt man nicht etwa in einem persönlichen Gespräch, sondern aus der Zeitung, dass sich diese Pläne geändert haben.

Themenwechsel: Was kann man tun, damit noch mehr Touristen den Tharandter Wald besuchen?

Ich sehe Tharandt und den Wald eher als Naherholungsgebiet. Eine Tourismus-Region erfordert eine ganz andere Infrastruktur: zum Beispiel mehr Hotelbetten, mehr Parkplätze. Tharandt als attraktiven Lebens- und Wohnstandort zu erhalten, bedeutet keinen Massentourismus. Zudem ist die Konkurrenz durch Dresden sehr hoch. Viele übernachten lieber dort und kommen zum Tagesausflug zu uns.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Stadt?

Tharandt soll lebenswert und attraktiv bleiben. Junge und alte Menschen sollen hier gut miteinander leben können. Wir wollen die Vereine und Freizeitmöglichkeiten sowie die gute Infrastruktur erhalten, Ortsverbindungs- und Radwege weiter ausbauen. Bei all dem müssen wir die Schönheit des Tharandter Waldes unbedingt erhalten.

Auch wenn noch etwas Zeit ist: Treten Sie in vier Jahren zum dritten Mal bei der Bürgermeisterwahl an?

Sehr gern, wenn die Bürger das wollen. Es ist eine Freude, in dieser Stadt zu leben und zu arbeiten. Ich fühle mich täglich reich beschenkt.

Das Gespräch führten Franz Werfel und Tobias Winzer.