Merken

„Wir beschäftigen uns nur noch mit uns selbst“

Altenbergs Bürgermeister Thomas Kirsten über Finanznöte, personelle Engpässe und Wege aus dem Dilemma.

Teilen
Folgen
© Egbert Kamprath

Von Mandy Schaks

Altenberg. Die Bergstadt hat zurzeit nicht die Sorgen wie andere Städte und Gemeinden, einen Haushaltsplan aufzustellen. Die Stadträte haben sich mit der Verwaltung vor über einem Jahr die Mühe gemacht und gleich für 2017 und 2018 die Ausgaben und Einnahmen geplant. Doch das Verhältnis gerät immer wieder in Schieflage. Selbst für kleinste Anschaffungen fehlt mitunter Geld. Die Sächsische Zeitung sprach mit Bürgermeister Thomas Kirsten über die Finanzsituation, Ursachen für chronisch klamme Kassen und mögliche Auswege.

Thomas Kirsten (Freie Wähler) ist Bürgermeister der ersten Stunde. Seit 1990 ist er im Amt. Er sieht die Stadt jetzt am Scheideweg.
Thomas Kirsten (Freie Wähler) ist Bürgermeister der ersten Stunde. Seit 1990 ist er im Amt. Er sieht die Stadt jetzt am Scheideweg. © Egbert Kamprath

Herr Kirsten, wie sieht es zurzeit in der Stadtkasse aus?

Bis jetzt zeichnen sich Mehrausgaben für 2017 von etwa 400 000 Euro ab. So hat das neue Gerätehaus für die Feuerwehr in Oberbärenburg über 400 000 Euro und damit 57 000 Euro mehr gekostet, als vorgesehen war. Auch der Anbau an das Gerätehaus in Fürstenau wird teurer, da die ursprünglichen Pläne verändert werden mussten. Zudem mussten wir rund 66 000 Euro Fördermittel zurückzahlen, weil nicht alle Maßnahmen über das Programm „Städtebaulicher Denkmalschutz“ in Geising in der geplanten Höhe gefördert wurden. Aber wir können die Differenz ausgleichen, indem wir lieber eine Ausschreibung aufheben oder Maßnahmen verschieben, wenn sie derzeit nicht bezahlbar sind. Manches läuft auch anders als geplant. So können wir die Eishalle in Geising dieses Jahr nicht sanieren. Das Konzept ist noch nicht fertig. Insgesamt mache ich mir um unsere Liquidität schon einige Sorgen.

Wo liegt das Problem?

Ich glaube, dass die sächsischen Städte und Gemeinden unterfinanziert sind. Das hängt auch damit zusammen, dass mittelständische Unternehmen, wie es sie in den Altbundesländern in der Fläche gibt, leider bei uns zu wenig vorhanden sind. Damit fehlen Gewerbesteuereinnahmen. Über den Finanzausgleich ist dies nicht zu kompensieren. Bei der Berechnung wird nicht die Flächengröße einer Stadt berücksichtigt. Der Ausgleich für finanzschwache Kommunen richtet sich nach der Einwohnerzahl. Wir kommen damit an die Grenze dessen, was wir leisten können.

Was heißt das für Altenberg?

Die Stadt ist mit fast 150 Quadratkilometern eine der größten Gemeinden in Sachsen. Wir haben damit andere Sorgen als eine Stadt, welche die gleiche Zahl von etwa 8 000 Einwohnern hat, aber nur ein Fünftel der Fläche und beispielsweise nur einen Ortsteil und nicht 22 wie in unserer Stadt. Das hat Auswirkungen auf den Erhalt und die Weiterentwicklung der Infrastruktur und damit für die Zukunft unserer Stadt.

Können Sie das an einigen Beispielen deutlich machen?

Wir haben aufgrund der Fläche nicht nur eine Feuerwehr, sondern 15 Ortswehren und damit 15 Gerätehäuser und über 20 Fahrzeuge. In unserer Stadt gibt es zudem neun Kindereinrichtungen, zwei Grundschulen, eine Oberschule, ein Internat für das Sportgymnasium und nicht zuletzt über 115 Kilometer kommunale Straßen. Da wir aber verhältnismäßig wenige Einwohner haben, bekommen wir vom Staat auch weniger Zuschüsse als größere Städte. Sie erhalten darüber hinaus pro Einwohner mehr Geld, das nennt sich Gewichtungsfaktor. Dieses Gesetz stammt aus den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts und wurde damit begründet, dass größere Städte mehr Aufwendungen haben, weil sie Fußwege, Beleuchtung, Kanalisation usw. brauchen. Das ist längst überholt. Für mich ist zum Beispiel ein Einwohner in Dresden genauso viel wert wie ein Einwohner in Altenberg. Solche Ungleichgewichte führen dazu, dass wir unsere Aufgaben finanziell und personell nicht mehr erfüllen können.

Wie stellen Sie sich eine Lösung der finanziellen Probleme vor?

Flächengemeinden müssen finanziell so ausgestattet werden, dass sie überhaupt eine Chance haben, junge Familien anzusiedeln. Die Attraktivität eines Wohnortes ist eben in sehr vielen freiwilligen Bereichen zu suchen, weichen Standortfaktoren. Freiwillige Aufgaben sind nur finanzierbar, wenn die Pflichtaufgaben erfüllt sind. Für Flächengemeinden müsste es einen Flächenbonus geben, einen extra Zuschuss.

Sachsens neuer Ministerpräsident Michael Kretschmer hat ja angekündigt, den ländlichen Raum und die Kommunen zu stärken…

Ich hatte ein Gespräch mit ihm in Altenberg und habe auch diese Probleme angesprochen. Was ich bis jetzt höre, stimmt mich zuversichtlich. Aber es muss auch in der Praxis ankommen. So soll der Kulturraum gestärkt werden, zugleich wird aber die Kulturraumförderung bis zu 25 Prozent gekürzt. Haben wir bislang jährlich 40 000 Euro aus diesem Topf für Schloss Lauenstein bekommen, sind es jetzt noch 30 000. Das betrifft die Bergbauschauanlagen genauso wie den Botanischen Garten Schellerhau und das Georgenfelder Hochmoor. Für die beiden Letzteren wird die Förderung ab 2019 sogar auf null zurückgefahren. Das lässt sich nicht so einfach ausgleichen. Dann müssen wir nachdenken, wo setzen wir zuerst den Rotstift an. Da geht es an die freiwilligen Leistungen. Das hat aber etwas mit Lebensqualität zu tun.

In dem Zusammenhang klagen Sie auch über die Kreisumlage. Warum?

Wenn es heißt, Bund und Land möchten finanziell die Kommunen stärken, dann kann das nicht für den Landkreis Anlass sein, die Kreisumlage zu erhöhen, damit das Landratsamt seine Aufgaben für die Städte und Gemeinden erfüllen kann. Das heißt, wir zahlen mit der vorgesehenen Kreisumlage für 2018 rund 160 000 Euro mehr an den Landkreis, als in unserem Doppelhaushalt geplant war. Wir hatten uns hierbei auf die Aussage der Kreisverwaltung verlassen. Das sind fast 2,5 Millionen Euro in diesem Jahr. Also fast die gesamte Summe, die wir an Zuschüssen vom Staat erhalten, führen wir sofort wieder ab.

Sie sprachen davon, dass Flächengemeinden nicht nur finanziell an ihre Grenze kommen, sondern auch personell. Wie ist das zu erklären?

Es ist sicherlich nachvollziehbar, dass für neun Kindereinrichtungen ein größerer Aufwand erforderlich ist, als wenn in drei großen Häusern unsere Kinder betreut würden. Ein weiteres Beispiel ist, dass die Mitarbeiter in der Verwaltung völlig überfordert werden, wenn sie alle Ortsteile betreuen sollen. In den Ortschaften und auch in den Einrichtungen kommt es zu Unzufriedenheit, weil man sich nicht ernst genommen fühlt. Dafür braucht es aber mehr Personal. Und das ist nicht finanzierbar. Zudem kommen auch immer mehr Aufgaben auf uns zu, ohne zusätzliche finanzielle Mittel zu erhalten. Wenn es des Weiteren zu Veränderungen im Betreuungsschlüssel für Kindereinrichtungen kommt, dann muss der Staat nicht nur das Gesetz dazu beschließen, sondern auch die Finanzausstattung der Kommunen verbessern. Ansonsten muss zusätzliches Kita-Personal durch höhere Elternbeiträge finanziert werden.

Wie wollen Sie aus dieser Situation herauskommen?

Wir brauchen mehr Geld im System, ohne aufwendige Antragsverfahren. Dies hat was mit Vertrauen zur kommunalen Selbstverwaltung zu tun. Der erste Schritt dafür ist getan, indem die Städte und Gemeinden 70 000 Euro zur freien Verfügung erhalten. Wir brauchen Bürokratieabbau und Senkung des Verwaltungsaufwandes in allen Bereichen. Fördermittelprogramme sind zu vereinfachen, genauso wie Genehmigungsverfahren und die Reduzierung von Statistiken. Wir beschäftigen uns ja nur noch mit uns selbst, als für die Bürger da zu sein.