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Winzer schraubt am Wein

Das Weingut Vincenz Richter hat die Sachsenflasche modernisiert – mit Hilfe aus der Region.

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© Claudia Hübschmann

Von Peter Anderson

Thomas Herrlich möchte am liebsten zupacken. Er kann es nicht mit ansehen, wie manchmal eine der Sachsenkeulen scheppernd umfällt. Flink und doch behutsam stellt er sie wieder senkrecht auf das breite Metallband in der riesigen Halle der Glashütte Freital. Zu Hunderten kommen die Flaschen hier klirrend an, bevor sie auf einem nächsten Band einzeln an Stationen auf ihre Qualität geprüft werden. „Das ist der Nachteil der Keulenform“, sagt Vertriebsleiter Dany Belouet. Das Produkt kippt schneller. Die Freude über den neuen Auftrag allerdings überwiegt.

Müssen jetzt langsam abkühlen: Die ersten Sachsenweinflaschen zum Schrauben.
Müssen jetzt langsam abkühlen: Die ersten Sachsenweinflaschen zum Schrauben. © Claudia Hübschmann

Glashütten-Geschäftsführer Hans-Bernhard Führ greift sich eine der Flaschen heraus und fährt mit dem Finger das Gewinde der Mündung ab. Genau das ist die Innovation. Seit ihrem Erscheinen auf dem Markt 1931 gab es die Sachsenkeule nur für Korken und Kronkorken. Vincenz-Richter-Winzer Thomas Herrlich hat jetzt – nach 85 Jahren – erstmals den Auftrag gegeben, 100 000 Sachsenkeulen für Schraubverschlüsse herzustellen.

Der Weg der glühenden Tropfen

Hans-Bernhard Führ lotst den Winzer zum Herzstück der Halle. In einem 36,5 Quadratmeter großen Ofen werden hier 120 Tonnen Glasmasse auf 1 350 Grad erhitzt. In exakt abgewogenen Tropfen fällt die abgeschnittene Masse in die Formen der Sachsenkeule. Kuschlige Wärme geht von dem Ofen aus. Fasziniert verfolgt Thomas Herrlich mit Helm und Schutzbrille den Weg der glühend-gelben Tropfen. Wie ein Drache, der sich voll Feuer pumpt, wirkt das lärmende Ungetüm.

Erst in der abgeschirmten Leitstelle wird wieder ein Gespräch möglich. „Wir begrüßen dieses neue Produkt sehr“, sagt Glashütten-Chef Führ. Die Flaschenhersteller seien aus technischen Gründen nie große Freunde des Korkens gewesen. Den allgemeinen Trend zum Schraubverschluss sehe die Branche mit Freude. 72 Millionen Einheiten stellt das Werk Freital jährlich her, rund 25 Millionen Weinflaschen sind darunter. Drei Viertel davon seien mittlerweile mit einem Schraubverschluss ausgestattet, sagt Hans-Bernhard Führ.

Aus dem Leitstand wechselt die kleine Gruppe in eine andere Ecke der Halle. Die ausgiebig geprüften Flaschen stehen mittlerweile in mehreren Etagen auf hölzernen Paletten. Über ein weiteres Band rollen sie zum hohen Einschweißgerät, das vollautomatisch eine Folie über den Stapel zieht.

Keine Korkmotten mehr

Vincenz-Richter-Winzer Thomas Herrlich zückt sein Handy, um auch diesen Moment im Foto festzuhalten. Vor drei Jahren habe er dem Freitaler Vertriebsleiter Dany Belouet von seiner Idee mit dem Schraubverschluss erzählt. Mehrere Gründe hätten ihn darauf gebracht. „Den Müller-Thurgau mit einem Korken zu verschließen, ist eigentlich reinste Verschwendung. Der wird im Frühjahr gekauft und in den allermeisten Fällen noch vor dem Herbst ausgetrunken“, sagt Herrlich. Dazu kommen die Qualitätsprobleme mit dem Material.

Der moderige Geruch, der auf korkigen Wein schließen lässt, tritt nach Angaben des Deutschen Weininstituts in Mainz bei fünf Prozent der verkorkten Flaschen auf. Ursache dafür sind Korkmotten oder Mikroorganismen, die den Geschmack negativ beeinflussen. Der jährlich hierdurch weltweit verursachte Schaden wird auf 2,5 Milliarden Euro geschätzt. Immer mehr Winzer wollen solche Ausfälle vermeiden. Dem Internet-Portal www.wein.de zufolge entfallen etwa 75 Prozent aller Weinverschlüsse auf Korken, 20 Prozent auf Schraubverschlüsse und fünf Prozent auf anderen Materialien wie Glas.

Mineralwasserflasche als Vorbild

Ähnlich wie bei der Frage nach dem Verschluss gab es für Thomas Herrlich in puncto Form kein Zögern: Die Sachsenkeule musste es sein. „Sie bildet die Brücke vom Wiedererstarken des sächsischen Weinbaus Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute“, sagt Winzer- und Flaschenforscher Frank Förster. Thomas Herrlich nickt. Als Vater der Sonderflasche gilt Landwirtschaftsrat Carl Pfeiffer. Er baute nach den Rückschlägen durch den Einfall der Reblaus 1928 die Weinbauversuchs- und Lehranstalt Hoflößnitz in Radebeul auf und trieb als deren Leiter die Idee von einer gebietstypischen Flasche voran. Als Vorbild diente ihm eine Flasche der „Compagnie de la Source Perrier“, einer Mineralwasserfirma aus dem Süden Frankreichs. Die ältesten noch vorhandenen keulenförmigen „Lößnitzflaschen“ zeigen auf ihrem ebenen Boden 1931 als Herstellungsjahr.

Mit dem Kriegsende hörte die Weinbauversuchs- und Lehranstalt allerdings als eigenständige Einrichtung auf zu bestehen, und die Lößnitzflasche geriet in Vergessenheit. Erst 1987 wurde wieder Sekt und Wein aus Sachsen in dieser Form abgefüllt

In den Jahren seit der Friedlichen Revolution hat die Sachsenflasche einen regelrechten Siegeszug durch die Weingüter im Elbtal angetreten. Seit Füllung der 2012er Weine sind alle flüssigen Produkte der Winzergenossenschaft Meißen als größtem sächsischen Hersteller in ihr zu finden. „Die charakteristische Form hat sich bundesweit als Markenzeichen für edle Weine aus Sachsen durchgesetzt“, so Genossenschafts-Chef Lutz Krüger.