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Windrad umgestürzt

Von Baupfusch und gar Sabotage ist die Rede. Es war nicht die erste Katastrophe.

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© Veit Rösler

Von Veit Rösler

Die Traktorspuren auf dem Feld mit der Wintersaat sind noch frisch, als die Teile einer tonnenschweren Windkraftanlage abstürzen. Der Feldweg ist blockiert. Die Windkraftanlage mit der Registriernummer „D50056“ gibt es nicht mehr. Ihre Einzelteile liegen zertrümmert am Boden. Herabgestürzt aus Höhen zwischen 30 und 94 Metern. Die Szenerie erinnert an einen Flugzeugabsturz. Am Samstagnachmittag hat ein Gutachterteam die umgestürzte Anlage im Windpark Koßdorf (Stadt Mühlberg/Elbe) im Süden von Brandenburg untersucht. Die 1999 aufgestellte 600 Kilowatt-Anlage mit einer Nabenhöhe von 70 Metern und einem Rotordurchmesser von 48 Metern ist etwa bereits drei Tage zuvor umgestürzt. Zeugen dafür gibt es keine, selbst der Ausfall der Anlage wurde erst einen Tag später bemerkt.

Jürgen Holzmüller aus Aurich, öffentlich bestellter Sachverständiger für Windenergieanlagen, hat die Trümmer am Wochenende untersucht.
Jürgen Holzmüller aus Aurich, öffentlich bestellter Sachverständiger für Windenergieanlagen, hat die Trümmer am Wochenende untersucht. © Veit Rösler
Tagelang hat niemand mitbekommen, dass die Anlage im Windpark Koßdorf (Stadt Mühlberg/Elbe) nicht mehr steht. Vermutlich hat der Sturm in der vergangenen Woche zu der Havarie beigetragen.
Tagelang hat niemand mitbekommen, dass die Anlage im Windpark Koßdorf (Stadt Mühlberg/Elbe) nicht mehr steht. Vermutlich hat der Sturm in der vergangenen Woche zu der Havarie beigetragen. © Veit Rösler

Rostspuren an den Flanschringen

Jürgen Holzmüller aus Aurich, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Windenergieanlagen, hat die Trümmer am Wochenende mit zwei Kollegen untersucht, bevor Teile und damit Spuren beseitigt werden können, wie er meint. Ein Schaulustiger, Harry Busch aus Koßdorf fragt den Sachverständigen: „Ist das das erste Mal passiert?“ „Ja“, meint Jürgen Holzmüller. Doch schnell verbessert der sich: „Das passiert nicht alle Tage“. Tatsächlich kommt es immer wieder zu Havarien an Windkraftanlagen, brennende Kanzeln, abgebrochene Rotorblätter, die Liste der Störfälle ist mittlerweile lang.

Erst am 8. Mai 2007 ist bei einem Sturm in nur acht Kilometer Entfernung das Rotorblatt einer Windkraftanlage gebrochen und zu Boden gekracht. „Wir sind hier, um erst einmal ein Schadensbild aufzunehmen“, meint Jürgen Holzmüller. An der jetzt umgefallenen Anlage fallen dem Gutachter die Rostspuren an den Flanschringen auf, an der die Anlage offensichtlich zerbrochen ist. „Das ist nicht ganz in Ordnung, aber nicht die Ursache“, schätzt Jürgen Holzmüller. Der 7 x 15 Zentimeter starke Stahlring des Flansches, in dem die Bolzen der Schraubverbindung stecken, ist durch die Wucht des Aufpralls verbogen. Neben der bereits erkannten Korrosion kommen Materialermüdung und zu geringe Dimensionierung der Schraubverbindung, damit der Begriff „Fehlkonstruktion“ mit infrage. Sogar das Wort „Sabotage“ wird hinter vorgehaltener Hand genannt. Im nahen Ort Koßdorf machen Gerüchte die Runde. Schaulustige hatten vor Ort weder abgefallene Schrauben noch Muttern des gebrochenen Flanschringes am Boden liegen sehen. „Also Sabotage war es wohl nicht. Wir haben alle fehlenden Schrauben und Muttern im Turm gefunden“, erklärt Jürgen Holzmüller.

Oder wurde bereits beim Bau der Anlage gepfuscht? Die Flanschringe, über die die einzelnen Segmente des Turmes einer Windkraftanlage mittels Schrauben miteinander verbunden sind, müssen eine extreme Planlage aufweisen.

Zukünftige Havarien verhindern

Bereits bei geringfügigem Spiel beginnt der Turm durch die Hebelwirkung bei der enormen Belastung der rotierenden Rotorblätter an seiner Spitze, zu schwanken. Durch diese zwar minimale aber über Jahre anhaltende Dauerbelastung wird die Fuge immer größer, die Gewindezüge der Schrauben scheren stetig immer weiter ab. Der Abstand wird größer, Regenwasser dringt ein.

Die Korrosion beschleunigt den Vorgang und irgendwann ist die Hebelwirkung des immer mehr schwankenden Turmes so groß, dass die Schrauben nicht mehr halten. Auffällig erscheint auch an der bei Koßdorf umgestürzten Anlage der Rost an der genau gegenüberliegenden Seite der Masthülse. Bereits beim Bau müssen die Monteure peinlich genau auf die Position der Segmentflansche achten. Manch eine Baustelle hat so schon wochenlang still gestanden, weil die Ringe reklamiert und durch komplett neue Turmsegmente ausgetauscht werden mussten.

Neben der Suche nach der Ursache müssen Jürgen Holzmüller und seine Kollegen auch Lösungen finden, wie zukünftig solche Havarien verhindert werden können. Sollte es sich um einen Konstruktions- oder Herstellungsfehler handeln, könnten mehrere Tausend Anlagen betroffen sein. Zwei weitere baugleiche Anlagen in unmittelbarer Nähe wurden bereits angehalten.