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Wildschweine zieht es in die Stadt

Die Wildtiere stürmen ein Gartencenter in Kleinzschachwitz und graben Gärten um. Jäger suchen sie meist umsonst, dabei wagen sie sich immer weiter rein in die Stadt.

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© S. Scharfe

Von Kay Haufe

Dieser Besuch war kurz und intensiv. Bettina Rüger wird die wenigen Minuten nie vergessen, denn Kunden dieser Art hatte die Chefin des Kleinzschachwitzer Gartencenters noch nie. Etwa zehn Wildschweine stürmten kürzlich ins Geschäft. Ohne Mühe, denn die große Eingangstür öffnet automatisch. Rüger erinnert sich, wie sie mit ihrem dreijährigen Enkelsohn auf dem Arm fassungslos zusehen musste, wie die Tiere Tische umwarfen und die Tür demolierten. „Mein Enkel hatte die Hoftür aufgelassen, schnurstraks sind die Schweine hinten raus“, sagt sie. Im Hof stand ihre 92-jährige Mutter im Rollstuhl. Doch von ihr nahmen die Tiere keine Notiz, rannten vorbei. „Wir hatten so ein Glück, das nichts passiert ist. Zu dem Zeitpunkt waren keine Kunden im Laden“, sagt Rüger. Allerdings ist der Verkaufsraum so zerstört, dass der Geschäftsbetrieb bis heute nicht wieder aufgenommen werden konnte.

Die Wildtiere kommen immer weiter in die Stadt.
Die Wildtiere kommen immer weiter in die Stadt. © dpa

Und Familie Rüger ist nicht die einzige im Viertel, der die Tiere Probleme bereiten. Stefan Scharfe wohnt in der Therese-Malten-Villa auf der Wilhelm-Weitling-Straße. In der Nacht zum vorigen Donnerstag zerwühlten Wildschweine seinen Garten auf der Suche nach Eicheln und Insektenlarven. Immer wieder hatte Scharfe in den letzten Monaten diese Probleme. Ähnlich wie die Bäder GmbH. „Neben vereinzelten Schäden im Freibad Wostra haben die Schwarzkittel vor allem das Strandbad Wostra verwüstet“, schreibt Sprecher Lars Kühl auf SZ-Anfrage. Auf der Wiese hätten die Tiere, wie schon im vorigen Jahr, große Löcher gewühlt, die zunächst notdürftig und in Vorbereitung auf die Freibadsaison komplett beseitigt werden müssen.

„Die Wildschweine verschaffen sich über die veralteten Zäune Zutritt. Auf Deutsch: Sie überrennen sie einfach. Wir werden die Zaunanlage erneuern und dabei deutlich stabilisieren, so dass unser Gelände künftig geschützt ist“, schreibt Kühl. Ganz einfach sei das nicht, da im Überschwemmungsgebiet keine Fundamente in die Erde gegossen werden dürfen.

Einer, der das Treiben der Wildschweine schon seit 27 Jahren beobachtet, ist Rolf Werker, der zuständige Jagdpächter für das Gebiet zwischen Laubegast und Zschieren. Fast täglich sind er und weitere Jäger unterwegs, um die ständig wachsende Zahl der Tiere einzudämmen. Vergangene Woche hatte er Glück und erlegte ein Tier. „Doch die werden immer schlauer und verstecken sich gut, vor allem in Brombeerhecken“, weiß er. Er kennt auch den Fall des Gartencenters. „Für das Gelände der Gärtnerei konnte allerdings aus Sicherheitsgründen keine Erlaubnis zum Schusswaffengebrauch und damit zum Abschuss der Tiere erteilt werden“, schreibt die Untere Jagdbehörde. Die Gärtnerei liege in einem bewohnten Gebiet, wo der Einsatz von Schusswaffen eine Gefahr darstelle.

Werker weiß, dass die größere Rotte von Wildschweinen, die sich in Klein–zschachwitz austobt, gar nicht von dort stammt. „Sie kommen von der Pillnitzer Elbinsel und schwimmen jede Nacht zum Ufer rüber“, sagt der Jagdpächter. Aufgrund des Hochwassers konnte schon längere Zeit nicht auf der Insel gejagt werden. „Auch für uns ist es sehr schwer. Denn unbefriedetes Land, auf dem Jagd überhaupt erlaubt ist, befindet sich vor allem nahe des Elbradweges. Doch dort herrscht ständiger Betrieb bis weit in die Nachtstunden von Hundebesitzern, Radfahrer und Joggern.“

Nun hat der Jäger vielleicht eine Lösung gefunden. Werker konnte mit Zustimmung der Bäder GmbH seinen Schießstand auf das Strandbadgelände verlegen, auf dem sich derzeit niemand aufhält. Doch auch dort bleibt der große Erfolg bis jetzt aus. „Ich sag ja, die Tiere sind schlau. Die erkennen die neue Gefahr und rennen nicht zweimal vor den Gewehrlauf.“

Mit ihren Problemen sind die Kleinzschachwitzer aber längst nicht allein. Auch in Klotzsche, am Weißen Hirsch, in Bühlau und Langebrück haben sich die Anwohner längst an den Anblick zerwühlter Rasenflächen gewöhnt, sagt Markus Biernath, der Chef des Dresdner Sachsenforst-Bezirkes. Und es werden immer mehr Schwarzkittel, sagt er. „Zwar gibt es keine Schweinezählungen, aber die Abschussrate ist immer ein sicheres Indiz.“ Wurden im Jagdjahr 2016/17 noch 128 Schweine erlegt, sind es 2017/18 schon 209. Zusätzlich verzeichnete die Stadt Dresden 247 erlegte Wildschweine 2016/17. „Die Tiere vermehren sich stark, weil es lange keine strengen Winter mehr gab, das Nahrungsangebot durch große Raps- und Maisfelder gut ist und es sogenannte Mastjahre mit vielen Eicheln und Bucheckern gab“, sagt der Fachmann. Dazu käme, dass in stadtnahen Gebieten Komposthaufen und über den Gartenzaun geworfener Müll gute Futterquellen sind. Auch die höhere Temperatur an den Stadträndern helfe den Tieren im Winter.

Auch im Hinblick auf die Afrikanische Schweinepest hat Sachsen einen Erlass zur verstärkten Bejagung der Wildschweine herausgegeben. Jäger können erlegte Tiere zu günstigeren Konditionen erwerben, das Sozialministerium übernimmt die Kosten für die Trichinenuntersuchung. Um den Garten vor den Tieren zu schützen, helfe vor allem ein gut verankerter Zaun.