Merken

Wiedersehen nach 70 Jahren

Sie waren zehn, als sie im Waldgut miteinander spielten. Der Forscherdrang einer Frau brachte sie wieder zusammen.

Teilen
Folgen
NEU!
© Frank Baldauf

Von Heike Sabel

Langenhennersdorf. Solche Geschichten kann man nur selten erzählen. Marlies Wolf hat beim Forschen zwischen dem Gestern und Heute zwei Menschen wieder zusammengebracht. Es begann mit der Suche nach Hinweisen zum Waldgut bei Langenhennersdorf, dort, wo die Karl-Kübel-Stiftung eine Bildungsreinrichtung betrieb und sich nach Jahren des Leerstandes nun das Sankt-Martin-Haus befindet. In der Ortschronik fand sich nichts zum Objekt. Das weckte den Forscherdrang von Marlies Wolf. Den Anfang machte die Adresse eines Nachkommens des ehemaligen Besitzers. Eberhard Matteschk folgte der Einladung in die Heimatstube, brachte viele Fotos und Erinnerungen an seinen Opa mit, den Ingenieur und Erbauer des Waldgutes Albert Walter Demnitz. Er hatte das im Wald gelegene Gut, deshalb der Name, sozial Schwachen zur Verfügung gestellt. Eberhard Matteschk war oft mit seinem Opa in Langenhennersdorf. Das ist lange her, sodass er sich nur noch an einen Nachnamen erinnert: Prokop. Der ging nun auch Marlies Wolf nicht mehr aus dem Kopf. Da müsste doch jemand zu finden sein, der zu dem Namen passt.

Der Name erwies sich als falsch. Renate Fanko brachte die Forscher auf den richtigen Namen, denn es handelte sich um ihre Schulfreundin. Und die hieß nicht Prokop, sondern Profeld, Vorname Bärbel. Sie war mit ihrer Mutter und vier Schwestern 1943 aus dem zerstörten Berlin geflohen und hatte im Waldgut Unterschlupf gefunden. Marlies Wolf überbrachte Eberhard Matteschk die frohe Botschaft. Wie wäre es mit einem Treffen? Der Dresdner war skeptisch. „Ich war doch damals erst zehn Jahre alt.“ Aber dann fragte er doch: Wo könnten wir uns denn treffen? Natürlich in der Heimatstube Langenhennersdorf. Bärbel Profeld brachte noch zwei Schwestern mit. Außerdem kamen Renate Fanko und Mitglieder des Heimatvereins dazu.

In der Runde wurde dann auch die Geschichte des Waldgutes vervollständigt. Eberhard Matteschk hatte seine Mappe mit den vielen Dokumenten und Fotos mit. Walter Demnitz, sein Opa, stammte aus ärmlichen Verhältnissen, seine Vorfahren waren Schmiede. Er hatte nicht nur ein soziales Herz, sondern erfand auch einige Dinge, die sogar als Patente angemeldet wurden. Eine Maschine zum Beispiel, die die Sohle an die Schuhe klebt. Er erfand auch die selbst zu bedienende Tanksäule mittels Münzeinwurf.

In Langenhennersdorf baute Albert Demnitz auch ein Schwimmbad und zwei Brunnen. Der Preis für Übernachtung und Vollverpflegung im Waldgut betrug fünf Reichsmark am Tag. Im Frühjahr 1945 kamen viele ausgebombte Dresdner Familien. Zwischen 1946 und 1963 gab es mehrere Pächter. Schließlich kaufte der VEB Waggonbau Ammendorf das Gut 1963 für 41 000 Mark und nutzte es bis 1990 als Ferienheim. Heute hat sich der Kreis geschlossen. Der Heilige Martin, dessen Namen das Objekt nun trägt, teilte seinen Mantel mit den Armen. Ein Symbol, das Demnitz gefallen hätte, sind sich beim Treffen alle einig.

Solche Begegnungen sind für Marlies Wolf und die anderen im Verein immer ein Erlebnis. Wenn die Geschichten hinter der Geschichte lebendig werden, ist das der Moment, der für die oft mühselige Arbeit eines Heimatvereines entlohne.