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Wiedersehen Angst

Der Löbauer Norbert Strahl widmet eine Ausstellung und eine CD seinem Sohn, der mit fünf Jahren an Krebs starb.

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© Wolfgang Wittchen

Von Silvia Stengel

Lorenz hat sich das Lesen und Schreiben selber beigebracht, Kochbücher verschlungen, Musik geliebt, CDs am Rechner gebrannt und Comics gezeichnet. Er ist nicht einmal sechs Jahre alt geworden. Kurz vor seinem Geburtstag starb er an Krebs. Der Vater Norbert Strahl aus Löbau widmet ihm nun eine Ausstellung, ein Konzert und eine CD, die krebskranken Kindern helfen soll.

„Sein Kosmos bestand aus Musik, gutem Essen, dem Garten von Oma und Opa, der Sendung mit der Maus, den Schlümpfen und aus vielem mehr. Schreiben, malen, essen“, erzählt Strahl über seinen Sohn. Das zeigen nun auch die Bilder in der Galerie Arkadenhof in Löbau. Einige stammen aus der Kunsttherapie von Lorenz. Kräftiges Rot ist zu sehen. Ein anders abstraktes Bild erinnert an Flügel, ein weiteres an eine Landschaft. Dann werden die Striche feiner. Ein Bild von einer Burg fasziniert den Großvater Dieter Strahl. Der Maler und Bildhauer ist beim Aufbau der Ausstellung dabei. Strahl hat die Burg Oybin in Pastellkreide gemalt. „Seine ist besser“, sagt er vor dem Bild von Lorenz. Es folgen gedruckte Bilder mit Buchstaben, die von einem Profi sein könnten. Und liebliche Comics mit Schlümpfen, Enten und Kochrezepten. Humor hatte er, auch das will Norbert Strahl mit der Ausstellung zeigen. An ein Bild hat Lorenz „Quatsch“ geschrieben, auf ein anderes „Das isn Scheiss“. Er hielt eine „verrückte Autostrecke“ fest. „Darauf darf man bis 480 km/h fahren“. Und eine „besoffene Fliege“. In der Galerie hängen außerdem Rezepte von ihm: Schokoladenmilch mit Erdbeersaft und eine Peking-Ente. Er war oft gut drauf. Wenn es ihm schlecht ging, zog er sich zurück, setzte sich Kopfhörer auf und wickelte sich in die Decke ein. Musik gehörte immer dazu. „Ohne Musik geht nix“, hat er gesagt.

Lorenz war drei Jahre, als bei ihm Leukämie festgestellt wurde – 2009, ein Tag vor Weihnachten. Es begann sofort die Behandlung: Chemo, Tabletten, Bluttransfusionen. Weihnachten in der Familie, Kur, ein paar wunderschöne Tage an der Ostsee. Dann der Rückfall, wieder Chemotherapie – „der Albtraum“, erinnert sich Strahl. Und wieder Hoffnung. Ein passender Knochenmarkspender wurde gefunden. Doch es schlug nicht an. In Tübingen gab es eine neuartige Antikörperstudie. Die Eltern von Lorenz gingen auch dorthin. „Jedoch war der Krebs zu stark, nicht zu besiegen.“ Die Studie wurde abgebrochen. Wieder Chemo, Ratlosigkeit und schließlich die Entscheidung, ihn gehen zu lassen. Aber nicht im Krankenhaus. „Das war für uns nicht vorstellbar“, sagt der Vater. „Daher kehrten wir am 7.8.2012 zurück in die Heimat. Letzte Tage wie im Traum. Ein paar fröhliche und klare Momente, noch einmal im Garten, Spielküche, schreiben ... Die Kraft ließ nach, der Schmerz kam. Dämmerzustand. Am Morgen des 19.8.2012 schlief Lorenz ein. Wir waren bei ihm.“

„Wir haben immer das Licht gesehen“

Wie kann ein Vater das verkraften? Norbert Strahl war lange krank geschrieben. Er hatte die letzte Zeit auch im Krankenhaus nur mit seinem Sohn verbracht. Nach seinem Tod ging er selber in Therapie. Der 46-Jährige ist gelernter Schriftsetzer, hat Layouts für Stempel entworfen und sein Leben lang immer gemalt, gezeichnet und Musik gemacht. Seine Band heißt Stein. Für sie schrieb Lorenz sogar eine Liste für ein Album, wie in der Galerie zu sehen ist. Der erste Titel heißt „Welt dass dein Leben beginnt“. Seine Lieblingskünstler waren zahlreich und aus fast jedem Genre. Und nun erinnern sich die Musiker an ihn. Tony Wakeford aus London hatte ihm während einer Behandlung in Jena eine Version von „Old London Weeps“ mit allen guten Wünschen geschickt. Die erscheint nun auf einer CD, zusammen mit anderen Songs von Musikern aus Löbau und der Umgebung, Dresden und Hannover. Bei manchen bekam Strahl Gänsehaut, wie bei Felix von der Band Audiolyse: „Der Text ist dermaßen nah am Erlebten, dass es kaum zu fassen ist“. Strahl schrieb selber drei Texte. Insgesamt sind es 16 Titel, in Englisch und Deutsch, von Folk bis Pop. „Das könnte im Radio laufen“, sagt er. Und: „Ich glaube, Lorenz würde tanzen zu diesen Liedern, wie er es so gerne getan hat.“

Morgen gibt es dazu ein Konzert in Löbau. Auf dem Plakat dafür und der CD steht Lorenz Klinger. Er trug den Nachnamen der Mutter, die Eltern waren nicht verheiratet. Auch der Titel ist von Lorenz: „Wiedersehen Angst“. Er stand vor der Musikanlage und hörte das Lied „Ein Stein weit im Korn“ von Dies Natalies. Am Ende heißt es „... bis wir uns wiedersehen.“ Lorenz sagte daraufhin „Wiedersehen Angst.“ Auf der CD singt er auch und erzählt von sich. Rundherum sind Zeichnungen von ihm.

Der Vater sagt: „Wir haben immer das Licht gesehen und er hat das Leben geliebt. Jede einzelne Sekunde.“ Im Krankenhaus hat sich sein Sohn nachts mit den Schwestern Zettel geschrieben. Wenn ihm etwas nicht gefiel, drückte er sich schon sehr diplomatisch aus: „Das ist nicht so meins“.

Und nun will Norbert Strahl etwas zurückgeben. Die Einnahmen aus dem Konzert und der CD spendet er Vereinen, die krebskranken Kindern helfen und auch seine Familie unterstützt haben. Für die Kunst- und Musiktherapie wird immer etwas gebraucht: eine Gitarre, Farben, Papier. „Das kostet ja alles“, sagt er.

Da gibt es den Verein Lebenskrieger, der Wünsche erfüllt. Wenn ein Kind einen der Klitschko-Boxer treffen möchte, versuchen sie das zu ermöglichen. Bei Lorenz war es Katie Melua, natürlich eine berühmte Sängerin. Und es hat geklappt. Lorenz war nicht nur im Konzert in der Arena in Köln, er hat auf dem Schoß von Katie gesessen – das Größte für den kleinen Jungen.

Ausstellung Galerie Arkadenhof Löbau, Rittergasse 10, Eröffnung morgen, 15 Uhr, bis 22.11. Dienstag u. Donnerstag, 16-19 Uhr, Mittwoch, 15-19 Uhr, Sonn- u. Feiertag, 15-17 Uhr. Konzert morgen Altes Sudhaus Löbau, Theaterplatz, Einlass ab 18 Uhr, Eintritt vier Euro, CD 9,99 Euro