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Wieder dicht

Erstmals hat Chirurg Ulrich Karutz an der Sebnitzer Klinik einen Schließmuskel-Schrittmacher implantiert. Für den Patienten wie ein neues Leben.

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© Dirk Zschiedrich

Von Dirk Schulze

Sebnitz. Stuhlinkontinenz ist nicht nur eine Frage des Alters. Die jüngste Patientin, von der er gehört hat, war 27, sagt Ulrich Karutz, der Chefarzt für Chirurgie an der Sebnitzer Klinik. Bei Frauen sind komplizierte Geburten häufig die Ursache für ein Versagen des Schließmuskels, so auch in diesem Fall. Neben Verletzungen können zudem nervliche Erkrankungen, beispielsweise Multiple Sklerose, ein Auslöser sein.

Für die Betroffenen sind die Folgen fatal. Sie verlieren ungewollt und unkontrolliert bis zu mehrmals täglich Stuhl. Das ist nicht nur ein hygienisches und mentales Problem. Es schränkt die Teilhabe am normalen gesellschaftlichen Leben massiv ein und kann bis hin zu Persönlichkeitsveränderungen führen, wie Chefarzt Karutz erklärt. Das Selbstwertgefühl geht verloren.

Vor einigen Monaten hatte der Mediziner einen 53-Jährigen in seiner proktologischen Sprechstunde. Breitschultrig, aktiv, voll im Leben stehend. „Ein richtiger Kerl“, sagt Karutz. Der Mann musste sich schon zwölfmal einen Abszess am After entfernen lassen, immer an der gleichen Stelle. Solche Abszesse folgen in der Häufigkeit gleich auf Hämorrhoiden. Insgesamt bekommt jeder zweite Mann und jede dritte Frau im Laufe des Lebens ein medizinisches Problem mit dem Darmausgang.

Als der Patient zu seiner 13. Operation auf dem OP-Tisch vor Dr. Karutz lag, war aufgrund der vielen Eingriffe bereits nicht mehr viel von dem wichtigen Muskel übrig, der eigentlich etwas zurückhalten soll. Nach der erfolgreichen Entfernung des Abszesses fragte der Chirurg den Patienten, ob er noch kontinent sei. Der bejahte. „Die Scham“, sagt Karutz. Zum nächsten Termin erschien der Mann in Begleitung seiner Ehefrau – die Antwort war nun eine andere. Tatsächlich verlor er selbst bei geringster körperlicher Anstrengung unbemerkt flüssigen und festen Stuhl. Eine ungeheure Belastung, die ein normales Leben unmöglich machte. Schnell willigte er deshalb in den Vorschlag des Arztes ein, sich einen Schrittmacher für den Schließmuskel einsetzen zu lassen.

Das Gerät ist nicht größer als eine Streichholzschachtel. Es sendet elektrische Impulse aus, welche die Muskeln im Beckenbodenbereich wieder aktivieren. Neurosakrale Stimulation oder Modulation heißt die Methode in der Fachsprache.

Viel mehr Lebensqualität

Der Trick ist, den richtigen Nerv zu treffen. Der Signalgeber für den Schließmuskel verläuft durch eine natürliche Öffnung im Kreuzbein, dem Knochen, auf dem die Lendenwirbel aufsitzen. Mit einer millimeterstarken Elektrode sticht der Operateur kurz oberhalb des Gesäßes durch die Knochenöffnung, in der sich das Nervenbündel befindet. In kurzen Tests während der OP wird die Stärke des Stromimpulses eingestellt, sodass er stark genug ist, den Muskel zu stimulieren, aber trotzdem nicht spürbar. Es folgt eine zwei- bis dreiwöchige Testphase, in welcher der Schrittmacher zunächst in einer Tasche herumgetragen wird. Tritt die erhoffte Besserung ein – das ist bei etwa 80 Prozent der Patienten der Fall –, wird das eingesetzte Kabel „unter Putz gelegt“, wie Chirurg Ulrich Karutz es ausdrückt. Der Schrittmacher kommt in einer kurzen OP unter die Haut oberhalb der Pobacke, dort wo er nicht stört.

Bei dem 53-Jährigen hat es funktioniert. „Der Mann war nach zwei Tagen wieder zu hundert Prozent kontinent“, sagt Karutz. Für den Patienten ein riesiger Zugewinn an Lebensqualität. Es war das erste Mal, dass ein solcher Eingriff an der Sächsische-Schweiz-Klinik in Sebnitz erfolgt ist, das Klinikum Pirna bietet die Schrittmacher-Implantation ebenfalls an.

Der Schrittmacher hilft auch bei Harn-
inkontinenz – die Blase wird über den gleichen Nervenstrang angesteuert. Einmal implementiert, hält die Batterie für sieben bis zehn Jahre. Zum Wechseln genügt eine viertelstündige OP mit lokaler Betäubung. Die Patienten haben beste Chancen, für den Rest ihres Lebens geheilt zu werden. Auch bei chronischer Verstopfung kann der Schrittmacher helfen.

Für den Toilettengang lässt sich das Gerät per Fernbedienung ausschalten. Erfahrungsgemäß machen die Patienten aber davon keinen Gebrauch, erklärt Chefarzt Ulrich Karutz. Dank des Schrittmachers haben sie auch ohne Fernbedienung die Kontrolle über ihren Schließmuskel zurück.