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Wie werden Gefangene überwacht?

Suizidgefährdete Häftlinge können besonders überwacht werden. Warum ist das bei Dschaber al-Bakr nicht passiert?

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© Thomas Kretschel

Von Andrea Schawe

Eine „akute Selbstmordgefahr“ habe der psychologische Dienst im Fall von Dschaber al-Bakr nicht gesehen, sagte Rolf Jacob, der Leiter der Leipziger Justizvollzugsanstalt. Der Psychologin gegenüber verhielt er sich „ruhig und besonnen“. Nur bei einer sehr konkreten Gefahr sei eine besondere Überwachung möglich – etwa, um einen Suizid wie den von Al-Bakr zu verhindern.

Die Überwachung in Gefängnissen ist in jedem Bundesland anders geregelt. Nach dem sächsischen Untersuchungshaftvollzugsgesetz ist es möglich, einen Häftling in einem besonders gesicherten Haftraum, auch BgH genannt, unterzubringen – „wenn nach ihrem Verhalten oder aufgrund ihres seelischen Zustands in erhöhtem Maße die Gefahr der Selbsttötung oder der Selbstverletzung besteht“, heißt es in Paragraf 49 unter „besondere Sicherungsmaßnahmen“.

Eine Möglichkeit ist die Unterbringung in gemeinschaftlichen Zellen. Das sei nach Angaben des sächsischen Innenministeriums bei Gefangenen, bei denen Hinweise auf eine latente Suizidgefährdung bestehen, üblich. „Dies scheidet aber bei Häftlingen, die wie Al-Bakr als gefährlich eingeschätzt werden, wegen der möglichen Fremdgefährdung aus“, sagte der JVA-Leiter. Allerdings wurde Al-Bakrs Zelle regelmäßig kontrolliert, zunächst alle 15 Minuten, später alle 30 Minuten – ebenfalls eine „besondere Sicherungsmaßnahme“. Schon eine stündliche oder halbstündliche Kontrolle ist ein Eingriff in die Privatsphäre.

Die Anforderungen an eine Unterbringung im gesicherten Haftraum sind hoch, sagt Rolf Jacob. Der Raum ist gefliest, es gibt keine gefährdenden Gegenstände, keinen Tisch, keinen Stuhl, kein Fenster, die Matratze liegt auf dem Boden. Die Toilette besteht aus einem Loch im Boden, damit Häftlinge sich nicht ertränken können. In einigen Bundesländern werden die Gefangenen per Video überwacht, „das ist in Sachsen in der U-Haft untersagt“, so Jacob. Das Licht bleibt an, in kurzen Intervallen wird eine „Lebendkontrolle“ durchgeführt.

Die Gefangenen tragen in gesicherten Hafträumen nur „einen Schamschutz“, so Jacob. Damit soll verhindert werden, dass die Kleidung – wie von Al-Bakr – zur Strangulation verwendet wird. Eine Garantie gebe es aber nicht. „Jeder kann Kleidung zerreißen, wenn er das will.“ Reißfeste Stoffe gebe es nicht. Al-Bakr trug nach der Ankunft im Leipziger Gefängnis Anstaltskleidung, ein T-Shirt und eine Jogginghose. Man habe ihm in der JVA die Kleidung abgenommen, damit er keine Gegenstände in die Zelle schmuggeln konnte, so Jacob.

Die Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen stelle einen starken Eingriff in die Grundrechte dar und ist nur schwer mit der Menschenwürde vereinbar. Sie ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts zwar zulässig, wenn die Gefahr der Selbsttötung besteht. Allerdings ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Richter haben mehrmals entschieden, dass die Unterbringung teilweise die Grundrechte der Gefangenen einschränkt. In einem Urteil von 2015 heißt es, jede einzelne Maßnahme – Entkleidung, Aufenthalt im gesicherten Haftraum oder ständige Beobachtung – müsse detailliert begründet werden. Auch die Verteidiger des Ex-Managers Thomas Middelhoff kritisierten diese Maßnahmen. In den ersten vier Wochen in der Essener Justizvollzugsanstalt sei der 61-Jährige wegen angeblicher Suizidgefahr alle 15 Minuten kontrolliert worden, das Licht in seiner Zelle sei meistens eingeschaltet gewesen, wodurch Schlaf unmöglich gewesen sei.