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Wie viele Hartz IV-Empfänger müssen bald umziehen?

Das Jobcenter verschickt nach und nach Briefe. Doch nicht jeder, der über dem Richtwert lebt, muss sich Sorgen machen.

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Von Ingo Kramer

Niemand ist perfekt. Auch nicht im Jobcenter. Das gibt Gernot Kaus offen zu. Erst kürzlich war der Leiter der Leistungsabteilung im Jobcenter durch die SZ auf den Fall einer Görlitzerin aufmerksam gemacht worden, die eine sogenannte „Kostensenkungsaufforderung“ erhalten hatte, damit aber nicht einverstanden war. „Wir haben den Fall geprüft und die Aufforderung zurückgezogen, denn die Einwände waren berechtigt“, gesteht Kaus ein. Bei etwa 160 Bedarfsgemeinschaften, für die ein Sachbearbeiter im Schnitt zuständig ist, kann auch mal etwas übersehen werden: „In solchen Fällen korrigieren wir uns schnell.“

Doch jetzt gibt es weitere Fälle von arbeitslosen Frauen in Görlitz, die die ungeliebte Post erhalten haben. Hintergrund: Der Landkreis hat seit Februar eine geänderte Verwaltungsvorschrift. Sie legt neue Sätze fest, welche Kosten der Unterkunft (KdU) angemessen sind. In Görlitz sind das beispielsweise 241,83 Euro für einen allein lebenden Hartz IV-Empfänger.

„Ich liege 8,61 Euro darüber und soll umziehen“, sagt Heidi Mann* aus Weinhübel. Sie ist in Widerspruch gegangen. Ein Argument: Wenn die Regel bei ihr ab Oktober greift, ist sie 63 Jahre alt. Bis zur Rente mit 65 fehlen ihr dann noch 21 Monate. Setzt man für jeden Monat 8,61 Euro an, sind das insgesamt 180,81 Euro. „Ein Umzug würde aber 500 Euro kosten, wäre also viel teurer“, sagt Heidi Mann – und will in ihrer Wohnung bleiben. Wo sie noch Kosten einsparen könnte, weiß sie nicht. Die Frau, die sich ihre Hartz IV-Bezüge mit einem Nebenjob aufbessert, hofft auf Milde.

Nach Aussage von Kaus hat das Jobcenter in diesem Fall aber nichts falsch gemacht: „Frau Mann bezieht seit etwa zehn Jahren Geld vom Jobcenter, da kann es gut sein, dass sie nach dem Renteneintritt weiter auf Unterstützung angewiesen ist.“ Dann wäre zwar das Sozialamt und nicht mehr das Jobcenter zuständig, aber die 241,83 Euro würden unverändert weiter gelten. Deshalb hat Kaus bei dem Argument der 21 Monate Zweifel: „Wir haben Frau Mann gebeten, ihren Rentenbescheid zum nächsten Termin mitzubringen, um diese Frage prüfen zu können.“ Der Termin ist morgen. Heidi Mann will den Bescheid dort vorlegen. „Ja, ich bekomme unter 600 Euro Rente“, sagt die gelernte Schlosserin. Das spricht also für einen Umzug. Doch entschieden ist noch nichts, sagt Kaus: „Wir müssen den Bescheid genau prüfen.“

Insgesamt ist das Jobcenter für 19 000 Bedarfsgemeinschaften im Landkreis zuständig. Bei rund 3 000 davon hat die Überprüfung ergeben, dass sie über dem neuen KdU-Satz leben. Zwei Drittel davon hat das Jobcenter bisher genauer geprüft: „Davon haben etwa 50 Prozent eine Kostensenkungsaufforderung erhalten, die anderen nicht, weil es Gründe gab, die dagegen sprachen“, so Kaus. Geht das so weiter, werden also insgesamt rund 1 500 Bedarfsgemeinschaften einen solchen Brief erhalten.

Monika Mühl*, ebenfalls aus Weinhübel, bekam bereits im Dezember Post. Sie und ihr Mann lagen 13,07 Euro über dem Satz – nach der alten Berechnung. Nach der Neuen sollten es nur noch 1,97 Euro sein. „Müssen wir deshalb jetzt umziehen?“, fragte sie besorgt. Günstigere Wohnungen seien in Weinhübel gar nicht zu finden. Auch in diesem Fall hat die SZ beim Jobcenter nachgefragt. Kürzlich hat Monika Mühl nun die erlösende Post erhalten. Sie kann in der Wohnung bleiben: Ein Umzug wäre unwirtschaftlich. * ... Namen von der Redaktion geändert