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Wie viele Deutsche verträgt die Schweiz?

Die Eidgenossen entscheiden über die Initiative gegen „Masseneinwanderung“. Ein Ja hätte schwere Folgen.

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© dpa

Von Thomas Burmeister, Bern

Die Sächsische Schweiz gehört zu den schönsten Landschaften Europas. Das hat fast 1.200 Einwohner Sachsens innerhalb nur eines Jahres nicht davon abgehalten, in die echte Schweiz umzuziehen. Mehr als 20.000 Deutsche gingen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes allein im Jahr 2012 in die Alpenrepublik. Gleich nach den USA ist sie das beliebteste Auswanderungsland der Deutschen. Das könnte sich ändern, denn am kommenden Sonntag stimmen die Eidgenossen über eine Volksinitiative gegen Masseneinwanderung der national-konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) ab.

Sollte sie angenommen werden, müsste Bern in Brüssel auf Änderung des 1999 unterzeichneten Abkommens über Personenfreizügigkeit dringen und wieder Obergrenzen für die Zuwanderung auch aus der EU festlegen. Das könnte viele Bundesbürger treffen, die von einem Job in der Schweiz träumen. Rund 300.000 Deutsche leben bereits in der Alpenrepublik. Nach den Italienern bilden sie die zweitgrößte Ausländergruppe, in der Deutsch-Schweiz gar die größte.

Allein schon deshalb müssen Deutsche – in der Schweiz gern als „Schwooben“ bezeichnet – im Abstimmungskampf um die SVP-Initiative wohl immer mal als Buhmänner herhalten. An Stammtischen zwischen Bern und St. Gallen wird die von der Boulevardzeitung „Blick“ aufgeworfene Frage erörtert: „Wie viele Deutsche verträgt die Schweiz?“

Als Ärzte, Forscher, Manager oder Unternehmer verdienen sie hier gutes Geld. Auch etliche Friseure oder Kellner stammen aus dem „großen Kanton“ im Norden – was Schwyzertütsch sprechende Eidgenossen gelegentlich zur bissigen Frage veranlasst, ob man Bestellungen „jetzt nur noch auf Hochdeutsch aufgeben darf“. „Es sind diese kleinen Spitzen, die nicht nötig wären“, klagt der deutsche Biotechnik-Unternehmer Jan Lichtenberg, der 1998 in die Schweiz kam, im Onlinedienst „20 Minuten“. Denn eigentlich sei kulturelle Vielfalt eine Stärke der Eidgenossenschaft. Rund 23 Prozent der gut acht Millionen Einwohner der Schweiz sind Ausländer. In Deutschland sind es rund neun Prozent.

„Rund 80.000 Personen wandern jährlich mehr in unser Land ein als aus“, rechnet die SVP vor. „Jährlich entsteht neu eine Stadt in der Größe von Luzern oder St. Gallen.“ Ein solcher Bevölkerungszuwachs werde höchstens von Indien übertroffen. Überfüllte Züge, verstopfte Straßen, überforderte Sozialsysteme sowie die Gefahr von Lohndumping seien die Folgen.

Mit einer millionenschweren Kampagne versucht die Wirtschaft, die SVP auszubremsen. Der Fachkräftemangel werde sich verschärfen, wenn Unternehmen sich nicht mehr frei aus dem Pool der EU-Arbeitskräfte bedienen könnten. Zudem drohe ein Imageschaden, warnt Elisabeth Zölch Bührer, Arbeitgeber-Präsidentin der Uhrenindustrie. „Made in Switzerland“ könnte als „Hergestellt im Abschottungsland“ interpretiert werden.

Unmissverständlich wies EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bereits darauf hin, dass man der Schweiz bekanntlich einen privilegierten Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit 500 Millionen Konsumenten gewährt. Jeden dritten Franken verdiene man im Handel mit der EU, rechnete der Unternehmerverband Economiesuisse vor. „Davon ist jeder dritte Arbeitsplatz in der Schweiz abhängig.“

Bislang sieht es so aus, als würden die Schweizer das Ansinnen der SVP zurückweisen. Doch laut Umfragen ist die Mehrheit der Ablehner auf 50 Prozent geschrumpft. 43 Prozent wollen für den Einwanderungsstopp stimmen, sieben Prozent sind unschlüssig. Kein Wunder, dass Regierungspolitiker Angst bekommen. Sie reisten durchs Land, um das Volk gegen die SVP-Initiative zu mobilisieren. Die Zeitung „Blick“ nannte den Einsatz in Anlehnung an die größte Radrundfahrt der Schweiz spöttisch: „Tour de Schiss“. (dpa)