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Was die Geschichte lehrt

Radeberg weiht zum Volkstrauertag ein besonderes Denkmal ein. Ein wichtiges.

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© Jens Fritzsche

Von Jens Fritzsche

Radeberg. Die blaue Europa-Fahne weht an diesem Sonntagvormittag fast ein bisschen trotzig im eisigkalten November-Wind. Gleich neben dem frisch sanierten „Krieger-Denkmal“ unterhalb der Radeberger Stadtkirche. Allen Unkenrufen vom Ende der Europäischen Union – und der europäischen Idee überhaupt – zum Trotz. Denn dass die Fahne gleich neben einem Denkmal weht, das an die Radeberger Toten der beiden Weltkriege erinnert, ist durchaus symbolisch.

Gabor Kühnapfel fand bewegende Worte zum Volkstrauertag.
Gabor Kühnapfel fand bewegende Worte zum Volkstrauertag. © Jens Fritzsche

Dass Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Frieden lebt, ist bekanntlich eines der wichtigsten Verdienste dieser Idee vom einigen Europa. Wenn nicht gar das wichtigste Verdienst! Und wie fragte dann auch Pfarrer Johannes Schreiner in die Runde: „Dieses Denkmal lädt zur Frage ein, wie viel Vergangenheit die Gegenwart eigentlich verträgt.“ Und er ist überzeugt, „dass wir anders, als eine leider sehr laute Minderheit es sieht, sehr viel Gedenken, sehr viel Erinnerung vertragen“. Mit allen Herausforderungen, die damit verbunden sind, fügt er an. Und dieses sanierte Denkmal solle jedenfalls Mut machen, wünscht sich der Pfarrer. „Mut, dass wir uns im Kleinen wie im Großen für Frieden einsetzen.“

Aus Spenden finanziert

Dass das in den vergangenen Monaten für rund 150 000 Euro sanierte Denkmal mit der Walküre aus Beton und den Namen der Gefallenen ausgerechnet am gestrigen Sonntag sozusagen der Öffentlichkeit zurückgegeben wurde, war natürlich kein Zufall. Der Tag war bewusst gewählt, machte dann auch Radebergs OB Gerhard Lemm (SPD) deutlich. Denn das eigentliche Jubiläum des Denkmals wäre an diesem Montag gewesen. Am 20. November 1927 war das vom Zwickauer Bildhauer Paul Berger geschaffene – und allein aus Spenden der Bevölkerung finanzierte – Denkmal eingeweiht worden.

Aber da der Sonntag auf den Volkstrauertag fiel – an dem ja an die Toten der beiden Weltkriege und der Opfer des Nationalsozialismus‘ – gedacht wird, „ist es ein würdiges Symbol“, findet der OB. „Wir wollen keine weiteren Namensschilder an diesem Denkmal anbringen müssen, das ist die wichtigste Aussage dieses Tages“, macht Lemm deutlich. Und auch er plädiert für eine Auseinandersetzung mit der Geschichte, für das Erinnern. „Deshalb ist es wichtig, dass dieses in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich zugewachsene Denkmal wieder freigelegt und saniert ist.“ Es ist damit nicht nur optisch im Blickfeld.

Zuvor hatte Liegaus Ortsvorsteher und SPD-Stadtrat Gabor Kühnapfel im Kirchgemeindehaus gleich nebenan in einer kurzen Rede mit bewegenden und tiefgehenden Worten seine Sicht auf diesen Tag – und eben auch auf dieses Denkmal – geschildert. Die beiden Sätze, sagte er, die auf dem Beton stehen, seien von unglaublich starker Emotionalität: „Das Opfer wir. Die Hoffnung ihr“, ist dort zu lesen.

Die Radeberger, so Kühnapfel, hätten damals die Hoffnung gehabt, aus diesem Krieg, aus diesem tödlichen Wahnsinn, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Doch diese Hoffnung war eine trügerische. „Aus den Opfern wurden Helden, aus dem Reichskanzler wurde ein Führer“, bringt es Gabor Kühnapfel dramatisch knapp auf den Punkt. Deutschland entzündete den nächsten verheerenden Weltbrand. „Und wir haben nun die Pflicht dafür zu sorgen, dass nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen darf“, zitierte er den einstigen Bundeskanzler Willi Brandt. Und gerade ein einiges Europa, macht Gabor Kühnapfel deutlich, gebe letztlich Hoffnung, dass es auch gelingen könnte. Auch, wenn es schon wieder Opfer gibt. Opfer von Terror, Opfer von Vertreibung, aber auch bei zahlreichen Auslandseinsätzen getötete Bundeswehr-Soldaten.

Gabor Kühnapfel nimmt dennoch keinen aus der Pflicht. Niemand solle sich verstecken und mit dem Finger auf Politiker zeigen: „Wer ist verantwortlich?“, fragte er in den Raum. In einer repräsentativen Demokratie wähle das Volk seine Politiker, gibt er die Antwort. „Deshalb ist jeder dafür verantwortlich, ob der Krieg auch weiterhin die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln bleibt“, ging er auf ein bekanntes Zitat des Militär-Wissenschaftlers Carl von Clausewitz ein.

Und als dann zahlreiche Kränze und Blumen am Sockel des sanierten Denkmals niedergelegt werden, weht die Europa-Fahne vielleicht sogar ein Stück zufrieden …