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Wie viel „Bimmel“ brauchen wir?

Über ein Jahrhundert hat sie überdauert, Krisen überstanden: die Weißeritztalbahn. Aber lohnt sich ihr Erhalt wirklich?

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Von Philipp Immler

Es ist ein warmer Frühsommertag. Mit einem sanften Ruck setzt sich die Weißeritztalbahn in Bewegung. Zum beinahe melodischen Puffen der Dampflok geht die Fahrt durch den Rabenauer Grund. Am Fenster ziehen Familien mit Kindern vorbei – im Waggon aber herrscht Leere. Ein Normalzustand sei dies nicht, sagt Thomas Hornuff vom Förderverein „IG Weißeritztalbahn“. Laut Statistik konnte man im Jahr 2014 150 000 Fahrgäste begrüßen, immerhin knapp 20 000 mehr als im Vorjahr.

Dennoch bleibt die sogenannte „Bimmel“ ein reines Zuschussgeschäft: Unter den gegebenen Bedingungen sei dies auch überhaupt nicht anders zu realisieren, ergänzt Mirko Froß von der Sächsischen Dampfeisenbahngesellschaft (SDG), die die Bahn betreibt. Ohnehin könne man den öffentlichen Nahverkehr nur mit staatlichen Subventionen aufrechterhalten, weshalb der Aspekt der Rentabilität sowieso eine untergeordnete Rolle spielen sollte. Gleichwohl nutzen Schätzungen zufolge nur deutlich unter fünf Prozent der Fahrgäste die Bahn als alltägliches Transportmittel, der Rest sind Ausflügler.

Das war nicht immer so. Den Planern der Schmalspurbahn ging es zum einen um die Schaffung einer effektiven Importroute für böhmische Steinkohle, zum anderen aber auch vor allem um eine bessere Anbindung der Gebirgsregionen an die Ballungsgebiete. Nachdem die DDR-Führung in den 60er-Jahren eine Stilllegung aller Schmalspurbahnen bis 1974 beschlossen hatte, war die „Bimmel“ von der Schließung bedroht. 1973 entschied man, sie für den Tourismus weiterzubetreiben. Das Konzept gelang, jährlich registrierte man 200 000 Fahrgäste.

Mit der Zerstörung der Weißeritztalbahn durch die Flut 2002 endete der Fahrtbetrieb für mehrere Jahre; bis jetzt ist die Bahnstrecke erst zu zwei Dritteln wiederhergerichtet. Hohe technische und bürokratische Hürden standen bisher einer vollständigen Wiedereröffnung im Weg. „Wann es so weit sein wird, lässt sich jetzt nicht genau sagen, darüber entscheiden nicht wir“, erklärt Mirko Froß. An sich sei die Wiedereröffnung vertraglich vereinbart, allein der Zeitpunkt sei offen.

Warum aber sollte man die Schmalspurbahn überhaupt erhalten? Förderverein und Betreiber sind sich einig: „Die Schmalspurbahn ist ein wichtiger Teil unserer lokalen kulturellen Identität, außerdem veranschaulicht sie Kindern auf eine einzigartige Weise, wie Technik funktioniert“. Gerade in Verantwortung vor den kommenden Generationen sei es das Beste, die Bahn so gut wie möglich zu bewahren. Visionen für die nächsten Jahrzehnte hat man allerdings nicht, das Konservieren an sich ist das Ziel. „In den 90er-Jahren hat es Überlegungen gegeben, die Bahnstrecke für den regulären Personenverkehr zu modernisieren“, so Thomas Hornuff von der IG. Doch dabei wäre der Denkmalschutz zu kurz gekommen. Ob es die Bahn in einem Viertel- bis halben Jahrhundert noch geben wird, hängt aber auch nicht zuletzt von der Einstellung der Bevölkerung ab. Wie viele andere Vereine auch leidet die IG unter Nachwuchssorgen. Bisher geht man davon aus, dass sich eine deutliche Mehrheit mit der Weißeritztalbahn identifiziert. Doch gerade unter meinen Altersgenossen gibt es nur sehr wenige, denen der Sinn nach einem Ausflug mit der „Bimmel“ stünde. Die Frage ist, wie die Politik auf diesen gesellschaftlichen Trend reagiert. Die Fragen, die sich in Zukunft stellen werden, lauten vermutlich: „Wie viel sichtbare Vergangenheit braucht eine Gesellschaft?“ und „Was macht unsere kulturelle Identität aus? Schließlich ist es der allgemeine Wohlstand, der es ermöglicht, Projekte wie diese am Leben zu erhalten. Aber über solche theoretischen Grundsatzfragen muss man sich als Fahrgast keine Gedanken machen. Egal, ob der Landesrechnungshof die Zuschüsse zum Betrieb rügt und die Lokomotive logischerweise eine katastrophale Umweltbilanz hat: Wenn man auf der Plattform steht und einem der Fahrtwind durch die Haare zaust, sind all diese Überlegungen vergessen. Am Bahnhof Rabenau steige ich aus, eine längere Strecke wäre mir zu teuer geworden. Der Zug rollt los, beschleunigt und verschwindet schließlich hinter der Kurve: auf dem Weg in eine unklare Zukunft.