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Wie sieht ein zukunftsfähiges Verkehrssystem für Dresden aus?

Die Flucht aufs flache Land, Zersiedelung und immer mehr Brücken und Straßen sind die falschen Schritte.

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Von Udo Becker

Wie könnte eigentlich ein zukunftsfähiges Verkehrssystem für Dresden aussehen. Früher war die Antwort darauf leicht, denn „mehr“ war immer auch „besser“. Wenn aber „mehr Straßen“ und „mehr Brücken“ noch immer als erstrebenswert angesehen werden, dann vereinfacht sich die Frage nach einem tragfähigen Verkehrssystem für Dresden sofort: Dann muss man nicht länger fragen, was eigentlich sinnvoll wäre, sondern muss nur noch das „Wo?“ und das „Wie?“ klären. Genauer: Wie kann man die vorhandenen Schienen- und Straßennetze ausbauen? Oder: Welche Brücke im Straßennetz über die Elbe kann eigentlich wann gebaut und wie finanziert werden? Verkehrsplanung wird damit zur reinen Ausbauplanung.

Aber ist das zukunftsfähig? Brauchen wir in 30 Jahren noch mehr Parkplätze auf dem Altmarkt, oder kann in der Stadtmitte das Parkplatzangebot reduziert werden, weil dort ja Fußgänger unterwegs sein sollen und Busse und Bahnen fahren? Welche Brücken brauchen wir künftig in Dresden, und wo sollen sie stehen, wie sollen sie aussehen? Vierspurige oder sechsstreifige Auto-Bahnen – oder besser Radfahrer-, Fußgänger- und Straßenbahnbrücken? Der Blick auf unsere zukünftige Lebenswelt wirft Fragen auf, die Stadtrat und Verkehrsplanung bisher kaum behandelt haben.

Einfluss durch Klimawandel

Was weiß man schon heute über die Zukunft? Die zukünftige Dresdner Stadtentwicklung ist schon heute durch die immer deutlicher erkennbare Ressourcenknappheit (Preise steigen!), durch den Klimawandel und die Klimaanpassung vorgezeichnet.

Wie kann dann Verkehrsplanung die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung adäquat ermöglichen? Wie können alle Dresdner möglichst große Spielräume für ihre Mobilität behalten, denn nur sie können entscheiden, wie sie ihre Bedürfnisse am besten befriedigen? Dafür gibt es eine entscheidende Grundbedingung: kostenwahre Preise für alle Verkehrsmittel müssen als Grundinformation vorliegen. Jeder Verkehrsnutzer muss bei seiner Abwägung alle Vorteile (Nutzen) und alle Nachteile (Kosten, auch externe Kosten, also Kosten für Dritte) einbeziehen.

Benzin wird immer teurer

Die Preise für Verkehr müssen also die Wahrheit sagen. Wird dieses Prinzip verletzt, werden deutliche Kostenteile auf Dritte verlagert, dann wird alles ineffizient und dann wird zu viel Verkehr erzeugt.

Schon heute wissen wir, dass Benzin und Diesel immer teurer werden (müssen), schon heute müssten wir also dafür vorsorgen, dass auch in 20 oder 50 Jahren noch jede Dresdnerin und jeder Dresdner zur Arbeit, zum Einkauf, in die Gaststätte und zum Arzt kommt, und zwar mit weniger Energie.

Kein Mensch kann derzeit sagen, wann die Erdölpreise wie hoch sein werden und was dann der Liter Kraftstoff kostet. Künftige Einwohner Dresdens könnten aber gelassen auf Kraftstoffpreise von fünf Euro je Liter reagieren, wenn ihre Ziele nahräumlich, also auch ohne Benzin erreichbar wären. Das würde bedeuten:

1. Man muss in Dresden überall in der Nähe der Wohnung günstig einkaufen, arbeiten, sich erholen können. Nähe und Nutzungsmischung sind wichtig. Die Flucht aufs flache Land, Zersiedelung und immer mehr Verkehrswege sind dafür die falschen Schritte.

2. In Dresden müssen Radfahrer, Fußgänger, Zug-, Straßenbahn- und Busnutzer alle wichtigen Ziele sicher und günstig erreichen können. Radfahrern, Fußgängern und Nutzern des Öffentlichen Verkehrs sind also Vorteile einzuräumen, damit diese speziellen Systeme möglichst attraktiv werden und viele Leute sie nutzen, wichtiger noch: damit viele Läden, Ärzte, Kinos, Kneipen, Arbeitsstellen usw. sich gerade dort ansiedeln. Menschen, die in der Nähe von Haltestellen, von Läden und Ärzten wohnen, sind von Kraftstoffpreiserhöhungen weit weniger betroffen. Steigen diese Preise, wird es zwar in den Straßenbahnen voller, aber damit verteilen sich deren Fixkosten auf mehr Köpfe, und dies wird zumindest die Energiepreiserhöhungen kompensieren.

3. Alles, was dagegen die heutigen Autos mit ihren relativ hohen Verbrauchswerten (z. B. VW-Phaeton V8 im Stadtverkehr: 21,6 Liter je 100 km!) fördert, ist ein Schritt in die falsche Richtung. Aus Eigeninteresse wünschen sich das einige Leute, aber langfristig werden damit Strukturen entwickelt, die weder ökologisch noch ökonomisch tragfähig sind –- und wir wissen das auch!

Weniger Verkehr auf Brücken

Die Abnahme der Verkehrsmengen auf den Dresdner Elbbrücken wird seit vielen Jahren offiziell gemessen. Das Straßen- und Tiefbauamt zählt den Verkehr auf den Brücken kontinuierlich. Während 1999 und 2000 noch etwa 220000 Fahrzeuge jeden Tag die innerstädtischen Elbbrücken nutzten, sind es in den letzten Jahren immer nur zwischen 185000 und 204000 Fahrzeuge täglich gewesen.

Die Zahl der Fahrzeuge ist also bereits jetzt um etwa 10 Prozent gesunken und – das belegen die Messungen auch – der Verkehrsstau auf Dresdens Straßen hat sich verringert. Dieser Trend wird anhalten, wenn sich die Entwicklung steigender Benzin- und Dieselpreise fortsetzt. Schon heute ist also klar, dass wir anders planen müssen: Jeder Neu- und Ausbau bei sinkendem Verkehr verschlechtert die Aufwand-Nutzen-Relationen und wird sich in einigen Jahren als kommunale Ausgabenlast und als Vergeudung von Steuergeldern erweisen. Damit erhält man die folgenden Folgerungen für das Verkehrssystem in Dresden:

1. Jede Maßnahme, die den energieintensiven motorisierten Individualverkehr noch attraktiver macht, führt in die falsche Richtung, denn sie signalisiert den Menschen, dass wir uns ein Leben und eine Stadt bauen wollen, in der für Mobilität viel Energie benötigt wird. Stattdessen müssten wir Lösungen entwickeln und anbieten, die den Fußgänger-, den Rad- und Zug-, den Bus- und Straßenbahnverkehr attraktiver machen.

2. Langfristig fallen soziale, ökologische und ökonomische Vorteile zusammen und wirken immer in dieselbe Richtung: Was nicht ökologisch ist, ist langfristig auch unökonomisch, weil die Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen eingeschränkt oder gar zerstört werden. Was nicht ökologisch ist, ist immer unsozial, weil die Ärmeren mehr/zuerst leiden.

Unsozial und unökologisch

Was nicht ökonomisch (was ineffizient ist), ist unökologisch, weil es vergeudet. Was nicht ökonomisch ist, ist unsozial, weil die Ärmeren mehr haben könnten, wenn es effizienter wäre. Was nicht sozial ist, was also Menschen von Teilhabe ausschließt, ist unökonomisch, weil es produktiver/effizienter wäre, wenn man alle Menschen einbeziehen würde. Was nicht sozial ist, was also Menschen von Teilhabe ausschließt, ist unökologisch, denn diese Menschen handeln dann oft kurzsichtig (Raubbau).

3. Für den Paradigmenwechsel im Verkehr und für den Umstieg auf eine nachhaltige Verkehrsentwicklung in Dresden kommt es vor allem darauf an, die dynamischen Wechselwirkungen sichtbar zu machen: Wenn es gelingt, Mobilität im Nahbereich zu fördern, dann werden Rad- und Fußgängerverkehr attraktiv und es wird zugleich leiser, sauberer und sicherer.

4. Wird die Kommune gewinnen, die ihren Einwohnern auch noch bei hohen Kraftstoffpreisen Mobilität ermöglicht. In einer lebenswerten Stadt mit öffentlichem Verkehr, Fußgängerzonen, Radwegen und mit Nutzermischungen können die Menschen den höheren Preis umgehen. In einer dispersen Stadtregion der weiten Wege, in der viele im Grünen wohnen, aber für jeden Weg immer das Auto brauchen, kann man die höheren Preise leider nicht umgehen – und jetzt, erst jetzt und nur hier, wird es zu echten Mobilitätseinschränkungen kommen!

Nachhaltige Verkehrsentwicklung ist also im eigenen Interesse der Dresdner Einwohner. Hierfür wünschen wir uns eine glückliche Hand, für uns und unsere Kinder und Enkel. Unsere Vorfahren hatten ein Händchen dafür, denn sie bauten in Dresden ein fast perfektes System von Straßenbahnen und Bussen auf.

Nachsatz: Dieses „Dresdner Heft“ widmet sich Dresdner Brücken, also auch der Waldschlößchenbrücke. Die Waldschlößchenbrücke war zuerst als gemischte Straßenbahn-, Fußgänger-, Radfahrer- und Autobrücke zweistreifig geplant.

Für Fußgänger uninteressant

Nach vielen Umplanungen wurde sie schließlich als vierstreifige Autobrücke ohne Straßenbahn genehmigt. Sie überquert die Elbniederung an der breitesten Stelle, ist also für nahräumliche Mobilität und Fußgänger viel zu weit und uninteressant. Radfahrer können die Brücke zwar auch überqueren, aber die erwartete Nachfrage ist minimal.

Dagegen ist die Brücke für diejenigen Autofahrer gut geeignet, die weite Strecken (etwa über die Stauffenbergallee zur Autobahn) fahren wollen. Die neue Brücke ist für 40,000 bis 45,000 Fahrzeuge pro Tag ausgelegt.

Die Kosten der Brücke und des Verkehrszuges werden auf etwa 170 Millionen Euro geschätzt. Wenn nun – angenommen – der Benzinpreis auf fünf Euro je Liter steigt, für wen ist die Waldschlößchenbrücke dann noch eine Hilfe? Oder hätte man die 170.000.000 Euro in Dresden für etwas anderes vielleicht sinnvoller verwenden können? Für etwas, das allen Dresdnern und nicht nur manchen Autofahrern hilft? Vielleicht für etwas, mit dem man die künftigen Kraftstoffpreise umgehen kann? Vielleicht hätten die Dresdner Verkehrsbetriebe mit 170 Millionen Euro das Straßenbahn- und Busnetz ausbauen können? Vielleicht hätte man mit 170 Millionen Euro (die alle aus unseren Steuergeldern stammen!) auch mehrere Fußgängerbrücken bauen können? Oder man hätte kleine Stadtteil-Einkaufszentren fördern können?

Überlegen wir: Wenn der Liter Kraftstoff fünf Euro kostet, welche Maßnahme hätten wir uns ganz privat gewünscht? Was hätte Ihnen, lieber Leser, am meisten geholfen, um weiterhin mobil zu sein? Eben genau diese Maßnahmen wären zukunftsfähig gewesen. Die Waldschlößchenbrücke ist es – leider – nicht. Schade .

Der Autor Udo Becker (51) ist Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Verkehrsökologie an der Technischen Universität Dresden. Es handelt sich um die einzige Professur für Verkehrsökologie in Deutschland. Becker studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Karlsruhe.

Der Beitrag ist die stark gekürzte Fassung eines Textes, der in der neusten Ausgabe der „Dresdner Hefte“ zum Thema „Dresdner Elbbrücken in acht Jahrhunderten“ erschienen ist. Das Heft ist zum Preis von vier Euro in den örtlichen Buchhandlungen zu erhalten. Der vollständige Text kann auch im Internet unter www.sz-online.de/verkehr nachgelesen werden.