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Wie Schulprobleme (auch) gelöst werden könnten

Stress lösen, Aggressionen mindern – das will eine Görlitz-Rückkehrerin Schülern und Lehrern beibringen. In einer Schule in Königshufen hat sie damit bereits begonnen.

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© Nikolai Schmidt

Von Daniela Pfeiffer

Görlitz. Ich mag Yoga, sagt Hubert. Er ist der erste Schüler, der an diesem Freitagmittag in den Sportraum der Grundschule Königshufen gekommen ist. Sieben werden es heute nur werden – alle aus der Klasse 2a. Die Parallelklasse ist wegen eines Projektes außer Haus. Aber zusammen mit den dritten Klassen sind es richtig viele – so viele, dass Sandra Jahnke zwei Gruppen gebildet hat.

Sie ist nicht einfach nur die Yogalehrerin. Die 42-Jährige, die vor einem reichlichen Jahr in die Görlitzer Heimat zurückkam und hier das Center für Achtsamkeit und Mitgefühl aufbaute, hat viel mehr im Sinn: Sie will ein ganzheitliches Konzept entwickeln, das allen hilft: Lehrern, Schülern, Eltern, dem ganzen System. Helfen, den Schulalltag besser zu bewältigen, Probleme und Aggressionen abzubauen. Ihr großes Ziel ist es, ein Unterrichtsfach zu etablieren, in dem Achtsamkeit, Mitgefühl, Ethik, Interaktion und soziales Engagement gleichermaßen vermittelt werden. Ameise hat Sandra Jahnke es genannt, ganz einfach aus den Anfangsbuchstaben abgeleitet und für Kinder leicht zu merken.

Die Yogastunden, die sie an der Grundschule Königshufen gibt, sind ein Einstieg. Wie nötig es ist, Kinder zu entschleunigen, ist schon in den ersten Minuten der Stunde zu merken. So mancher kann sich kaum konzentrieren, ist zappelig, der Mund will einfach nicht zugehen, die Augen auch nicht. Aber mit viel Ruhe bringt Sandra Jahnke die Kinder langsam runter. Ein wenig Meditation ist in den ersten Minuten offenbar genau der richtige Weg. Augen schließen, bewusst atmen, zu sich finden.

Alle Görlitzer Schulen hat Sandra Jahnke angeschrieben. Manche haben gar nicht reagiert. In vielen ist die junge Frau, die seit mehr als 12 Jahren bundesweit Karriere als Unternehmensberaterin macht, inzwischen selbst gewesen. Um sich ein Bild zu machen. Dieses habe sie schon etwas schockiert. „Ich habe eine totale Überlastung des Bildungssystems festgestellt“, sagt sie. Lehrer und Schulleiter von ihrem Konzept überzeugen, ist deshalb nun umso mehr das Ziel. Dass Probleme existieren, kann nicht mehr von der Hand gewiesen werden. Eine Analyse der Stadtverwaltung brachte jetzt zutage, dass vor allem an Schulen mit hohem Migrantenanteil Konflikte auftreten, Lehrer überfordert sind, die Fluktuation hoch ist. Die Stadt hat erste Maßnahmen beschlossen, um die Situation zu entschärfen: Eine 5. Klasse weniger soll es an der Oberschule Innenstadt ab kommendem Schuljahr geben, über ein Bundesprogramm sollen spezielle Schulsozialarbeiter herangeholt werden, eine Arbeitsgruppe sich um mehr außerschulische Angebote kümmern.

Genau in diese Kerbe schlägt auch Sandra Jahnkes Idee. Inzwischen hat sie sich mit dem Philosophie-Café im Bahnhof Mitstreiter an ihre Seite geholt. Hier laufen bereits Projekte mit älteren Schülern. „Philosophie ist wichtig bei der ganzen Sache, vor allem die Frage: Wie können Kinder einen freien Geist entwickeln?“ Jegliche Initiativen, die es in der Stadt gibt und die alle das gleiche Ziel eint, sollten sich zusammentun, findet sie. So will die 42-Jährige demnächst einen Thementag im Philosophie-Café anbieten, bei dem sie ihr Konzept vorstellt. Vor allem an Lehrer und Eltern richtet sich das Angebot.

Steffen Hanke zumindest ist von Sandra Jahnkes Idee begeistert. Der Schulleiter der Grundschule Königshufen hat sein gesamtes Kollegium in Sandra Jahnkes Center gebracht, damit sie alles in Ruhe erklären kann. Später hat er den Schulförderverein davon überzeugt, die Yogastunden zunächst für ein halbes Jahr finanziell zu tragen. „Es geht dabei nicht um das x-te Ganztagsangebot“, betont Hanke aber. „Sondern darum, die Angebote sogar zu reduzieren und die auszuwählen, die zu uns passen.“

Als Unterrichtsfach sieht er die Ameise noch nicht. „Es ist toll, dass Frau Jahnke diese Vision hat, aber ich glaube, dass das schwierig wird und mittelfristig nicht realistisch ist.“ Derzeit gehe es in Sachsen eher darum, wie man zumindest den Kern-Unterricht absichern kann. Aber gerade deshalb findet er jedwede Unterstützung von außen hilfreich. „So wie die Sozialarbeiter, die an immer mehr Schulen kommen. Nur leider in meinen Augen zu spät.“ Seine Schule sei ab neuem Schuljahr dreizügig geplant, obwohl sie bislang zweizügig war. „Wir haben unheimlich viele Anmeldungen. Es hat sich herumgesprochen, dass sich hier etwas tut. Und Sandra Jahnke ist ein Teil davon.“

Sandra Jahnke selbst hat den neuen Unterricht fest als Ziel vor Augen. „Nur kann ich das natürlich nicht alleine leisten“, sagt sie. „Ich kann nur Pionier der Sache sein, einen Anstoß geben und erste Weichen stellen.“ Ministerpräsident Michael Kretschmer würde sie gern erreichen, wünscht sich Unterstützung auf Regierungsebene.

Von dem großen Ganzen, dass das wegen ihnen ins Rollen gebracht wird, wissen Hubert und seine Klassenkameraden freilich nichts. Sie finden ihre besondere Freitagmittagsstunde einfach cool. Dass sie entspannter herauskommen als sie hineingegangen sind, ist ihnen dabei vielleicht gar nicht bewusst.