Von Jana Mundus
Der Fahrradfahrer – das unbekannte Wesen. Aktuelle Statistiken verraten zwar einiges über die Zustände unter dem Sattel: So rollen etwa 73 Millionen Fahrräder durch Deutschland. Insgesamt 69 Prozent der Menschen haben eins im Keller oder angeschlossen vor dem Haus stehen. Kein Wunder, denn beachtliche 98 Prozent können Fahrrad fahren. Doch wie sich die Radfahrer im Straßenverkehr fühlen, welche Strecken sie zurücklegen und wann sie fahren – all das ist unerforschtes Gebiet. War unerforschtes Gebiet. Denn Wissenschaftler der TU Dresden stecken mitten drin in einer großen Studie, die den Radfahrer erstmals in den Mittelpunkt einer großen Forschungsarbeit stellt. Die ersten Zwischenergebnisse überraschen. Und sie zeigen: Der deutsche Radler hat vier Gesichter.
Damit hatte wirklich keiner gerechnet. Ein wenig Werbung hatten die Forscher für ihre große Online-Umfrage gemacht. Aber nicht zu viel. Doch die Nachricht verbreitete sich auch ohne ihr Zutun. „Als die Umfrage online ging, hatten wir in der ersten Stunde schon 1 000 Teilnehmer zusammen“, sagt Verkehrspsychologin Juliane Anke. Letztlich wurden es 10 000, 36 Prozent davon aus Sachsen, der Rest aus allen Teilen Deutschlands. In der Umfrage mussten sich die Teilnehmer und ihr Verhalten auf dem Fahrrad selbst einschätzen. Sind sie der Draufgänger im Verkehr? Der vorsichtige Bremser? Der Straßen- oder Radweg-Nutzer?
Bei der Auswertung stellten die Forscher Parallelen fest. „Letztlich haben wir vier verschiedene Typen von Radfahrern erkannt“, sagt Verkehrsökologe Sven Lißner, der die Studie zusammen mit Juliane Anke und ihrer Kollegin Angela Francke durchführt. Die Radfahrer unterscheiden sich zum einen hinsichtlich der Nutzungshäufigkeit ihres Fahrrads und des Sicherheitsgefühls im Sattel. Sie fahren häufig oder selten, sind dabei sicher oder unsicher. Radfahrstreifen an der Straße und kombinierte Geh- und Radwege lieben allerdings alle. Doch entsprechen diese Meinungen und Selbsteinschätzungen auch der Realität?
Eine Feldstudie in Dresden soll es in den kommenden Monaten zeigen. Dafür werden 200 Dresdner jeweils zwei Wochen lang ihre gefahrenen Strecken aufzeichnen. Das funktioniert über eine spezielle App auf dem Smartphone, die die GPS-Daten nutzt. Mit dem Telefon, das auch ausgeliehen werden kann, können die Daten letztlich an die Wissenschaftler übermittelt werden. „Wir sehen, welche Wege die Radfahrer in der Stadt nutzen“, erklärt Lißner. So ergebe sich ein besseres Bild vom Dresdner Radfahrer. Wo sind wie viele Leute zu welcher Uhrzeit unterwegs? Informationen, an denen auch die Dresdner Stadtverwaltung Interesse hat. Sie fungiert bei der Studie wohl auch deshalb als Partner. „Für Städte und Gemeinden sind solche Erkenntnisse natürlich sehr wichtig“, erklärt Juliane Anke. Sie könnten Grundlage für spätere Entscheidungen hinsichtlich neuer Radwegkonzepte sein.
Auch deshalb wollen die Wissenschaftler mit der Feldstudie in der Stadt möglichst alle Altersgruppen abdecken. Viele Teilnehmer sind schon gefunden. Noch fehlen allerdings interessierte Radler ab 50 und ab 65 Jahren. Wer mitmachen möchte, sollte sich deshalb schnellstmöglich bei den Wissenschaftlern melden.
Im nächsten Jahr sollen die Ergebnisse der Studie feststehen. Sie sollen, so hoffen die Wissenschaftler, eine Basis für Kommunen und Planer in ganz Deutschland werden. „Ich würde mir wünschen, dass sich in den Städten für die Radfahrer etwas tut“, sagt Sven Lißner. Derzeit gäbe es noch große Wissenslücken zum Radfahrer. Mit der Studie gäbe es dann erstmals verlässliche Daten zu Verhalten und Wünschen von Radfahrern.
Noch sind die Namen für die Radfahrer-typen nur Arbeitstitel: Der Passionierte, der Funktionelle, der Pragmatiker und der Ambitionierte. Kann gut sein, sagt Juliane Anke, dass der Feldversuch am Ende eine ganz andere Wirklichkeit zeigt. Wenn der angeblich sichere Radler doch lieber viel befahrene Straßen meidet und Umwege in Kauf nimmt. Doch das ist eben Wissenschaft. Die Forscher müssen sich überraschen lassen.
Anmeldung zur Feldstudie unter 0351-46336929 und www.sz-link.de/radfahren